„Tribes of Europa“: Endzeitserie mit Luft nach oben

In Netflix‘ neuer Endzeitserie „Tribes of Europa“ kämpfen drei Geschwister um ihr Überleben in einer zerrütteten Welt. Bild: Netflix

Netflix Deutschland konnte erst kürzlich mit „Barbaren“ an den Erfolg von „Dark“ anknüpfen. Um das Trio perfekt zu machen – denn aller guten Dinge sind schließlich drei – ist seit Freitag eine neue Serie auf der Streaming-Plattform abrufbar, die vor allem Sci-Fi-Fans erfreuen sollte. In „Tribes auf Europa“ haben sich nach einem globalen Blackout, welcher als der ‚Schwarze Dezember‘ thematisiert wird, die Strukturen gewandelt. Es gibt keine Länder und keine friedliche Koexistenz mehr. Stattdessen existieren im Jahr 2074 zahlreiche Mikrostaaten, die Tribes, welche um die Vorherrschaft des Kontinents kämpfen. Drei Geschwister müssen sich ihren Weg durch diese chaotische Welt bahnen, wobei sie mehrfach vor (moralische) Herausforderungen gestellt werden.

Im Mittelpunkt der sechsteiligen Serie stehen die Geschwister Liv (Henriette Confurius, „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“), Kiano (Emilio Sakraya, „Warrior Nun“) und Elja (David Ali Rashed, „Tigermilch“), die dem in der Abgeschiedenheit des Waldes lebenden Stammes Origines angehören. Denn nachdem im Dezember 2029 alle technischen Systeme aufgrund eines (unbekannten) Unglücks kollabiert sind, besteht Europa nur noch aus Zwergstaaten, die jeweils ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben. Eines Tages stürzt ein mysteriöses Hoverjet in den Wäldern ihres Tribes ab. Der sterbende Pilot überreicht Elja einen Cube, der die Menschheit vor einer Bedrohung aus dem Osten retten soll. Dafür muss dieser zur Arche, dem Hauptquartier seines Stammes Atlantier, gebracht werden. Die Crows, ein brutaler Stamm im Diktaturstil, haben es jedoch zu ihrem primären Ziel gemacht, das geheimnisvolle Würfelartefakt in ihren Besitz zu erlangen, sodass sie die Origines unerwartet attackieren. Bei dem Angriff werden die drei Geschwister getrennt. Kiano wird als Sklave ins ehemalige Berlin gebracht, Liv schließt sich dem Militrätribe der Crimsons an und Elja, der mit dem Cube flüchten konnte, trifft auf dem Weg zur Arche den Trödelsammler Moses (Oliver Masucci, „Dark“), der nicht bei allen beliebt ist…

 

Mischung aus „Mad Max“ und Young Adult-Romanen

Obwohl der Stoff aus der Hand von Philip Koch („Tatort“) nicht auf einer Vorlage basiert, wirkt an der Serie doch vieles vertraut. So ähnelt zum Beispiel die erste Szene sehr stark an die erfolgreiche Dystopiereihe „Die Tribute von Panem“. Wenn die weibliche Hauptfigur Liv mit ihren beiden Brüdern und einer Armbrust im Wald jagen geht und plötzlich mit Karacho ein modernes Hoverjet angeschossen kommt, fühlen wir uns an die erste Szene von Katniss und Gale in Distrikt 12 erinnert. Während nach dem Absturz Kianos Neugierde an dem unbekannten Jet entfacht ist und er Liv dazu drängt, sich dieses  genauer anzuschauen, denkt die junge Frau an die Sicherheit ihrer Familie und weist ihren Bruder vorerst zurück. Wie in den „Hunger Games“ hat in dieser Konstellation die Protagonistin, deren Verhalten zwar von Mut aber auch von Rationalität geprägt ist, das Sagen. Auch optisch haben die Figuren sehr viel miteinander gemein. Liv hat braune, gewellte Haare und trägt einen Pferdeschwanz, während Kiano unter seinem Hemd ein Sixpack versteckt. Wie alle Mitglieder der Origines tragen sie alternative und einfache Kleidung, die farblich den Gegebenheiten des Waldes angepasst ist.

