„Tick Tick…Boom!“: Der Countdown ins Erwachsenwerden

Was will man mit 30 erreicht haben? Diese Frage umtreibt einen spätestens im Studium, wenn es immer öfter heißt „Und was willst du dann damit machen?“ und „Dann aber schon mit deiner*m Partner*in zusammen, oder?“ Obwohl man objektiv weiß, dass es keine wirklichen Deadlines für das Leben gibt und 30 ‚auch nur eine Zahl‘ ist, schwebt diese magische Grenze wie ein Damokles Schwert über einem. Erfolgsbeispiele wie die Forbes „30 unter 30“-Liste tragen nun nicht dazu bei, den Druck bis dahin sein Leben im Griff zu haben, zu mindern.

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Auch Lin Manuel Mirandas im November 2021 auf Netflix erschienenes Film-Musical „Tick Tick…Boom!“ geht dieser Zeit im Leben nach. Andrew Garfield spielt darin den 29 Jährigen Jonathan Larson, welcher später für sein Rock-Musical Rent bekannt wurde. Jonathans 30. Geburtstag steht kurz bevor und wie viele junge Künstler, die es in New York zu etwas bringen wollen, wird er von den Errungenschaften seiner musikalischen Idole schier erdrückt. Schließlich hatte Steven Sondheim mit 27 bereits „West Side Story“ geschrieben und Paul McCartney seine musikalische Glanzkarriere schon längst gestartet. Die Zeitspanne, seinen Durchbruch am Broadway zu feiern und noch als ‚junges Genie‘ zu gelten, wird in seinen Augen immer knapper. Wenn es nicht bald klappt, ist er nach Eigenaussage kein Musiker mit einem Nebenjob, sondern „ein Kellner mit einem Hobby.“

Wie ein Irrer arbeitet er deshalb seit Jahren an seinem Musical-Debut „Suburbia“, für das es jedoch an Interessenten und Finanzierung mangelt. Hinzu kommen die eigenen Geldprobleme. Jonathan versteht sich nämlich pur als Künstler, als Bohèmian, der nur von und vor allem für seine Musik lebt. Einen besser bezahlten Job in einer Werbegentur anzunehmen, wie sein bester Freund Michael es getan hat, kommt für ihn dem Verkauf seiner Seele gleich und deshalb gar nicht in Frage. Lieber nimmt er unbezahlte Rechnungen und daraus resultierende Stromausfälle in Kauf. Schon hier zieht der Film seine Parallelen zu Jonathans späterem Musical Erfolg „Rent“, welches eine moderne Anlehnung an die Oper „La Bohème“ ist.

Doch dabei bleibt es nicht, denn Jonathans Privatleben ist ebenso turbulent und von Deadlines gespickt wie seine musikalischen Träume. Seine Eltern hatten mit 30 schon einander, ein Haus und ihn. Jonathan hingegen bräuchte dringend einen neuen Mitbewohner und seine Beziehung mit der Tänzerin Susan hängt seit ihrer Entscheidung, einen Job woanders anzunehmen, an seidenem Faden. Auch hier werden weitere Verknüpfungspunkte zu „Rent“ sichtbar, als Jonathans Freunde obendrein mit der AIDS Epidemie zu kämpfen haben, welche die USA in den 80ern den Atem anhalten ließ.

All diese Countdowns, zu Jonathans Fertigstellung des letzten Songs für „Suburbia“, zur Workshop Vorstellung eben jenes Musicals, zu seiner Entscheidung mit Susan mitzugehen oder sich zu trennen, und vor allem zu seinem Geburtstag, durchziehen den Film als hörbares Ticken und versetzen sowohl Jonathan als auch den Zuschauer in einen Gefühlszustand des ständigen keine-Zeit-mehr-habens und sich-jetzt-festlegen-müssens.

Tick Tick…Boom!“ fängt erfolgreich die innere Unruhe ein, die junge Erwachsene in ihren 20ern beschleicht wenn sie an die Zukunft denken. Das Ringen mit den Erwartungen an sich selbst, erfolgreich zu sein und alles möglichst schnell möglichst richtig zu machen, wird wohl ein jeder in sich wiedererkennen können. Im Zusammenspiel mit Larsons mitreißendem Soundtrack und Andrew Garfields ehrlicher Verkörperung des jungen Komponisten ergibt sich ein Film, der ganz Musical un-stereotypisch geerdet bleibt und jede*n Zuschauer*in zumindest irgendwo berühren dürfte.

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