Fundstück: Im Westen nichts Neues

Bildquelle: Rebecca Voeste
Bildquelle:Rebecca Voeste

Ein Plädoyer für Erich Maria Remarques Roman

Die Netflix-Neuverfilmung von Im Westen nichts Neues unter Regisseur Edward Berger popularisiert die Romanvorlage von Erich Maria Remarque. Vor den aktuellen weltweiten Konflikten ist Im Westen nichts Neues als Anti-Kriegsmanifest genauso aktuell wie in seinem Erscheinungsjahr 1928. Entsprechend hält sich der neunfach für den Oskar nominierte Film hält seit Monaten in den Netflix-Charts.

Wer von der Neuverfilmung – die dritte und erste deutsche – angetan, erschüttert oder gerührt ist, dem empfehle ich von Herzen Erich Maria Remarques Roman, einen Klassiker der Deutschen Literatur.

Film und Buch erzählen die Geschichte von dem jungen Soldaten Paul Bäumer, der mit seinen Freunden von der Schulbank an die französisch-deutsche Front im Ersten Weltkrieg geschickt wird. Wortgewaltig beschreibt Remarque die Verzweiflung der sogenannten verlorenen Generation angesichts des Todes, ihre Entwurzelung aus allem, was sie kannten; die rettende Kameradschaft untereinander und immer wieder das nagende Warum. Zwischen Granaten, spanischen Reitern, sterbenden Pferden und Tod drängt sie sich Paul auf: die Frage nach dem Grund für Krieg, Kampf und Hass.

Remarques Schilderungen erschüttern durch die Nahbarkeit der Monologe und den eindringlichen, fokussierten Schreibstil. Mit einem pazifistisch kritischen Blick auf deutsche Kriegspolitik (für seine damaligen Zeitgenossen zu kritisch) schildert Remarque das bedrückende Kriegserleben – das als Soldat auch sein eigenes ist. Im Westen nichts Neues ist ein zeitloses Mahnmal gegen Gewalt der Menschen aneinander.

„Der Soldat mit den großen Stiefeln und dem zugeschütteten Herzen, der marschiert, weil er Stiefel trägt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am Horizont nicht Blumen und Teiche und eine Landschaft, die so still ist, daß er weinen möchte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch für ihn vorüber? Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?“

The Girls aren’t Alright

Einfach mal so richtig ausschlafen. Mittags aufstehen, zur Bäckerei schlendern, gemütlich frühstücken und dann mal sehen, was der Tag so bringt – nach einer anstrengenden Klausuren- oder Hausarbeitenphase muss das sein. Wie wäre es aber, ein ganzes Jahr durchzuschlafen und die wache Zeit allein damit zu verbringen, sich möglichst effizient auf den nächsten Schlaf vorzubereiten?

Schlaf auf Rezept

Genau dies tut die Protagonistin des Romans My Year of Rest and Relaxation (dt. Mein Jahr der Ruhe und Entspannung) von Ottessa Moshfegh. Die namenlose Ich-Erzählerin ist Mitte zwanzig, hat Kunstgeschichte studiert, kann sich mit dem Erbe ihrer Eltern eine Eigentumswohnung in New York leisten und braucht sich generell um ihre Finanzen keine Sorgen zu machen. Sie hat direkt nach dem Studium einen Job in einer Kunstgalerie ergattert, ist schlank und schön. Trotzdem hat sie das Bedürfnis, dieses Leben, um das sie viele beneiden würden, zu verschlafen. Mit Hilfe ihrer moralisch fragwürdigen Psychiaterin Dr. Tuttle, die ihr mit Vergnügen eine absurde Menge an Schlaf- und Beruhigungsmitteln verschreibt, lässt sich die Protagonistin in einen konstanten Dämmerzustand versetzen.

Ziel der Protagonistin des Romans ist es, ein ganzes Jahr zu durchzuschlafen. (Quelle: Penguin Random House)

Weiterlesen

Fundstück: Ein Sommernachtstraum à la Beyoncé

Theater mal von zu Hause: A Midsummer Night’s Dream bei National Theatre Live at Home (Bild: Hannah Mallwitz)

Ein magischer Wald und sein streitendes Königspaar – so beginnt fast jede Inszenierung von Shakespeares Ein Sommernachtstraum. Doch was haben Trapeze und Beyoncés Musik dort verloren?

