Die Literaturwissenschaftlerin Carolin Schmidt und die Szenografin Margaret Schlenkrich bilden zusammen das 2018 ins Leben gerufene Berliner Kollektiv »kaboom«. In Gestalt verschiedener Projekte wollen sie neue Zugänge zur Literatur schaffen, mit Wort- und Raumebenen experimentieren, den gegenseitigen literarischen Austausch anregen sowie Texte lebendig werden lassen.
Ihr aktuelles Projekt A Poem for Dinner basiert auf dem Gedicht This Is Just To Say des amerikanischen Lyrikers William C. Williams (in der deutschen Übersetzung Nur damit du Bescheid weißt von Hans Magnus Enzensberger). Das Gedicht wurde vier Berliner Restaurants vorgelegt, die aus ihrer eigenen Textinterpretation heraus verschiedene Gerichte kreierten. Diese können noch bis zum 03.03.2019 (Termine findet ihr hier) probiert werden – selbstverständlich nicht, ohne dabei auch das Gedicht in sich aufzunehmen, zu konsumieren. Auf diese Weise fördern die beiden Berlinerinnen eine neue und sehr sinnliche Wahrnehmung von Literatur.
Wir haben Carolin Schmidt und Margaret Schlenkrich auf digitalem Weg einige Fragen gestellt, um mehr über die Ideen hinter dem Kollektiv zu erfahren.
Wofür steht der Name »kaboom«?
Das Wort kaboom kommt aus der Comic-Lautsprache und beschreibt das Geräusch eines Aufpralls oder einer Explosion. Das Urban Dictionary beschreibt kaboom als „The larger version of boom. Boom is just a ‚boom‘ while kaboom refers to the ‚WOW‘ effect version of boom. Something truly boom, becomes kaboom.“ Wir appellieren an den WOW-Effekt von Texten – im Kleinen wie im Großen. Manchmal reicht ja schon ein halber Satz, um eine ganze Geschichte zu imaginieren. Es war einmal ein kleines süßes Mädchen, das hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter…
Was versteht ihr unter installativer Literatur?
Installative Literatur bedeutet zunächst einmal nur, dass der Text in einen Raum ‚übersetzt‘, dass er dreidimensional wird. Nora Gomringer hat einmal in einem Interview gesagt, dass ein Text drei Leben hat. Das erste ist das, in dem er generiert wird. Das zweite ist das gedruckte, niedergeschriebene Leben auf einem Blatt Papier oder in einem Buch. Und das dritte ist das Wiederaufführungsleben. Uns geht es um dieses dritte Leben. Wir generieren neue, erweiterte Zugänge zu einem Text. Das kann ganz spielerisch aussehen, wie bei A Poem for Dinner oder auch sehr viel konkreter, wie in unserem Konzept für eine Lyrikausstellung, in dem wir Gedichte in Rauminstallationen übersetzt haben. Dadurch wurden sie begehbar, spürbar, (mit allen Sinnen) erfahrbar. Man kann diesen Prozess vergleichen mit der Dramatisierung von Literatur für das Theater – wir hingegen schreiben eine Fassung für den Raum.
Kann das Kollektiv als Zusammenschluss eurer Tätigkeitsfelder, der Literaturwissenschaft und der Szenografie, betrachtet werden?
Uns verbindet die Leidenschaft für Literatur und Kunst. Prinzipiell ist Margaret für die Inszenierung und die Gestaltung zuständig und Carolin für die Textarbeit und die Kommunikation. Die Ideen für unsere Projekte entwickeln wir gemeinsam und unsere Tätigkeitsfelder überschneiden sich auch oft.
Auf eurer Website verwendet ihr das Hashtag #freethetext. Denkt ihr, Literatur muss von ihrer ursprünglichen Form gelöst werden, um für viele Menschen zugänglicher zu sein?
Es ist keinesfalls ein Zwang. Das Alleine-Lesen soll nicht ersetzt werden durch Inszenierungen wie unsere. Es geht eher darum, auf die Zwischentöne zu hören, den Text auch als einen Körper wahrzunehmen und sich zu fragen – wie lässt sich das weiterdenken, inszenieren. Gedichte beispielsweise haben oft auch im gedruckten Buch eine Präsenz, nehmen Raum ein, sind graphisch. Gerade solche Texte laden geradezu dazu ein, sie zu befreien, ihnen einen größeren, dreidimensionalen Raum zu geben.
Was bringt eine räumliche oder sinnliche Erfahrung mit sich, das dem reinen Text fehlt?
Die persönliche Leseerfahrung eines Textes ist etwas sehr Schönes und soll nicht ersetzt werden. Aber wie wird man überhaupt aufmerksam auf einen Text, auf ein Buch, auf eine Autorin? Uns geht es darum, die Kraft der Worte sichtbar zu machen, vor allem öffentlich und damit zugänglich zu machen für verschiedene Zielgruppen. Außerdem wollen wir neue Räume schaffen, um über Literatur, über Kunst, über Sprache zu sprechen und Menschen so auch ermutigen, ihre eigene Sprache zu finden.
