Fundstück: „The Tenant of Wildfell Hall” von Anne Brontë

"The Tenant of Wildfell Hall" von Anne Brontë (Bild: Johanna Jendrysek)

„The Tenant of Wildfell Hall“ von Anne Brontë (Bild: Johanna Jendrysek)

Von den Brontë-Schwestern haben sicherlich die meisten schon einmal gehört: Charlotte, Emily und Anne sind einige der großen Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Leider ist die jüngste der berühmten Schwestern auch gleichzeitig die unbekannteste. Ihre Schwestern sind mit den Werken Wuthering Heights und Jane Eyre mittlerweile weltbekannt. Dass Anne lange Zeit übersehen und unterschätzt wurde, ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch ihr Werk durchaus lesenswert ist. Der hier vorgestellte Roman überzeugt mit seinem feministischen Ansatz und seiner Gesellschaftskritik, die auf kluge Art und Weise in dem Werk verarbeitet werden. Nicht umsonst zählen einige Literaturwissenschaftler*innen The Tenant of Wildfell Hall (deutsch: „Die Herrin von Wildfell Hall“) heute zu einem der ersten feministischen Romane.

Der Roman wird zunächst aus der Sicht von Gilbert erzählt, der in einem kleinen Dorf in England lebt. Eines Tages taucht die junge Helen Graham im alten Haus am Rande des Dorfes auf – eine verwitwete junge Frau, die ihren Sohn allein aufzieht und ihren Lebensunterhalt selbst bestreitet. Als wäre das nicht schon mysteriös genug, hält sie sich von den anderen Anwohnern eher fern, ist sehr schweigsam und lässt sich zum Entsetzen der Anwohner auch nicht in die „zu verweichlichte Erziehung“ ihres Sohnes hineinreden.

Als die Gerüchte sich überschlagen, stellt Gilbert Helen zur Rede. Er hat Gefühle für die junge Frau entwickelt und möchte den Erzählungen über sie keinen Glauben schenken. Helen vertraut Gilbert daraufhin ihr Tagebuch an. Der viktorianische Mann, der ein klares Bild von der Gesellschaft hatte, taucht ein in Helens toxische Ehe und versteht nach und nach, welchen Hürden Frauen in missbräuchlichen Partnerschaften gegenüberstehen und wie die Gesellschaft Frauen benachteiligt und ausgrenzt.

Der Roman ist für seine Zeit revolutionär und stellt sich gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Anne zeigt die Missstände verständlich auf und kritisiert die gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Auch in der heutigen Zeit ist der Roman durchaus noch lesenswert, um die Lebensrealität von Frauen vor knapp 200 Jahren nachvollziehen zu können.

10 Jahre Digitur: Ein Blick zurück

2013 werden in Deutschland 21,5 Millionen E-Books verkauft, das satirische Onlinemagazin Der Postillon erhält den Grimme Online Award und Wolfgang Herrndorfs digitales Tagebuch Arbeit und Struktur erscheint als Buch im Rowohlt Verlag. In diesem Jahr entsteht Digitur – ein Blog, der sich mit „Literatur in der digitalen Welt“ beschäftigen möchte. Seitdem hat sich nicht nur unser Blog, sondern auch der Literaturbetrieb gewandelt und die digitale Entwicklung ist weiter fortgeschritten. Das Digitale ist auch in der Buchbranche zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Im Zuge der Corona-Maßnahmen der vergangenen Jahre konnten wir weitere Sprünge in diesem Bereich erleben.

Anlässlich unseres Jubiläums möchten wir heute auf zehn Jahre Digitur zurückschauen. Wie ist das Blogprojekt entstanden? Was hat die Redaktion seitdem erlebt? Welche Themen haben wir besprochen und wie hat sich unser inhaltlicher Schwerpunkt im Laufe der Jahre entwickelt? Weiterlesen

10 Jahre Digitur: Wir feiern Jubiläum!

Wir haben Grund zum Feiern: Am 13. Oktober 2013, vor genau zehn Jahren also, ging der erste Digitur-Blogpost online. Deshalb lassen wir heute Konfetti regnen und schwelgen in unseren liebsten Erinnerungen an unsere bisherige Zeit mit Digitur.

In den kommenden Wochen möchten wir hier auf dem Blog zurück und in die Zukunft schauen. Wie ist Digitur entstanden? Was ist seitdem alles passiert? Und was wünschen wir unserem Blog für die nächsten Jahre? Wir freuen uns darauf, euch auf diese kleine Zeitreise mitzunehmen!

Wir, die aktuelle Digitur-Redaktion, danken dem Gründungsteam und allen ehemaligen Redaktionsmitgliedern für ihre Arbeit am Blog, Dr. Thomas Ernst für die Initiierung, dem Team der Literatur und Medienpraxis an der UDE für die Unterstützung und nicht zuletzt natürlich unseren Leser*innen. Wir freuen uns auf die Zukunft mit Digitur!