Die Zeit, in der die einzige Möglichkeit, Theaterstücke zu sehen, über Aufzeichnungen und Onlinestreams war, ist zum Glück vorbei. Und dennoch sind professionelle Theateraufzeichnungen ein Medium, das gekommen ist, um zu bleiben. Das britische National Theatre war bereits vor Corona ein Vorreiter in dieser Technik und strahlte seine Inszenierungen weltweit in Kinos aus. 2020 stellten sie ihre bereits gefilmten Werke schließlich zu einem neuen Streamingdienst zusammen: NT Live at Home.

In Nicholas Hytners Inszenierung von Ein Sommernachtstraum aus dem Jahr 2019 treffen Shakespeares bekannte Held:innen auf eine völlig neue Art und Weise aufeinander. Durch neu zugeordnete Textpassagen entstehen zwei Wirklichkeiten: Die patriarchale Welt Athens, in der Hippolyta (Gwendoline Christie) ihrem Mann Theseus (Oliver Chris) unterworfen ist und ein umgekehrtes Machtverhältnis zwischen Titania und Oberon, was dazu führt, dass Oberon derjenige ist, der sich in den zum Esel gewordenen Bottom (Hammed Animashaun) verliebt.

In dem spektakulären, teils schwebenden, Bühnenbild werden die Zuschauer:innen Teil des Bühnenbilds und die Elfen, angeführt von Puck (David Moorst) sind mitten unter ihnen und spielen mit ihrer Aufmerksamkeit.

Ein Sommernachtstraum ist eine von Shakespeares beliebtesten Comedies und diese für National Theatre Live gefilmte Produktion gewinnt durch ihre modernen Twists und popkulturellen Anspielungen zusätzlich an Modernität und Faszination.

Die gefilmte Liveaufführung von A Midsummer Night’s Dream gibt es auf dem Streamingdienst National Theatre at Home zu sehen.

Fundstück: „The Island of Missing Trees“ von Elif Shafak

Quelle: Johanna Jendrysek

The Island of Missing Trees oder zu Deutsch Das Flüstern der Feigenbäume ist ein Roman der britisch-türkischen Autorin Elif Shafak und behandelt den Bürgerkrieg in Zypern im Jahr 1974 und dessen Folgen nicht nur für die dortige Bevölkerung, sondern auch für nachfolgende Generationen.

Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt – ein etwas außergewöhnlicher Erzähler ist hier der Feigenbaum, der sowohl Einblicke in die Vergangenheit als auch die Zukunft gewährt. In der Vergangenheit begleiten wir unter anderem durch seine Augen das Liebespaar Kostas und Defne, ihre heimlichen Treffen in der Taverne „Zur glücklichen Feige“, die von dem schwulen Paar Yusuf und Yiorgos betrieben wird und zuletzt die Trennung des jungen Paares auf Grund des Bürgerkriegs. In der Gegenwart verfolgen wir das Leben von Ada, der Tochter von Kostas und Defne. Sie lebt mit ihrem Vater in London und spürt die Auswirkungen der Vergangenheit auch heute noch. Während ihr Vater über die Vergangenheit schweigt, versucht sie herauszufinden, was damals tatsächlich geschah.

Shafak schreibt in einem fast schon poetisch anmutenden Schreibstil und schafft es, die verschiedensten Aspekte zu thematisieren: es geht um Herkunft und Identität, Liebe und Schmerz, Glaube und Hoffnung.

Neben den Protagonisten finden sich noch einige andere liebevoll ausgearbeitete Figuren, die die Geschichte umso lesenswerter machen. Der Roman wurde im Jahr 2022 für den „Women’s Prize for Fiction“ nominiert und landete sogar auf der Shortlist.

Kein Weihnachten ohne Bücher! Teil 4

Miin Bücher, die als Baumschmuck an einem Tannenbaum hängen

Quelle: Pixabay/Vlad Vasnetsov

Frohen 4. Advent und damit Hellou zum letzten Teil unseres Weihnachtsspecials ihr Lieben! Also schnappt euch eine Kuscheldecke und lasst den Vorweihnachtsstress für ein paar Stunden einfach mal links liegen. Denn hier kommen zwei Empfehlungen, die euch das Herz aufgehen und die das Fantastische in euer Wohnzimmer einziehen lassen.
Charlotte empfiehlt heute einen Roman, der wunderbar über das Grundbedürfnis der menschlichen Zuneigung erzählt. Noras Lesetipp ist der Beginn der Young Adult High Fantasy Reihe, die euch in ein beeindruckenes Universum rund um Magie und Assassinen mitnimmt.

