„War ich heute Morgen beim Aufstehen noch dieselbe? Mir ist es doch fast, als wäre ich mir da ein wenig anders vorgekommen. Aber wenn ich nicht mehr dieselbe bin, muss ich mich doch fragen: Wer in aller Welt bin ich denn dann? Ja, das ist das große Rätsel!“
Die Welt steht Kopf für Alice, als sie dem weißen Kaninchen in seinen Bau folgt und im Wunderland wieder herauskommt. Traum und Wirklichkeit verschwimmen, die Logik folgt ihren ganz eigenen Gesetzen. Es ist ständig Zeit für den Fünf-Uhr-Tee mit dem verrückten Hutmacher, der Haselmaus und dem Märzhasen. Also schnappt euch eine Tasse Tee und feiert den 4. Juli in möglichst kurioser Gesellschaft. Denn der heutige Tag steht ganz im Zeichen von Alice im Wunderland! Neben Fans auf der ganzen Welt, feiert auch das The Story Museum in Oxford die Geburtsstunde des Klassikers der Kinderliteratur. Am sogenannten Alice’s Day gibt es jede Menge kreative Veranstaltungen in der ganzen Stadt.
Warum der 4. Juli? An diesem Tag im Jahr 1862 wird die Geschichte rund um Alice und ihre Abenteuer zum ersten Mal ins Leben gerufen. Lewis Carroll (1832-1898), das Pseudonym von Charles Lutwidge Dodgson, ist Mathematikprofessor am Christ Church College in Oxford. Am 4. Juli lädt er die Kinder des Dekans, die elfjährige Alice Liddell und ihre beiden Schwestern, zu einer Bootsfahrt auf der Themse ein und erzählt ihnen die wundersame Geschichte. Drei Jahre später veröffentlicht Carroll sie als Alices Abenteuer im Wunderland. Zu Weihnachten 1871 erscheint der zweite Teil: Alice hinter den Spiegeln und wird ein noch größerer Erfolg. Zu ihren Leser*innen gehören unter anderem der junge Schriftsteller Oscar Wilde und Königin Victoria.
Wir lernen Figuren wie den Dodo, die Grinsekatze, den verrückten Hutmacher, den Märzhasen, die Haselmaus, das Weiße Kaninchen sowie den Herzbuben und die Raupe kennen. Im zweiten Buch kommen noch Diedeldum und Diedeldei, die Weiße Königin und die Rote Königin, aber auch der Bandersnatch, der Jubjub-Vogel, der Jabberwocky und die Snapdragon-Fliegen hinzu. Ein Meisterwerk der Nonsensliteratur – eine literarische Gattung, die nicht einfach nur „Unsinn“ bedeutet, sondern als regelhaft betriebene Sinnverweigerung beschrieben wird. Die absurden Dialoge besitzen ihre ganz eigene Logik und beeinflussen nicht zuletzt die Bewegung der Dadaisten und Surrealisten.
Die kleine Alice Liddel dient Carroll als Inspiration. Denn der unsichere Engländer fühlt sich eigentlich nur in der Gesellschaft kleiner Mädchen wohl und unterhält sie – plötzlich ganz ohne zu stottern – mit seinen Geschichten. Er hält sie in Fotografien fest und das meist nackt, was für das viktorianische Zeitalter jedoch nicht unüblich war. Doch plötzlich zerbricht die Freundschaft mit der Familie Liddell im Juni 1863. Die Ursache dafür kann nur spekuliert werden, denn Tagebücher aus der Zeit sind verschollen und die zahlreichen skurrilen Briefe an Alice und weitere Mädchen wurden von deren Müttern vernichtet. Man vermutet eine Verliebtheit in Alice oder sogar eine Liebesbeziehung mit ihrer ältesten Schwester Ina. 1898 stirbt Carroll einsam und zurückgezogen an den Folgen einer Bronchitis.
Trotz dieser eher umstrittenen Entstehungsgeschichte ist die Bedeutung seiner Romane alles andere als das: Von manchen sogar als Prototyp kinderliterarischer Fantastik angesehen, ist ihr Erfolg auch eng verknüpft mit unzähligen medialen Adaptionen. 1951 wird Alice im Wunderland von Walt Disney verfilmt (die erste Verfilmung ist jedoch ein Stummfilm aus dem Jahr 1903), danach folgen viele weitere Filme, Computer- und Konsolenspiele, Hörbücher und Apps. Bei einer App handelt es sich um das Augmented Reality Erlebnis Alice im Wunderland AR Quest, das es bisher nur im App Store gibt. In eurem Zimmer betretet ihr das Portal ins Wunderland und nehmt an einer Tee Party teil. Wenn man nicht zahlt, ist es ein nur sehr kurzes Vergnügen, das aber dennoch Lust bereitet auf diese spannende neue Art des Spielens. Sogar eine Programmiersprache für 3D-Animationen ist von Lewis Carroll inspiriert. Mit dem Namen Alice wollen die Macher der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA, zeigen, dass etwas so komplexes wie Programmieren auch Spaß machen kann.
Langweilt euch die Erwachsenenwelt auch gerade? Dann ist heute der perfekte Tag, um der eigenen Logik zu folgen, eurer Phantasie freien Lauf zu lassen und euch einfach mal zu fragen: Wer bin ich eigentlich?
„So trat das Wunderland gemach ans Tageslicht heraus, Ward Stück für Stück euch vorgestellt: Nun ist das Märchen aus. Und fröhlich schaukelt jetzt das Boot im Abendlicht nach Haus.“