Fundstück: „Hotel Matze“

Abwechslungsreich, interessant, berührend. (Quelle Foto: Louisa Schückens)

Dieser Podcast ist schon seit rund drei Jahren ein so treuer Begleiter für meine Neugierde nach Menschen und ihren Geschichten, dass mir über diese ganze Zeit nie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde in den Sinn kam, Hotel Matze einmal als Fundstück vorzustellen – ich hole dies hiermit nach, endlich.

Bereits seit 2016 unterhält sich Matze Hielscher in Hotel Matze mit Menschen, die er spannend findet – meist sind sie sehr bekannt, manchmal auch nicht. Manche Gespräche dauern rund eine Stunde, andere fast drei. Es gibt am Schluss immer “drei schnelle Fragen fürs Ende.”Hielscher möchte herausfinden, wie seine Gäst*innen denken, was sie ausmacht, wie sie geworden sind, wer sie sind: Er fragt nach der Kindheit und prägenden Erfahrungen, nach Routinen, Konfliktpunkten, Herausforderungen und Erfolgen. Jede Folge ist ein Interview, aber vor allem ein Gespräch. Neben sehr guter Vorbereitung und ernsthaftem Interesse seitens des Gastgebers zeichnet diesen Podcast aus, dass die Folgen so lang sind, wie die Gäst*innen Zeit mitbringen. Und so ist es kein Wunder, dass die Liste mit jenen, die schon im Hotel Matze zu Gast waren, illustre Namen enthält: Nina Chuba, Benjamin von Stuckrad-Barre, Juli Zeh, Olaf Scholz, Düzen Tekkal, Danger Dan oder immer mal wieder Philip Siefer und Sibylle Berg sind nur einige der Menschen, mit denen Matze Hielscher im Podcast schon gesprochen hat. Dabei ist vollkommen nebensächlich, welchen Bekanntheitsgrad die Gäst*innen mitbringen, das Ziel jeder Folge ist ein offenes, konstruktives und ehrliches Gespräch zwischen den zwei Personen hinter dem Mikrofon. Schlicht, tiefgründig. Eine kleine Zeitkapsel für Ruhe und Besinnung in einem durchgetakteten Alltag.

Hotel Matze ist ein Podcast von Mit Vergnügen und unter anderem über Spotify, Apple und Deezer abrufbar.

Bücherverbote in den USA: Wie eine App Widerstand leistet

Eine App macht verbotene Bücher in den USA zugänglich. (Bild: Eva Beckmann)

Bei 451° Fahrenheit fängt ein Buch Feuer – so schreibt es zumindest Ray Bradbury in seinem berühmten Roman, der nach dieser Temperatur betitelt ist. Bücher sind in dieser Dystopie verboten. Wenn ein Buch noch nicht vernichtet worden ist, wird es verbrannt. Rebellen verstecken ihren illegalen Besitz zwar beharrlich, doch ganze Regale voll bedrucktem Papier sind nur schwer zu verbergen…

Und Bradburys Roman selbst? Der steht in vielen US-amerikanischen Schulen und Bibliotheken auf dem Index. Sogenannte „Banned Books“ sind in den USA keine Seltenheit. Online finden sich ganze Listen mit Titeln, die in verschiedenen Schulen und Bibliotheken nicht in den Regalen stehen dürfen. Seit 2021 ist die Zahl der Bücherverbote besonders rasant angestiegen. In Form von E-Books werden die unerlaubten Texte seit kurzem dennoch in die Zensurräume eingeschleust. Weiterlesen

Fundstück: „Kartonwand“ von Fatih Çevikkollu

In der kleinen Wohnung, in der Fatih Çevikkollu mit seinen zwei Brüdern und seinen Eltern aufwuchs, stapelten sich die Umzugskartons. Nicht etwa, weil die Familie erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen war und noch keine Zeit zum Auspacken gehabt hatte, sondern weil sie ihre baldige Rückkehr in die Türkei plante. Fatih Çevikkollus Eltern verpackten alles, was sie sich in Deutschland als sogenannte ‚Gastarbeiter‘ erarbeitet hatten, in Kartons, um es für ihr späteres Leben in der Türkei aufzusparen.

„In vielen Religionen winkt das Paradies, wenn man sich vorher gut verhält. Für die Arbeitsmigrant:innen winkt die paradiesische Heimat, wenn man vorher brav schuftet.“

Migration und psychische Krankheiten

Foto von Kartonwand von Fatih Çevikkollu auf einem Umzugskarton liegend

In „Kartonwand“ erzählt Fatih Çevikkollu seine Familiengeschichte (Foto: Luca Gerke)

Zum Rückzug der Familie kam es jedoch nie. Allein Fatih Çevikkollus Mutter zog um 2000 ins türkische Mersin, nachdem sie psychisch krank geworden war. Mit ihrem Tod beginnt Fatih Çevikkollu, sich Gedanken darüber zu machen, ob ein Zusammenhang zwischen der Migration seiner Eltern und der psychischen Krankheit seiner Mutter bestehen könnte. Denn auch wenn Migration allein keine psychischen Krankheiten auslöst, leiden Einwander:innen und ihre Nachfahren überdurchschnittlich häufig an psychischen Erkrankungen.