Wie wählt ihr die Texte für ein Projekt aus? Steht am Anfang der Text, der euch zu einer Inszenierung inspiriert oder habt ihr erst eine Umsetzungsidee, für die ihr gezielt Texte sucht?
Am Anfang einer konkreten Installation steht natürlich immer der Text. Manchmal gibt es aber auch Autor*innen, die uns besonders interessieren, Bücher, die uns wichtig sind oder Künstler*innen, mit denen wir gerne einmal zusammenarbeiten möchten.
Der Ausgangspunkt der Projekte Widergänge, A Poem for Dinner und Look at my lines ist Lyrik – seid ihr der Meinung, sie könne besonders gut in andere Ebenen übertragen werden? Habt ihr vor, zukünftig auch andere Textformen als Ausstellungsgrundlage zu wählen?
Gedichte haben meist aufgrund ihrer Dichte bereits einen sehr eigenen und präsenten Körper. Manche Gedichte folgen einer bestimmten Struktur, wie etwa eine Ballade oder auch ein Haiku, aber auch bei einem freien Satz ergibt sich meistens ein konkretes Bild. Dazu kommt der Rhythmus, der Ton, die Geschichte, der Reim, besondere Stilmittel, etc. Wir lesen uns die Texte immer laut vor. Das ist der beste Start für ein Weiterdenken und Weiterarbeiten mit dem Text.
Es ist völlig normal, dass ein Text im Theater auf die Bühne gebracht wird. Es muss aber zunächst eine Fassung geschrieben werden. Manche Texte weisen da ein größeres Potential auf als andere. Das ist bei unserer Arbeit ähnlich. Es gibt sicherlich auch Prosatexte, die räumlich erzählt werden können. Die Masse an Text stellt einen aber vor ganz andere Herausforderungen. In unserer Installation Ein Mann im Dialog mit seiner Waffe – Wolfgang Herrndorf. Arbeit und Struktur haben wir beispielsweise Kernaspekte herausgegriffen und mit Textfragmenten gearbeitet.
Räume ändern sich durch die in ihnen agierenden Personen. Ändern sich dementsprechend auch eure Projekte kontinuierlich? Und wenn ja, wie?
Natürlich hängt die Wirkung eines jeden Kunstwerkes von seiner Präsentationsform ab. Die ersten musealen Ausstellungen überhaupt in der Grande Galérie du Louvre waren unglaublich unübersichtlich, die ganze Wand hing voller Bilder. Nimmt man aber ein konkretes Bild heraus und gibt ihm Raum, bekommt es eine ganz andere Bedeutung. Unsere Reihe A Poem for Dinner könnte man als eine soziale Skulptur sehen. Wir wissen nicht, wer alles kommen wird, wer neben wem sitzt, wie die Übersetzung des Gedichts in das Gericht ist, mit welcher Stimmung die Leute ankommen. All das macht es unglaublich spannend und trägt dazu bei, dass kein Abend dem anderen gleicht. Wir bieten die Plattform, geben Impulse und die werden aufgegriffen oder auch nicht.
Ihr seid auf Instagram zu finden, auf Twitter jedoch nicht. Habt ihr euch bewusst für eine Plattform entschieden, auf der das Bild im Fokus steht?
Twitter lebt vor allem von der Schnelllebigkeit, von der schnellen Aktion und Reaktion, von täglichen Debatten. Wir sind eher an einer intensiveren, leiseren und vielleicht auch künstlerischen Auseinandersetzung interessiert. Instagram ist da auch eher ein Versuch und kein ideales Medium. Unsere Arbeiten leben vom direkten Austausch, dem Erleben vor Ort. Auf Instagram kann man andere Leute daran teilhaben lassen und natürlich nutzen wir diese Plattform auch zum Netzwerken.
Das neue Jahr hat gerade begonnen. Habt ihr für die kommende Zeit schon Projekte in Planung?
Aktuell arbeiten wir an einer Installation, die sich mit der empowernden Kraft von Texten auseinandersetzt. Die Arbeit wird voraussichtlich im Herbst im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Emanzipation zu sehen sein. Es ist eine Videoarbeit mit drei zeitgenössischen Lyrikerinnen. Es geht um das Worte finden / Worte weitergeben / gemeinsam sprechen und gemeinsam laut werden. Zurzeit stecken wir dafür mitten in der Finanzierungsphase. Ein follow up kann man auf unserer Website einsehen bzw. über unseren Newsletter bekommen.
Vielen lieben Dank für diesen ausführlichen Einblick in eure Arbeit und weiterhin viel Erfolg!
Julia Bergemann