Der Fänger im Roggen: Ein moderner Klassiker wird 70

Vor 70 Jahren erschien erstmals „Der Fänger im Roggen“ von J. D. Salinger. (Bild: Eva Beckmann)

Holden Caulfield, der amerikanische Werther des 20. Jahrhunderts, fasziniert noch immer Leser:innen – und das nicht nur bei der Pflichtlektüre des Catcher in the Rye im Englischunterricht. Obwohl J. D. Salingers Roman heute nicht mehr auf die gleiche Weise wirken kann wie noch vor wenigen Jahrzehnten, wie Schriftsteller Clemens Setz im Deutschlandfunk Kultur zu bedenken gibt, bleibt der Status einer Identifikationsfigur dem rebellischen Teenager Holden erhalten.

Die Erstveröffentlichung des Romans Der Fänger im Roggen jährt sich in diesem Monat zum 70. Mal. In den vergangenen Jahrzehnten hat er nicht nur Schriftsteller:innen, sondern auch Musiker:innen und Filmemacher:innen zu eigenem Schaffen angeregt. Die Literaturwissenschaftlerin Professor Dr. Sarah Graham hat jahrelang zum Catcher geforscht und sich auch damit beschäftigt, welche anderen Werke der Roman inspiriert hat. Anlässlich des Jubiläums werfen wir einen Blick auf einige seiner Spuren in Literatur, Film und Musik.

Literarische Nachfahren

Es sind bekannte Romane wie Sylvia Plaths Die Glasglocke (1963) und Bret Easton Ellis‘ Unter Null (1985), die Graham unter dem Einfluss des Fänger im Roggen sieht. Auch Stephen Chboskys Coming-of-Age-Roman Das also ist mein Leben (1999) wird oft mit Salingers Text verglichen. Im Interview mit L.A. Youth stimmt Chbosky den erkennbaren Ähnlichkeiten zwischen Holden und seinem Protagonisten Charlie zu und nennt Salinger als Einfluss auf sein Schreiben. Gleichzeitig betont er jedoch, dass sein Roman keineswegs in der alleinigen Tradition des Fänger im Roggen steht.

 

Holden im Kino

„If there’s one thing I hate, it’s the movies. Don’t even mention them to me”, erklärt Holden gleich im ersten Kapitel. Salinger scheint ähnlich zu denken, zumindest wenn es um die Verfilmung seiner eigenen Werke geht. Sein vehementer Widerstand gegen den Verkauf der Filmrechte wird der missglückten Umsetzung einer Filmadaption seiner Kurzgeschichte „Uncle Wiggily in Connecticut“ zugeschrieben. Dennoch versuchen Filmemacher:innen immer wieder Schlupflöcher zu finden, um das beliebte Material des Schriftstellers filmisch zu verarbeiten. 2003 entstand so der Film Chasing Holden über einen Fan des Romans, der sich auf die Suche nach Salinger begibt. Obwohl seine zurückgezogene Lebensweise es schwierig macht, Rückschlüsse auf das Leben des Autors zu ziehen, erschien 2017 mit Rebel in the Rye ein Biopic über Salinger, das sich auf die Erkenntnisse einer Salinger-Biographie von Kenneth Slawenski stützt. Neben solch konkreten filmischen Auseinandersetzungen mit Text und Autor sieht Sarah Graham den Einfluss des Romans beispielsweise auch in Filmen wie Dead Poets Society (1989) und Donnie Darko (2001).

 

Musikalisches Erbe

Wie viele andere begegnete auch Billie Joe Armstrong, Frontsänger der Band Green Day, dem Catcher in the Rye erstmals im Schulunterricht. Erst ein zweites Lesen im Erwachsenenalter schaffte es jedoch, ihn für Holdens Geschichte zu begeistern – so sehr, dass er mit seiner Band das Lied „Who Wrote Holden Caulfield?“ aufnahm. 1991 auf dem Album Kerplunk erschienen, thematisiert es Holdens Frustration und Perspektivlosigkeit. Sarah Graham zählt neben Green Day auch The Offspring zu den Bands, die sie mit dem Catcher in Verbindung bringt.

 

Kritiker:innen des Fänger im Roggen stören sich häufig an Holdens jammerndem Ton und seiner Neigung zu Wiederholungen. Zweifellos resoniert die Geschichte jedoch mit mehr als nur einer Generation und ein bemerkenswerter kultureller Einfluss kann ihr nicht aberkannt werden. Ob ein männlicher, weißer Teenager als zentrale Identifikationsfigur noch zeitgemäß ist, kann trotzdem in Frage gestellt werden. Welche Romanfigur kann ihn ablösen? Oder gibt es sogar schon einen Holden Caulfield der kommenden Generationen?

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