Anekdotenhaft erzählt Fatih Çevikkollu von seiner Kindheit, die geprägt war von Teilnahmslosigkeit und Gewalt im Elternhaus sowie einer gesamtgesellschaftlichen Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen. Außerdem spricht der Schauspieler und Kabarettist mit Weggefährt:innen seiner Eltern, um nachvollziehen zu können, wie es zur Krankheit seiner Mutter kam.

Kartonwand stößt eine längst überfällige Diskussion über Arbeitsmigration, psychische Erkrankungen und vererbte Traumata an.

Kartonwand ist für 18,00 € bei Kiepenheuer & Witsch erhältlich.

„Über Menschen“ von Juli Zeh

Vielschichtig, humorvoll, chronistisch. Quelle Cover: Luchterhand Literaturverlag.

Dora lebt mit ihrem Partner Robert und ihrer kleinen Hündin Jochen in einem Berliner Altbau, als im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie ausbricht. Er ist Journalist, sie arbeitet in einer Werbeagentur als Senior-Texterin. Als die Beziehung über Roberts extremes Engagement für die Einhaltung von Corona-Maßnahmen und Klimaschutz in die Brüche geht, erfüllt sich Dora ihren Traum von einem Eigenheim auf dem Land und kauft kurzerhand ein altes Gutsverwalterhaus in Brandenburg. Da ihre Agentur mit dem Lockdown den Betrieb ebenfalls gänzlich auf Homeoffice umgestellt hat, stellt sie sich leben und arbeiten aus einem verwilderten Garten und vor allem außerhalb der Stadt doch recht idyllisch vor.

Von der Großstadt ins Nirgendwo

Bracken ist ein kleines Dorf irgendwo in der Prignitz. Dora richtet sich in dem großen Haus am Ortsrand mit dem Küchenbestand aus ihrer Studierendenzeit so gut ein, wie es geht. Sie hat viele nicht zusammenpassende Tassen, funktionierendes Internet und sehr viel Motivation, den Garten von Unkraut und Schrott zu befreien, um dort Gemüse zu pflanzen.

Stück für Stück lernt Dora den Rest des Dorfes kennen. Da ist ihr berggroßer Nachbar Gote, der sich als Dorfnazi vorstellt und ihr ein Bett baut, weil er gesehen hat, dass sie noch keins hat. Da ist das schwule Paar Steffen und Tom, das ihr netterweise ein Fahrrad leiht und mit ihr Einkaufen fährt, weil der Bus nicht kommt. Da ist Sadie, die alleinerziehend ist, in einer Gießerei Nachtschichten schiebt und mit einer Tüte Saatkartoffeln ins Haus fällt, weil sich herumgesprochen hat, dass Dora keine mehr bekommen hat. Ruppige, direkte Menschen, die sich gegenseitig unter die Arme greifen, weil man das auf dem Dorf eben so macht; nicht unbedingt, weil man sich mag.

Weiterlesen

Kein Sommer ohne Bücher! – Teil 2

Hallo Zusammen und willkommen zu Teil 2 unseres Sommerspecials. Diesmal ganz im Sinne der großen, aber auch kleinen Gefühle. Rebecca empfiehlt den Roman Koller von Annika Büsing, der zwei junge Männer auf ihrer Reise an die Ostsee begleitet und dabei Tiefen über die emotionale Welt der Protagonisten offen legt. Pias Empfehlung ist Der große Sommer von Ewald Arenz. Auch hier ist die Erforschung der eigenen Gefühlswelt, aber auch das Entdecken der Vergangenheit ein goßes Thema des jungen Protagonisten Frieder.

Beide Romane eignen sich ideal für die momentane schwankende Wetterlage – perfekt für entspannte Zeiten auf dem Weg in den Urlaub oder für heiße Tage im Freibad – so wie die Protagonisten aus unseren Romanen!

Und damit wünschen wir euch einen erholsamen, warmen und friedlichen Sommer!

Weiterlesen

Kein Sommer ohne Bücher! – Teil 1

Sonne, See und Sommerlektüre – so verbringen wir unsere Tage in der Jahresmitte am liebsten. Bild: Bibliotheek Bornem via Pixabay

Der See ruft – und euch fehlt noch das passende Buch für die Picknickdecke? Keine Sorge, Digitur ist zur Stelle! Wie in jedem Jahr empfehlen wir euch unsere liebsten Sommerlektüren.

Wer gern in Neuerzählungen der griechischen Mythologie schmökert, wird mit Johannas Empfehlung bestimmt die richtige Leseentscheidung für den Sommer treffen. Genug von Griechenland im Sommer? Wie wäre es stattdessen mit einer literarischen Reise in die Türkei? Lucas Empfehlung beschäftigt sich mit Identität und den Strukturen einer Familie, die nach dem Tod des Vaters in Istanbul zusammenkommt. Und wenn ihr im Sommer gern bis spät in die Nacht auch mal allein unterwegs seid, könnte Evas Lektüretipp passend für euch sein. Weiterlesen