Die Goodreads-App ist von den Smartphones vieler Leser*innen nicht mehr wegzudenken. Sie hilft dabei, den Überblick über gelesene Bücher zu behalten und Inspiration für die nächste Lektüre zu finden. Gleichzeitig kann man sich auf der Plattform über Gelesenes austauschen: Lesefortschritte und Rezensionen teilen, liken und kommentieren – Social Media im Büchergewand. Wie ein Buch gefallen hat, zeigt die Sternebewertung. Aber wie viele Sterne hätte eigentlich Goodreads selbst verdient? Und würde das zwölf Jahre jüngere Portal The StoryGraph womöglich besser abschneiden?
Amazon-Tochter versus Indie-Plattform
Die lesende Online-Community tummelt sich nicht nur auf buchzentrierten Plattformen. In den (englischsprachigen) Büchernischen von TikTok, Instagram und YouTube wird seit einiger Zeit vermehrt Kritik an Goodreads laut. Der Wechsel zu StoryGraph ist Thema. Im Januar dieses Jahres waren die neuen Registrierungen auf der jüngeren Plattform so zahlreich, dass sie für kurze Zeit offline gehen musste, um die Server zu aktualisieren.
Der größte Kritikpunkt an Goodreads: Seit 2013 gehört das Portal zu Amazon. Neben der Vernachlässigung von Nachhaltigkeit und fairen Arbeitsbedingungen wird Amazon nicht zuletzt wegen der Gefährdung des lokalen und unabhängigen Buchhandels kritisiert. Über Goodreads sammelt das Unternehmen außerdem wertvolle Daten. Besonders umfangreich wird der Einblick in das Leseverhalten durch die Kopplung von Goodreads und Kindle, wenn diese Funktion bisher auch vorrangig für den englischsprachigen Raum optimiert ist.
Mit dem Kauf von Goodreads hat Amazon zudem nahezu ein Monopol im Bereich der Online-Buchrezensionen inne, also einen enormen Einfluss auf den Buchmarkt. Mehrere Fälle von sogenanntem „Review-Bombing“ zeigen, was das bedeuten kann: Eine oder wenige Personen überfluten die Community-Bewertungen zu einem Titel mit schlechten Beurteilungen und negativen Rezensionen, um dem Verkauf des Buchs zu schaden. Gestartet werden diese Attacken zum Beispiel mit dem Plan, Geld von Autor*innen zu erpressen. Allerdings gab es auch schon Fälle, in denen Autor*innen ihre Konkurrenz auf diese Weise angriffen.
2019 launcht mit The StoryGraph eine Alternative zur Amazon-eigenen Leseplattform. Nicht nur für viele Leser*innen, die ihren Wechsel zu dem neueren Portal in den sozialen Medien thematisieren, ist die Unabhängigkeit von Amazon ein wichtiger Vorteil von StoryGraph. Auch die Plattform selbst wirbt mit diesem Argument für ihre bezahlte Plus-Mitgliedschaft. Denn StoryGraph finanziert sich durch seine Nutzer*innen, während Goodreads auf personalisierte Werbung setzt – die gesammelten Daten über das Leseverhalten kommen dem Unternehmen hier unmittelbar zugute. Indem zu Amazon verlinkt oder die App sogar direkt am Kindle genutzt wird, ermutigt Goodreads zum Bücherkauf bei seinem Mutterunternehmen.
Gegründet von der aktuellen CEO Nadia Odunayo ist The StoryGraph außerdem eine „Black Woman-Founded Reading Platform“. Auch das kann ein Argument für das kleinere Portal sein. Denn Unternehmen von Schwarzen Frauen zu unterstützen, die (nicht nur) in der Wirtschaft doppelter Diskriminierung ausgesetzt sind, fördert die Repräsentation und die gerechte Verteilung von Vermögen und wirkt somit struktureller Diskriminierung entgegen, die durch Giganten wie Amazon weitergetragen wird.
Ähnliche Funktionen, anderer Fokus
Sowohl Goodreads als auch StoryGraph können als Website oder App genutzt werden, bieten Listen über beendete, aktuelle und geplante Lektüren sowie die Möglichkeit, sich ein jährliches Leseziel zu setzen, das in Form einer Challenge verfolgt wird. Doch was sind die Unterschiede zwischen den beiden Plattformen für die Nutzer*innen?
