Dark Digitur: Ene Mene Krötenbein, müssen Hexen weiblich sein?

Hakennase, Reisigbesen, Buckel und schwarzer Kater – auf den ersten Blick erkennen wir diese Figur als Hexe. Aber geht es auch anders? (Bild: pixabay)

Vor kurzem hat mein Freund angefangen, The Witcher 3 zu spielen. Selbst mich als Unkundige ziehen die atmosphärische Grafik und Musik des Videospiels in ihren Bann. Die Hauptfigur in diesem storybasierten Computerspiel ist ein muskelbepackter Magier, der Hexer. Mit seinem Titel und seinen magischen Fähigkeiten enden auf den ersten Blick allerdings die Gemeinsamkeiten mit archetypischen Hexenfiguren. Anstatt auf einem Besen reitet er auf seinem Pferd Plötze durch die mittelalterliche Fantasy-Welt, seine Bekleidung ist die eines Kriegers, und vor allem eine Sache bringt mich zum Nachdenken: Hexen, das sind doch eigentlich Frauen, oder?

Von hässlichen und verhassten Hexen

Der Duden scheint meiner Annahme zuzustimmen. Zwei der drei Definitionen zur Hexe beinhalten das Wort „weiblich“. Außerdem wird sie als hässlich, alt, dämonisch, bucklig und im Besitz von Zauberkräften beschrieben. Keine großartigen Überraschungen. Die Bedeutungserklärung zum Wort Hexer fällt dagegen knapp aus: „männliche Hexe“, heißt es da.

Im Hexenglauben des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit sieht es schon etwas anders aus: Obwohl wir heute oft annehmen, dass fast ausschließlich Frauen der Hexenverfolgung zum Opfer fielen, variiert die tatsächliche Geschlechterverteilung unter den Verfolgten je nach Region. Insgesamt überwiegt der Frauenanteil zwar, ein Blick nach Island oder Russland zeigt jedoch auch andere Beispiele: Dort waren mehr als Dreiviertel der wegen Hexerei Verurteilten männlich. In Deutschland hingegen war der Frauenanteil deutlich größer. Hier betrafen nur etwa zwanzig Prozent der Hexereianklagen Männer. Ist die Hexenverfolgung also als ultimatives Symptom einer misogynen Gesellschaft zu verstehen? War sie ein willkommener Vorwand, um unangepasste Frauen loszuwerden? Darüber haben sich auch Forschende bereits Gedanken gemacht.

Das archetypische Bild der weiblichen Hexe ist jedenfalls kein positives. Die Kannibalin aus dem Grimm’schen Märchen Hänsel und Gretel, Shakespeares drei Hexen aus Macbeth, die durch ihre Prophezeiung das Unheil ins Rollen bringen, und die Böse Hexe des Westens aus Der Zauberer von Oz, die bereits in der ersten Verfilmung ihre charakteristisch grüngefärbte Haut erhielt: Allesamt alte und hässliche Frauen, die sich abseits der Zivilisation aufhalten und Schaden anrichten. Sie erscheinen als der Inbegriff der klassischen westlichen Hexenfigur.

Die Hexe poliert ihr Image auf

Natürlich haben Hexengeschichten nicht nur in Europa eine lange Tradition. Zahlreiche Kulturen auf allen Kontinenten sind reich an ihren eigenen Sagen und Überlieferungen über Hexenwesen und Zauberkräfte – und erzählen von weit mehr als boshaften Frauen. Vor allem in der Kinderliteratur hat sich auch in Europa inzwischen eine andere Hexenfigur entwickelt: Frauen und Mädchen mit besonderen Fähigkeiten, die ihre Kräfte wohlwollend einsetzen und versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Die modernen Hexen verkörpern meistens keine abstoßenden Gestalten mehr, sondern zeigen sich als geschickte Heldinnen.

Als eine der ersten „neuen Hexen“ macht sich 1957 Otfried Preußlers kleine Hexe bei den anderen Hexen unbeliebt, indem sie ihre Kräfte für gute Taten einsetzt. Typische Hexenmerkmale werden zwar beibehalten, doch in veränderter, liebevoller Form umgedeutet: Obwohl die kleine Hexe bereits 127 Jahre alt ist, gilt sie für eine Hexe noch immer als jung. Sie wohnt in einem windschiefen Hexenhaus, doch anstatt darin hinterlistige Pläne auszuhecken, studiert sie akribisch ein altes Zauberbuch.

Ähnlich sieht es bei ihren Nachfolgerinnen aus: Bibis Besen heißt Kartoffelbrei, den mystischen Hexentreffpunkt Blocksberg trägt sie als Nachnamen und Gerichte wie die Spinnenbeinsuppe aus der traditionellen Hexenküche schmecken ihr nicht. Harry Potters beste Freundin Hermine Granger ist zwar eine herausragend begabte Zauberschülerin, aber mit dem Flugbesen, der auch ihr im ersten Teil der Reihe in die Hand gedrückt wird, kann sie nur wenig anfangen. Überhaupt wimmelt es in ihrer Zauberwelt von stereotypen Hexenattributen wie Kröten und Katzen, Zaubertränken und Kristallkugeln, Spitzhüten und Umhängen, doch all das wird gleichermaßen den Hexen wie den Zauberern zuteil.

Moderne Hexen sind feministisch – aber müssen keine Frauen sein

In ihrer generalüberholten Form verkörpert die Hexe eine unabhängige und begabte Frau. Anstatt sich als Magierin oder Zauberin die Titel ihrer männlichen Kollegen zu leihen, erhält sie ihren eigenen gleichwertigen Namen. Mehr noch: Sie hat sich eine vormals herabwürdigende Bezeichnung zu eigen gemacht und entfaltet so ihr feministisches Potenzial.

Und hier kommen auch die Hexer ins Spiel. Denn, obwohl es oft vergessen wird, setzt Feminismus sich auch für eine Revolution des Männlichkeitsbegriffs ein. Der kämpferische Witcher ist dabei zwar kein offenkundiges Beispiel für neue Männlichkeit, doch beweist er mindestens, dass der Hexenbegriff Gendergrenzen überschreiten kann. Wir dürfen gespannt sein, wann uns die ersten diversen, genderneutralen und non-binären Hexenfiguren in der Popkultur begegnen.

Neben Vampiren, Gespenstern und Skeletten gehören Hexen längst zum festen Ensemble der Halloween-Saison. Weiblichkeit ist dabei zwar eng mit der Figur verwoben, schränkt sie jedoch nicht ein. Liebe Hexer und Hexenwesen aller Geschlechter, bitte fühlt euch willkommen auf der nächsten Halloweenparty (im nächsten Jahr, wenn der Pandemiespuk hoffentlich ein Ende hat).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert