Obwohl es sich bei Büchern und Videospielen um zwei grundsätzlich verschiedene Kulturobjekte handelt, die sich trotz einiger Gemeinsamkeiten allein schon durch ihr Medium unterscheiden, finden wir literarische Werke zuhauf in digitalen Welten wieder. Es soll in diesem Beitrag aber nicht um Literatur im eigentlichen, sondern um Bücher im praktischen Sinne gehen, also das feste Objekt zum Umblättern, mit Einband, Seiten aus Papier und optionalem Lesebändchen.
Denn zu oft sind Bücher in Videospielen bloßes Beiwerk, verstauben in Regalen als Hintergrundkulisse oder dienen allenfalls als in der Welt verteilte Storyschnipsel. Nicht so die folgenden Kolleg*innen. Sie erfüllen zentrale Rollen in ihren entsprechenden Titeln, sind omnipräsent und weit mehr als schnöde Dekoartikel. Aber was macht die vorgestellten Bücher so besonders? Wir werfen einen Blick auf die Indie-Perlen Hollow Knight und Hades, das japanische Rollenspiel Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin sowie auf die frisch erschienene Neuauflage Nier Replicant ver. 1.22474487139.
Hollow Knight und Hades
In dem Metroidvania Hollow Knight und dem Roguelike Hades gibt es jeweils ein prominentes Büchlein, das sowohl unseren kleinen Maskenkäfer als auch den stattlichen Sohn des Todesgottes durch ihr Spiel begleitet. In beiden Titeln erfüllt das Schriftwerk dabei eine ähnliche Funktion: Es dokumentiert. Hallow Nest, die Welt von Hollow Knight, ist gefüllt mit allerhand abstrusen Kreaturen, die trotz ihrer Ähnlichkeit zu Insekten einige Eigenheiten mitbringen. Aber wie soll man als Spieler*in bei der Vielzahl an Widersacher*innen nur den Überblick behalten? Der Jäger schafft Abhilfe. Diesem kauzigen Gesellen begegnet ihr schon früh im Spiel und er vermacht euch sein Journal, in dem von nun an jede*r Gegner*in verzeichnet wird. Ihr erhaltet dort außerdem zahlreiche Informationen über die kunterbunte Fauna von Hallow Nest und je mehr Exemplare einer Spezies ihr erlegt, desto mehr Informationen erhaltet ihr. Ein sehr kompetentes Kompendium.
Ähnlich verhält es sich bei Hades, wo ihr von eurem loyalen Kumpanen Achilles den Codex der Unterwelt erhaltet. Der bietet zwar auch eine praktische Übersicht über die dutzenden Feinde, die euch bei dem Ausbruch aus der Hölle aufhalten wollen, der Schmöker kann aber noch einiges mehr. Denn wenn ihr im Schulunterricht beim Thema „Antikes Griechenland“ gepennt habt, ist der Codex eure Rettung – zumindest, wenn es um Mythen und Sagen geht. Denn das Büchlein berichtet nicht nur von den zahlreichen Gött*innen und anderen prominenten Held*innen, sondern erläutert auch die verschiedenen Bereiche der Unterwelt. Wenn ihr nun Gefallen am sagenumwobenen Griechenland der Antike aus Hades gefunden habt, könnt ihr an dieser Stelle mehr dazu lesen.
Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin
Der „Wizard’s Companion“ aus Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin (siehe Bild oben), zu deutsch etwa „Begleiter des Zauberers“, macht genau das, was sein Name vermuten lässt: Er begleitet den Titelhelden Oliver, der sich nach nur wenigen Stunden Spielzeit als Zauberer entpuppt. Genau wie in Hollow Knight und Hades ist der Wizard’s Companion ein Nachschlagewerk und enthält Infos über die Bewohner*innen sowie die Historie der Welt. Allerdings hat das Zauberbuch noch eine ganze Menge mehr drauf: Mithilfe von Runen, die Oliver in das Buch zeichnet, kann der junge Held zahlreiche Zaubersprüche wirken. Damit nimmt der Wizard’s Companion auch in Zwischensequenzen und Kämpfen einen prominenten Platz ein und wird zauberhaft in Szene gesetzt. Er ist also weit mehr als ein bloßes Lexikon, das ihr nur bei Bedarf aus dem Rucksack holt, sondern spielt eine aktive Rolle, auch in der Geschichte von Ni No Kuni.
Nier Replicant ver. 1.22474487139
Die Entwickler*innen von Nier Replicant ver. 1.22474487139 haben den Begriff „Begleiter“ allerdings noch deutlich ernster genommen als das Team hinter Ni No Kuni. Das signifikante Büchlein des Spiels entpuppt sich als wuchtiger Wälzer mit dem stolzen Namen Grimoire Weiss und ist gleich in mehrfacher Hinsicht ganz schön abgehoben. Nicht nur, dass es ständig einen lockeren Spruch auf den Lederlippen hat, den es Spieler*innen in gewähltestem Vokabular um die Ohren haut, es begleitet den namenlosen Helden des Spiels außerdem schwebend, wohin auch immer die Reise geht. Wie der Wizard’s Companion aus Ni No Kuni ist Grimoire Weiss ein magisches Buch und in der Lage, eine breite Palette an Zaubern zu wirken. Es dient außerdem als Menü und nimmt so, wie schon bei den ersten beiden Titeln dieses Beitrags, eine Rolle als Wissenskompendium ein.
Doch Grimoire Weiss ist noch weit mehr als nur geflügelte Literatur mit Zaubersprüchen und Lexikon-Funktion – es ist ein Charakter des Spiels. Bereits beim ersten Aufeinandertreffen beschimpft es die Hauptfigur, hält sich für etwas Besseres und kommentiert ungefragt das Spielgeschehen. Es übernimmt nicht direkt eine Erzählerfunktion, füllt aber oft die Stille mit vor Sarkasmus triefenden Sprüchen und wird alsbald zu einem unverzichtbaren Teammitglied. So ist Grimoire Weiss sicher mit eines der spannendsten Beispiele, einfach weil es zwar die grundlegende Aufgabe eines Buches erfüllt, jedoch durch sein Eigenleben weit darüber hinausgeht und somit eine lebendige Figur darstellt.
Sollte der Jazz-Enthusiast seine Freizeit mal nicht mit Literatur oder Videospielen gestalten, schwingt er chaotisch den Kochlöffel. Ansonsten ist er vor allem Freund der japanischen (Pop-)Kultur in jeder Form und Farbe: Manga und Anime gehören bei ihm zum Ra(h)menprogramm.