Es ist wieder soweit: Die 73. Ruhrfestspiele starten heute unter dem spannenden Motto „Poesie und Politik“. Sie sind ein Grund, warum das Ruhrgebiet als kulturell lebendiges Zentrum angesehen werden kann. Durch eines der größten, ältesten und renommiertesten Theaterfestivals Europas verwandelt sich Recklinghausen vom 1. Mai bis zum 9. Juni in eine internationale Kulturmetropole. Neben Tanz, Theater, Film und Musik spielt natürlich auch Literatur eine große Rolle.
Unter der neuen Intendaz von Olaf Kröck geht es um Themen, die die Lebenswirklichkeit betreffen wie das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Abschottungsfantasien in Europa. Die Auseinandersetzung mit politisch relevanten Fragen zeigt sich in rund 210 Veranstaltungen und 90 Produktionen, an denen mehr als 850 Künstler*innen aus 16 verschiedenen Ländern beteiligt sind, darunter Israel, Großbritannien, Indien, Deutschland, Frankreich, Namibia, USA, Niederlande, Griechenland und Ukraine. Zu sehen sind sie in rund 16 Spielstätten: im Ruhrfestspielhaus, der Halle König Ludwig 1/2 und Theater Marl, in der Recklinghäuser Innenstadt, der Christuskirche und in zahlreichen weiteren Orten.
Nach dem heutigen Kulturvolksfest von Menschen aus der Region für Mensch aus der Region, findet am Freitag die feierliche Eröffnung mit der Eröffnungsrede von Judith Schalansky statt. Die freie Schriftstellerin und Buchgestalterin ist 1980 in Greifswald geboren und lebt nun in Berlin. Ihre Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sowohl der Atlas der abgelegenen Inseln als auch ihr Bildungsroman Der Hals der Giraffe wurden von der Stiftung Buchkunst zum „Schönsten deutschen Buch“ gekürt. Für ihren Roman Verzeichnis einiger Verluste erhielt sie 2018 den Wilhelm-Raabe-Preis.
Am 5. Mai geht es in Sachen Literatur dann fleißig weiter mit einer Lesung von Lina Beckmann und Charly Hübner. Sie lesen aus John Bergers Einst in Europa, der wohl schönsten Liebesgeschichte des 2017 verstorbenen Schriftstellers, Malers und Kunstkritikers und eines der größten Denker des 20. Jahrhunderts. Reden wir heute über Europa, reden wir über Macht. Doch Berger lässt die Machtlosen zu Wort kommen – in einem Panorama über Mitgefühl und Zuneigung.
Ganz besonders freuen wir uns auf den 6. Mai, den Beginn einer neuen Reihe im Bereich Literatur: Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller ist zu Gast beim Literaturkritiker und Moderator Denis Scheck. Geboren 1953 im deutschsprachigen Dorf Nitzkydorf in Banat in Rumänien, macht sie ihre Lebenserfahrung zum Thema ihrer Werke – Macht und Widerstand in der Diktatur, Wahrheit und Lüge. 1998 wurde ihr Roman Herztier mit dem Impac Dublin Literary Award ausgezeichnet, bis sie nach zahlreichen weiteren Ehrungen 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt.
Am 14. Mai geht es dann weiter in der Reihe mit dem Schriftsteller und Filmemacher Georg Stefan Troller. Der 97-jährige Wiener jüdischer Herkunft lebt in Paris und arbeitet auf der ganzen Welt. In seiner legendären Porträtserie Personenbeschreibungen porträtiert er Berühmtheiten wie Muhammad Ali, Hugh Hefner, Charles Bukowski oder Romy Schneider. Das letzte Gespräch mit Denis Scheck am 25. Mai führt Louis Begley, amerikanischer Schriftsteller polnisch-jüdischer Herkunft. Auch seine Romane sind von den Erlebnissen des 2. Weltkrieges geprägt, wurden vielfach ausgezeichnet und in 18 Sprachen übersetzt. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Lügen in Zeiten des Krieges, Schmidt, Zeig dich, Mörder und Ein Leben für ein Leben.
Obwohl das Festival dieses Jahr eine Woche kürzer ausfallen muss, leidet das bunte Kulturprogramm nicht darunter. Ihr könnt euch auf viele weitere Lesungen freuen, nicht nur im klassischen Sinne, sondern auch szenisch und musikalisch umgesetzt wie Erich Kästners Großstadtroman Der Gang vor die Hunde von den Schauspielern Christine Sommer und Martin Brambach. Auch im Bereich Poetry Slam kommt ihr nicht zu kurz: Zusammen mit WortLautRuhr moderiert Jan Philipp Zymny den Best of Poetry Slam. Außerdem kann man einen Blick in die Welt von Reporter*innen werfen. An vier Sonntagnachmittagen erzählen sie ihre Geschichten in Reportagen Live – Weltgeschehen im Kleinformat.
Mit einer Million Euro weniger Budget wird es diesmal keine Hollywood-Stars im Programm geben, doch wir finden, dass die Ruhrfestspiele auch ohne Hollywood nichts von ihrem legendären Status einbüßen.