„Man kann auch sehr ernste Themen bearbeiten, ohne dabei den Humor zu verlieren“ – Tarkan Bagci im Interview (Teil 2)

Autor Tarkan Bagci im Interview

Tarkan Bagci (Bild: Lenny Rothenberg)

In Teil 1 unseres Interviews hat Tarkan uns erzählt, wie er während seines Studiums bereits erste Erfahrungen als Gag-Autor und beim Campus-Radio sammeln konnte. Außerdem hat er allen, die ihm nacheifern möchten, den Rat gegeben, einfach loszulegen, weniger zu zögern und mehr auf das Motto „Learning by doing“ zu setzen.

Neben seiner Tätigkeit als Comedy-Autor und der Arbeit am Podcast „Gefühlte Fakten“, den er zusammen mit seinem Autorenkollegen Christian Huber veröffentlicht, kamen in diesem Jahr auch zwei Bücher von Tarkan auf den Markt. „Die Erfindung des Dosenöffners“ ist ein Roman, in dem der Protagonist Timur von seinem großen Durchbruch als Journalist träumt und dabei auf eine alte Dame trifft, die ihm mit ihrer kuriosen Geschichte genau so etwas zu versprechen scheint. In „Nach dem Tod komm ich“ erzählt Tarkan die wahre Geschichte des Tatortreinigers Thomas Kundt.

Digitur: Lass uns doch mal über deine Bücher sprechen. In deinem Roman „Die Erfindung des Dosenöffners“ schreibst du über einen jungen deutsch-türkischen Mann, der als Lokaljournalist auf den Durchbruch hofft. In deinem Sachbuch „Nach dem Tod komm ich“ schreibst du über den Werdegang und das Leben vom Tatortreiniger Thomas Kundt. Was ist schwieriger für dich: Dir eine Geschichte auszudenken, da an allen Enden zu feilen bis du zufrieden bist, oder Reales so wiederzugeben, dass du das Gefühl hast, dem gerecht zu werden?

Tarkan Bagci: Die Arbeit an beiden Büchern war sehr unterschiedlich, aber weder leichter noch schwerer, sondern eher abhängig von meinem Gemütszustand. Wie schwer oder leicht mir etwas innerhalb meiner Kreativarbeit fällt, hängt immer mehr davon ab, ob mich die Thematik gerade beschäftigt und weniger von der Sache, die ich machen muss. Beim Schreiben des Romans war ich in einer Phase, in der ich mich ohnehin viel mit mir selbst beschäftigt habe und ein paar Dinge verarbeiten musste. Und während der Arbeit mit Thomas hat mich seine Geschichte so interessiert und gefesselt, dass ich die Thematik gut im Buch verarbeiten konnte. Insgesamt kommt es also eher auf mein Innenleben an als auf die Aufgabe selbst. Sehr pseudo-philosophisch, sorry.

Digitur: Ich glaube, das ist absolut nachvollziehbar. Nicht jedes Thema passt zu jeder Zeit.

Tarkan Bagci: „Nach dem Tod komm ich“ ist übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, etwas zuzusagen und dann herauszufinden, ob das funktioniert: Ich wusste wirklich gar nicht, ob ich das kann. Also ich habe zwar als Journalist, der über andere schreibt, gearbeitet, aber als Romanautor habe ich mich dann so richtig wohlgefühlt. Und sich dann Thomas, also eine echte Person, „anzuziehen“ und aus seiner Perspektive zu schreiben, ist ja noch einmal etwas komplett anderes. Ich hatte das Gefühl, dass ich das gerne machen würde, aber ob ich das wirklich kann, war eine Frage, die ich dann wieder hinten angestellt habe, um es einfach zu probieren. Da war es also so, dass ich zugesagt und es dann einfach probiert habe.

Digitur: Das Hineinversetzen in Thomas Kundt und dann aus der Ich-Perspektive zu erzählen stelle ich mir sehr schwierig vor.

Tarkan Bagci: Ich dachte zuerst auch, dass es sehr schwer wird. Aber ich hatte direkt das Gefühl, dass Thomas und ich eine recht ähnliche Stimme haben und ich habe sehr schnell verstanden, worum es Thomas in seiner Geschichte eigentlich ging. Er wollte nicht wirklich, dass ich ein Buch über das Tatortreinigen an sich schreibe. Er wollte vielmehr ein Buch darüber, wie er zu diesem Job kam und was ihm das Tatortreinigen als Person gebracht hat. Und das war der Knackpunkt: Zu erkennen, was das für seine persönliche Reise bedeutet hat. Das hat es mir sehr viel einfacher gemacht. Teilweise war das aber auch ein bisschen gruselig: Ich habe für das Buch viele Interviews mit ihm geführt, aber man kann ja nicht jede kleine Einzelheit erfragen, sondern nur das Grundgerüst. Ich hatte also sozusagen meine Leitplanken und musste daran entlang den Weg für mich ausfüllen, als Thomas, und da auch teilweise wörtliche Rede schreiben. An einem Punkt musste ich seiner Mutter Worte in den Mund legen, die ich für passend zur jeweiligen Situation hielt, und es stellte sich später heraus, dass sie das tatsächlich genauso gesagt hat. Das war so ein gruseliger Akte-X Moment, wirklich eigenartig. So mit einer „Romanfigur“, einer Person, die im eigenen Buch vorkommt, zu connecten die ja aber auch real ist, war wirklich eine übernatürliche Erfahrung.