Weiterlesen

Fundstück: Iran. Die Freiheit ist weiblich.

„Frau. Leben. Freiheit.“ – Dieser Satz kursiert seit nunmehr einigen Monaten im Netz und verweist auf die insbesondere für Frauen katastrophale Situation im Iran. Golineh Atais Buch Iran. Die Freiheit ist weiblich, das im Dezember 2021 erschienen ist, gewährt einen Einblick in die Zeit, bevor die Proteste in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Es werden die Lebensgeschichten von verschiedenen Freiheitskämpfer:innen und Aktivist:innen erzählt, die sich dazu entschieden haben, gegen die Unterdrückungen der Islamischen Republik Iran anzukämpfen, indem sie Freiheit für alle fordern.

Die im Buch thematisierten tragischen und ungerechten Schicksale der Frauen und ihrer Familien zeigen, wie sich das Leben der einst freien Frauen im Iran in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Von einem Staat, in dem Frauen sorglos arbeiten und zur Schule gehen konnten, hin zu einem Staat der Unterdrückung und Verschleierung. Es wird deutlich, wie sehr das korrupte System nicht nur den Frauen, sondern allen Menschen des Landes schadet, wie Todesfälle vertuscht und Aktivist:innen eingeschüchtert und bedroht werden. Gleichzeitig erfährt man von Nächstenliebe und davon, wie Familien im Angesicht des Schreckens zusammenrücken und sich stärker vereinen als je zuvor.

Doch nicht nur der Zusammenhalt der Iraner:innen untereinander ist wichtig, auch die mediale Aufmerksamkeit aus aller Welt spielt eine bedeutende Rolle: Je mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wird, umso sicherer fühlen sich die Aktivist:innen dabei, Widerstand zu leisten. Wie Roya, eine der Protagonistinnen des Romans, verdeutlicht:

„Nichts ist für diejenigen, die gegen Tyrannei kämpfen, so demobilisierend, wie unsichtbar oder vergessen worden zu sein. […] Die Stärke der Verfolger liegt in ihrer Fähigkeit, die Verfolgten davon zu überzeugen, dass die Welt sie nicht hört, dass sie irrelevant sind.“ (S.298).

Und genau das Gegenteil ist der Fall. Bücher wie Iran. Die Freiheit ist weiblich helfen dabei ein mediales Interesse am Iran zu generieren und diejenigen zu sehen, die das System unsichtbar machen will.

Kein Weihnachten ohne Bücher 2022! Teil 3

Eine Frau hält in der rechten Hand ein Buch und in der linken Hand eine Tasse Kaffee. Sie trägt dicke Socken, neben ihr liegen Bücher.

Bild: Thought Catalog / Unsplash

„Last Christmas“ in Dauerschleife, Schnäppchen shoppen am Black Friday, Streitgespräche beim Familienbesuch – die (Vor-)Weihnachtszeit gibt tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Dass der Mensch ein „vernunftbegabtes Wesen“ ist, ist oft, aber nicht immer ein Segen. Darum geht es auch in unseren neuesten Buch-Empfehlungen. Evas Lese-Tipp jagt den Leser*innen Schauer über den Rücken. Karoline stellt ein Buch vor, das zwei Liebenden mit verschiedenen sozialen Hintergründen folgt. Und ich, Elena, lege euch einen Roman ans Herz, der zu Recht zu den Beststellern des Jahres zählt. Neugierig geworden? Viel Spaß beim Lesen!

Weiterlesen

Briefe, oder: die Unsterblichkeit des geschriebenen Wortes

 

Bild: Pixabay/margarita_kochneva

In unserem Special „Kein Weihnachten ohne Bücher“ habe ich euch Little Women von Louisa May Alcott ans Herz gelegt. Was ich an dem Roman besonders wertschätze, sind die vielen Briefe, die die Familie March sich gegenseitig schicken. In ihnen dokumentieren die Charaktere die markanten Ereignisse in ihrem Leben – von Krankheit und Verlust über berufliche Erfolgserlebnisse hin zu persönlichen Meilensteinen. Das geschriebene Wort ist dabei mehr als nur eine Dokumentation von Ereignissen. Vielmehr kommunizieren die Charaktere ihre Gedanken und Träume, erzählen die Geschichten ihres Lebens und verleihen ihren Gefühlen Ausdruck.