Anfangs war StoryGraph eher als Begleitportal denn als Konkurrenz zu Goodreads angelegt. Die Plattform sollte vor allem zusätzliche Funktionen bieten und das eigene Leseverhalten genauer abbilden. Der Fokus auf Statistiken ist immer noch deutlich: Visuell setzt StoryGraph auf Diagramme und bildet nicht nur die Anzahl der gelesenen Bücher und Seiten ab, sondern sortiert auch nach Genre, Stimmung, Pacing, Format, Autor*innen und Sprachen. Bewertungen können außerdem genauer vorgenommen werden, indem Sterne auch in Hälften und Vierteln vergeben werden können.
Bei Goodreads steht im Vergleich der Vernetzungsaspekt im Vordergrund. Die Aktivitäten anderer Nutzer*innen sind hier direkt auf der Startseite zu sehen. Auch Autor*innen können Goodreads nutzen, um sich mit Leser*innen zu verbinden und auszutauschen und es haben sich Community-Events wie die jährlichen Goodreads-Choice-Awards etabliert.
Außerdem haben Bewertungen bei Goodreads deutlich mehr Gewicht. Sie stehen nicht nur bei einzelnen Titeln im Vordergrund, sondern steuern auch den Algorithmus für Lektürevorschläge mit. Bei StoryGraph funktioniert das anders: Statt einer Sterne-Bewertung steht hier eine Beschreibung der Stimmung im Fokus, die das Buch auslöst. Personalisierte Buchtipps ermittelt eine künstliche Intelligenz auf Grundlage eines umfassenden Fragebogens. Indem dabei unter anderem die gewünschte Stimmung und ausgewählte bereits gelesene Bücher einbezogen werden, treffen die Vorschläge Lesewünsche deutlich spezifischer, als es dem Goodreads-Algorithmus gelingen kann.
Hat StoryGraph eine Chance?
Im Vergleich zu Goodreads ist StoryGraph also nicht nur konzernunabhängig, sondern auch genauer, wenn auch weniger auf Vernetzung fokussiert. Aktuell liegt Goodreads bei den Mitgliedszahlen jedoch noch weit vorn. 2022 nannte die Plattform eine Zahl von über 140 Millionen Mitgliedern, während StoryGraph im selben Jahr rund 1,2 Millionen Mitglieder zählte. Spätestens nach dem starken Anstieg zu Beginn des Jahres dürften sie sich jedoch merklich vermehrt haben.
Als Plattformen aus dem englischsprachigen Raum erreichen Goodreads und The StoryGraph auch die internationale Buchcommunity. Im deutschsprachigen Bereich zählen LovelyBooks und READ-O zu den erfolgreichsten vergleichbaren Portalen. 2021 gab LovelyBooks 350.000 registrierte Mitglieder an, bei READ-O dürften die Mitgliedszahlen deutlich niedriger ausfallen. Denn ähnlich wie Goodreads und StoryGraph stehen sich auch hier Konzern-Tochter und Indie-Plattform gegenüber: LovelyBooks gehört zu Hugendubel, während READ-O ein unabhängiges Start-Up ist, das auch durch seine Teilnahme im TV-Format „Höhle der Löwen“ bekannt wurde. Aber auch die beiden Plattformen, die nicht international agieren, können Alternativen zu Goodreads sein.
Dass Stimmen aus den sozialen Medien unsere Gesellschaft beeinflussen, ist nicht neu. Hat die Kritik am Amazon-eigenen Goodreads bei BookTok, Bookstagram und BookTube allerdings die Macht, eine konzernunabhängige Plattform wie StoryGraph am Ende erfolgreicher zu machen?
Auf der Suche nach einem guten Buch stöbert sie am liebsten in Antiquariaten und öffentlichen Bücherschränken. Neben Literatur interessiert sie sich für Nachhaltigkeit und intersektionalen Feminismus und träumt davon, eines Morgens mit einem grünen Daumen aufzuwachen.