Zum 22. Mal fand in der vergangenen Woche das Poesiefestival Berlin, ein Projekt des Hauses für Poesie, statt. Es verschafft jährlich seit 2000 der Dicht- und Sprachkunst eine Bühne. So wie vieles zu dieser Zeit wurde das Festival online durchgeführt. Doch sollte dies der Veranstaltung keinen Dämpfer verpassen: Es wurden neben Vorträgen und Lesungen auch Workshops per Livestream angeboten, sodass das Programm nichtsdestotrotz sehr umfangreich blieb.
Das diesjährige Motto „Da liegt Europa“ sorgte für eine bunte Gestaltung der Vorträge in vielen unterschiedlichen Sprachen, darunter auch Minderheitensprachen wie Galicisch, Walisisch oder Ladinisch.
Am ersten Festivalabend durften Dichter:innen ihre (teilweise noch nie veröffentlichten) Werke unter dem Programmpunkt „Weltklang – Nacht der Poesie“ zum Besten geben. Für einen Einstieg sorgte Ben Lerner mit seinen zusammengebastelten Gedichten aus Fachsprache und Werken früherer Lyriker:innen. Es folgten deutsche Dichter:innen wie Judith Zander und Peter Waterhouse, Valzhyna Mort aus Belarus und Chus Pato, die in einer Mischung aus Galicisch und Klopfzeichen dichtete. Einen denkwürdigen Abschluss bildete Marieke Lucas Rijneveld. Die niederländische Poetin, die in ihrer Heimat bereits als ein absoluter Superstar der Dichtszene gilt, textet wenig avantgardistisch oder experimentell. Stattdessen lassen sich ihre Botschaften leicht entschlüsseln. Ihre Worte sind nicht plump, sondern durchsetzt von pointierten sprachlichen Bildern, die die Zuhörer berühren und fesseln.
Neben den Inhalten war es auch spannend die Künstler:innen in dem von ihnen für die Videoaufnahmen selbst gewählten Umfeld zu beobachten. Während Judith Zander sich einen idyllischen Platz in der Natur suchte, ihren Rucksack und Mantel gekonnt als minimalistische Kulisse in Szene setzte und ab und an von tieffliegenden Flugzeugen in ihrer Dichtkunst übertönt wurde, sprach der slowenische Dichter Marko Tomaš mit Rauch und Zigarette in die Kamera.
Neben Lyrik umfasste das Festival auch Lyrics, also musikalische Beiträge. Die Münchnerin Mira Mann führte ihr Cover von Bruce Springsteens „Atlantic City“ vor. In einem folgenden Gespräch verriet sie, dass sie den Song erst nicht kannte, sondern nach und nach Interesse daran entwickelte, weil er eine für sie toxische Männlichkeit widerspiegelte und sie daran arbeiten wollte, sich diesen Song zu eigen zu machen und für sich zu nutzen. Neben Mira Mann hatte auch Rosacaea ihren Auftritt. Die Hamburger Klangkünstlerin thematisierte in ihren Beiträgen die Unterdrückung der Kurd:innen in der Türkei am Bild einer britischen Freiheitskämpferin, die in die Türkei reiste, um für die kurdische Bevölkerung einzustehen und dafür ihr Leben gab, wie viele andere Frauen auch.
Eine Paneldiskussion befasste sich mit der Mehrsprachigkeit Europas. Dessen Besonderheit ist nicht allein, dass es viele Sprachen auf engem Raum zu hören gibt, sondern, dass all diese Sprachen auch offizielle sind, vor Gericht und in der Politik verwendet werden – so fasste es der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant zusammen. Anhand einer kleinen Anekdote aus der Grenzregion von Serbien und Ungarn veranschaulichte der serbische Dichter Zoltán Danyi anschließend, wie wertvoll Mehrsprachigkeit ist. So unterhielten sich Ungar:innen und Serb:innen lange in der jeweils anderen Sprache miteinander: die Ungar:innen sprachen Serbisch, die Serb:innen Ungarisch. Dies war bis zum Krieg, der den Nationalismus mit sich brachte, Gang und Gebe. Danach wollten sich die Völker vorerst nicht mehr entgegenkommen. Danyi münzte das Verhalten „language courtesy“ und berichtete mit Freude, dass diese Sprachhöflichkeit langsam wieder zurückkehre.
Das Festival, das sich über sieben Tage erstreckte, umfasste noch weitere Events. Viele Gespräche mit Künstler:innen sind als Zusatzmaterial kostenlos in der Mediathek des Poesiefestivals zu finden.
Das Poesiefestival ist noch nicht zu Ende! Im September folgen Veranstaltungen wie die „Poet’s Corner“ oder die lyrix Preisverleihung. Diese Events sind in analoger Form angedacht.
Hat mittlerweile das gesamte Kontingent ihrer Lieblings-Bücherei verschlungen und jedes Genre einmal ausprobiert. Steckt ihre Nase nicht in einem Buch, findet man sie in Gesellschaft guter Freunde, auf dem Sportplatz oder mit einem Rucksack irgendwo in der Weltgeschichte.