Tarkan Bagci im Interview

Tarkan bisher veröffentliche Bücher (Bild: Julia Baeske)

Digitur: Damit so etwas funktioniert muss die Chemie stimmen, oder?

Tarkan Bagci: Ja, auf jeden Fall. Es hat auf empathischer Ebene gepasst. Und es war auch irgendwie seltsam, vor allem auch als wir dann zusammen Lesungen hatten. Denn er ist ja eine Person aus meinem Buch. Stell dir vor du erfindest Ernie und Bert und gehst dann mit Bert auf Tour. Das ist ein Mensch aus meinem Buch, das ist kein realer Mensch. Warum ist der jetzt plötzlich real? Das war total übernatürlich.

Digitur: Was kannst du jemandem sagen, der am Buch interessiert ist aber mit Themen wie Tod, Blut und so weiter nicht so gut klarkommt?

Tarkan Bagci: Meine Themen sind das eigentlich auch gar nicht, und es ist streckenweise recht hart, aber ich habe versucht, das auch für mich und meine mentale Gesundheit zu schreiben. Thomas war zu Beginn auch fremd in der Thematik, und dementsprechend starte ich nicht mit den harten Stellen, man sollte also langsam reinkommen. Es sind keine Trigger-Warnungen dabei, man sollte reinschauen und selbst entscheiden, wie viel man schafft. Ich habe aber versucht, es so leicht wie möglich zu halten und den Tod nicht als Schockmoment, sondern als Teil des Lebens zu schreiben, der vielleicht auch zum Nachdenken und Verarbeiten anregt.

Digitur: Kommen wir zur letzten Frage. Könntest du dir vorstellen, irgendwann mal in der Comedy kürzer zu treten und dann nur noch, oder vor allem, Buchautor zu sein? Natürlich mit dem Vermerk, dass auch Bücher lustig sein können.

Tarkan Bagci: Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, ich kann meine Stimme als Autor ganz gut verstellen. Ich schreibe auch viel für andere Menschen. Aber was mir die größte Erfüllung gibt ist recht ungefiltert ich zu sein. Wobei das auch viel facettenreicher ist als „nur Gags“. Wenn ich zum Beispiel etwas verarbeiten will, werde ich das nie so verarbeiten, dass es komplett ernst ist. Aber ich glaube, es gibt auch keine trennscharfe Linie zwischen ernst und lustig, das ist eher ein Spektrum. Also es gibt Themen, die ich literarisch gern verarbeiten würde bei denen mir klar ist, dass ich nicht alle in jeden zweiten Satz einen One-Liner einbauen kann, weil das nicht das ist, was der Stoff braucht. Dann würde sich meine Stimme bestimmt etwas ändern, aber eher auf dem Spektrum und nicht nach dem Motto „Jetzt bin ich Nachrichtensprecher und jetzt bin ich lustig“. Ich glaube, diese Trennung ist im deutschen Kulturverständnis sehr verankert, in Wirklichkeit gibt es sie aber gar nicht. Man kann auch sehr ernste Themen bearbeiten, ohne dabei den Humor zu verlieren und man kann andersherum sehr lustige Dinge machen und dabei etwas Ernsthaftigkeit behalten. Ich kann mir also schon vorstellen, mich auf diesem Spektrum hin und her zu bewegen, je nachdem was der Stoff braucht. „Nach dem Tod komm ich“ ist an sich ja auch kein lustiges Buch. Es geht um ein sehr ernstes Thema, und trotzdem, weil Thomas‘ und meine Stimmen und Haltungen zum Glück sehr ähnlich sind, ist es sehr menschlich und hat Platz für Humor.

 

Vielen Dank an Tarkan Bagci für das Interview und die spannenden Einblicke in die Tätigkeit eines Roman-, Sachbuch- und Comedy-Autors. Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, euch mit Tarkans Arbeit vertraut zu machen, dann schaut euch doch mal seinen Roman Die Erfindung des Dosenöffners oder das Buch von ihm und Thomas Kundt, Nach dem Tod komm ich an. Der Podcast Gefühlte Fakten erscheint jeden Donnerstag überall, wo es Podcasts gibt!

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