Fundstück: Theater als mediales Spektakel

Orlando (Jenny König) auf Bühne und Leinwand. Inszenierung von Katie Mitchell. Bild: Stephen Cummiskey (schaubuehne.de)

Katie Mitchell (55) und Alice Birch (34) inszenieren Virginia Woolfs „Orlando“ an der Schaubühne Berlin. Bis zum 17.02.2020 kann man in Berlin das ungewöhnliche Stück erleben. Im April und Mai 2020 ist das Ensemble der Schaubühne außerdem zu Gast in London und Madrid.

Zwei unserer Digitur Redakteurinnen haben sich das in den Medien als kontrovers diskutierte Stück angeschaut:
Die  Inszenierung ist ein mediales Spektakel, ein Event und gleicht der Dekonstruktion einer Theateraufführung. Bühnengeschehen und Live-Video werden miteinander verbunden. Die Geschichte, die sich um Orlandos (gespielt von Jenny König) queere Reise durch vier Jahrhunderte patriarchaler Menschheitsgeschichte spinnt, wird durch Schauspieler*innen, Kamerateams, Bildschirme, Kostümwechsel und eine Erzählerin inszeniert. Die Schauspielerin und Sprecherin Cathlen Gawlich sorgt allein mit ihrer Stimme dafür, dass alle Zuschauer vom Geschehen gefesselt sind. Dabei thront sie während des Stücks oberhalb des Geschehens in einem Glaskasten. Sie bei der Arbeit zu beobachten ist mindestens genau so faszinierend und unterhaltend, wie den Trubel auf der Bühne zu verfolgen und dem ständigen Wechsel zwischen Geschehen auf der Bühne und der Leinwand nachzugehen.
Das Zuschauen kann mit einer Reizüberflutung gleichgesetzt werden und man weiß zwischendurch nicht genau wo man als erstes hinschauen soll. Gleichzeitig ist es genau diese Machart, die das Stück so interessant macht und die uns Zuschauer intellektuell herausfordert.

Eintrittskarte zum Spektakel. Bild: Sophie Greve

Virginia Woolfs Genderproblematiken werden hier dargestellt und auf das 21. Jahrhundert projiziert. Orlando wird als Mann geboren und wacht eines Morgens als Frau auf – ohne dies großartig zu hinterfragen. Es ist in diesem Fall halt so und so ist es auch richtig. Die Wichtigkeit von Sexualität für das Stück und Orlandos Geschichte wird durch plakative Nacktheit, homo- und heterosexuelle Sexszenen auf der Bühne und im Filmmaterial dargestellt.

Überraschend, einzigartig, provokant. Oder manchmal doch einfach zu nah an der Grenze des Unangenehmen? Schwer zu sagen, wie wir finden! Es ist ein Spektakel. Entertainment mit tiefgehender Botschaft, die trotz der ernsten Thematik, durch verschmitzte Blicke von Jenny König und der verkörperten Trotteligkeit von Konrad Singer (Orlandos Verehrer) aufgelockert wird und einen gewissen Witz verliehen bekommt. Tatsächlich reißt das Stück einfach mit und ist, ohne es als ‚gut‘ oder ’schlecht‘ kategorisieren zu können, sehenswert. Wenn nicht wegen der Geschichte, dann wenigstens wegen der großartigen Koordination von Schauspieler*innen, Kamerateam und Sprecherin auf der Bühne.

 

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