Dient den Crimsons, einem Militärtribe, als Camp: das Denkmal von Petrova Gora. Bild: CCO pixabay

Mal abgesehen davon, dass die Existenz verschiedener Tribes mit diversen Ansichten auch an die „Divergent“-Trilogie denken lässt, gibt es in „Tribes of Europa“ Momente, die an „Mad Max“ angelehnt sind. Als Beispiel kann der Stützpunkt der Crimsons, das Denkmal von Petrova Gora genannt werden, welches futuristisch angehaucht ist (Der Clou dahinter ist, dass es sich bei diesem Denkmal um eine Gedenkstätte der Widerstandskämpfer:innen im Zweiten Weltkrieg handelt). Auch sonstige Autos und Gebäude erinnern an den Film aus den 1970er-Jahren.

Die Szenen in der Arena der Crows kommen wahrscheinlich vor allem Berliner:innen bekannt vor. Denn die vielen SM-Outfits der Anwesenden, der Konsum von Drogen und Technomusik spiegeln den berühmten Nachtclub „Berghain“ in der Hauptstadt wider.

 

Comedy vs. unbegrenzte Brutalität 

Den vielen actiongeladenen und dramatischen Szenen, die häufig von Gnadenlosigkeit gekennzeichnet sind, stehen komische Elemente gegenüber. Dazu zählt nicht nur die denglische Aussprache des Kontinents „Ju-ropa“. Insbesondere die Figur des ominösen Schrotthändlers Moses sorgt mit seinen Aussagen wie „Technik, batsch aus! […] Und dann? Das Mittelalter!“ oder „Oh fuck!“ für ein Grinsen im Gesicht des:der Zuschauer:in. Hinzu kommt sein nicht enden wollendes Gerede, mithilfe dessen er seine unbeholfene Art überdecken und sich aus prekären Situationen retten möchte. Auch wenn es aufgrund ihrer Brutalität zunächst verwunderlich erscheint, gibt es auch im Tribe der Crows eine Figur, die humoristisch angelegt ist. Dabei wird ein bewährtes Klischee erfüllt, denn es handelt sich dabei um ihren Anführer Ivar (Sebastian Blomberg, „Curveball“). Dieser ist sowohl grausam und zeugt von einer Portion ungesundem Egoismus als auch total überdreht und weist daher wenn auch nicht gleich bipolare, in jedem Fall aber psychisch gestörte Züge auf. Sein Outfit – Schuhe mit hohem Absatz, ein starkes Makeup und ein eleganter Mantel – fügen sich in das Gebilde einer komischen Figur ein.

 

Am Ende bleibt die Hoffnung

Achtung, Spoilergefahr!

Am Ende der ersten Staffel bleiben viele Fragen weiterhin offen. Noch immer ist unklar, was 2029 zu dem globalen Blackout geführt hat oder welche gefährliche Bedrohung die Tribes erwartet. An den Zuständen in Europa hat sich ebenfalls nichts geändert. Die Crows stellen mit ihrer Unbarmherzigkeit und ihrem fehlenden Verständnis für Gerechtigkeit, Moral und Frieden immer noch die größte Gefahr dar, die es in der Serie gibt. Es werden von den Crimsons zwar Pläne für einen Gegenangriff geschmiedet, diese werden jedoch aus eigenen Reihen vereitelt, sodass die Crows keinen wirklichen Widersacher fürchten müssen und weiterhin Gefangene als Sklaven nehmen. Dazu zählt letztlich auch Kiano, der für sich zwar eine Möglichkeit findet, dem Ausbruch ein Stück näher zu kommen, allerdings verlangt diese ein großes Opfer. Liv versucht bis zum Ende, ihre Bekanntschaft mit anderen Tribes nutzen, um ihre Familie zu befreien. Sie irrt dabei jedoch mehr umher, als wirklich einen Schritt vorwärts zu gelangen. Immerhin gelingt es Elja, der langsam eine tiefe Freundschaft zu Moses aufgebaut hat, mithilfe des Cubes die Arche zu finden. Interessant ist an dieser Stelle, dass in der Endzeitserie der Mensch selbst der größte Feind seiner Spezies ist. Der Klimawandel wird komplett außer Acht gelassen, es herrscht an allen Handlungsorten ein mildes Klima ohne Regentage.

„Tribes of Europa“ ist demnach eine ambitionierte Serie, die durch actiongeladene Szenen, authentische Drehorte, Requisiten und Kostüme überzeugt. Man merkt der deutschen Produktion an, dass Netflix diese gefördert hat. Auch dem Talent der Schauspieler:innen ist bei Weitem nichts entgegenzusetzen. Ihr fehlt einzig und allein noch ein wenig mehr eigener Charakter, sodass für die Zuschauer:innen dasselbe gilt wie für die Hauptfiguren: die Hoffnung, dass es in der zweiten Staffel noch besser wird.

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