„Ein Brief ist ein Gefühlt fast wie Unsterblichkeit“ – Emily Dickinson, 1869

Auch in der Literaturgeschichte sind Briefe kaum wegzudenken. Dicke Buchbände und umfangreiche Sammlungen dokumentieren die Gedanken, Ideen und Entwicklungen großer Autorinnen und Autoren. So können die Leserinnen und Leser von heute die Korrespondenz zwischen Friedrich Schiller und Wolfgang von Goethe nachlesen, sich ein Bild von der DDR aus der Sicht von Christa Wolf und Franz Fühmann machen und Emily Dickinson auf ihrer Lebensreise begleiten. Das sind nur wenige von vielen Beispielen, die sich in der Weltliteratur finden. Auch darüber hinaus erfreuen sich Briefe bis heute an großem Interesse. So hat sich im Weißen Haus etwa eine Tradition entwickelt, nach der ein Präsident sein Amt mit einem Brief an seinen Nachfolger übergibt. Weiterlesen

Fundstück: Feuer & Brot – Ein Podcast „zwischen Politik und Popkultur“

Die Feuer & Brot-Hosts Alice und Maxi (Quelle: Feuer & Brot)

Warum kaufen wir immer noch Fast Fashion, obwohl wir bereits seit Jahren wissen, dass Billigkleidung nicht nur schlecht für die Umwelt ist, sondern auch unter katastrophalen Arbeitsbedingungen produziert wird? Warum können wir nicht alle um fünf Uhr aufstehen, danach Yoga machen, ein gesundes Frühstück zubereiten und schon vor acht Uhr alle E-Mails beantwortet haben, kurz gesagt, That Girl sein? Ist es feministisch, sich für ein Leben als Hausfrau und Mutter zu entscheiden oder sollten wir nicht im Kampf gegen das Patriarchat konsequent auf Heterobeziehungen verzichten?

Diese und ähnlich komplizierte Fragen stellen sich Alice und Maxi regelmäßig in ihrem Podcast Feuer & Brot. Auf komplexe Fragen geben sie komplexe Antworten und nicht selten enden die Podcastfolgen, ohne dass die beiden Freundinnen zu einem eindeutigen Fazit gekommen sind. Alice und Maxi nehmen ihren Hörer:innen keineswegs das Denken ab, sondern präsentieren sie mit Vielleichts und Abers. Trotzdem zeigen sie klare Haltungen und sprechen stets aus einer feministischen, antirassistischen und antikapitalistischen Perspektive. Es gelingt ihnen außerdem, auch bei schwierigen oder abstrakten Themen unterhaltsam zu bleiben.

Meine Mitbewohnerin sagte einmal, gute Podcasts fühlten sich oft so an, als höre man im Zug heimlich bei einem privaten Gespräch mit. Dieses Gefühl kommt auch beim Hören von Feuer & Brot auf. Alice und Maxi sind schon seit Jahren miteinander befreundet, weshalb ihre Podcastfolgen wie ein lockeres Gespräch unter Freund:innen wirken. Sie sprechen nicht nur über Politik, sondern widmen sich auch popkulturellen oder privaten Themen. Daher gibt es für jede:n eine Feuer & Brot-Folgen, die ihn:sie ansprechen wird. Persönliche Empfehlungen sind Folge #36 über True Crime, Folge #74 über die Entrepreneurisierung von Kunst oder Folge #69 über Heterofatalismus.

Kein Weihnachten ohne Bücher 2022! Teil 2

weihnachtliche Dekoration und Tasse mit Marshmallows

Quelle: Pixabay/ymkaaaaaa

Ihr Lieben, wir wünschen euch einen schönen 2. Advent! Der Winter ist endlich da! Passend zu den fröstelnd kalten Temperaturen, möchten wir euch hier nun zwei Empfehlungen mit auf den Weg geben. Freut euch also auf eine Reise in fremdartige, verzaubernde Welten. Taucht mit Piranesi in ein M. C. Escher-esquen Häuserkomplex und erforscht mit ihm die verzweigten Flure des menschlichen Geistes.
Bod aus The Graveyard Book genoß eine andere Form des Großwerdens – er wurde von einem Geist aufgezogen.
Wir wünschen euch mit diesen beiden Schmuckstücken eine schöne Zeit auf der Couch, im warmen und mit einem leckeren Heißgetränk – bei mir ist es ein Becher warmer Kirschmet.

Weiterlesen