Lit.RUHR – Jackie Thomae und zwei ungleiche Brüder

Bild: Marisa Müller

Wodurch wird unser Charakter geprägt? Inwieweit spielt Herkunft dabei eine Rolle? Sind es die anderen oder gar wir selbst, die unser eigenes Leben maßgeblich steuern? Mitunter diese existentiellen Fragen behandelt der neue Roman Brüder von Jackie Thomae, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis und des Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2019 steht. Nun war die Autorin bei lit.RUHR exklusiv zu Gast.

Jackie Thomae beim Literaturfestival in Essen

Am Samstagabend, den 12. Oktober 2019 lauschen bei der Veranstaltungsreihe lit.RUHR zahlreiche Besucher*innen im Katakomben-Theater Essen den Gedanken Thomaes zu ihrem zweiten Roman. Das Buch erzählt von zwei deutschen Männern, Kinder desselben Vaters, den sie allerdings nicht kennen. Weitere Gemeinsamkeiten scheint es zwischen den Brüdern vorerst nicht zu geben, denn ihr Leben könnte nicht unterschiedlicher sein. Entsprechend steht auch bei der Vorlesung die Entwicklung der beiden Romanbrüder Mick und Gabriel im Zentrum. Während der erste Teil mittels einer leicht-ironischen Erzählstimme den Berliner-Alltag von Mick darstellt, spielt der zweite Teil im „geldgetriebenen“ London und führt die Leser*innen direkt in die schwerste Lebenskrise des erfolgreichen Architekten Gabriel ein.

Äquivalent zu ihrem Schreibstil gibt Thomae an diesem Abend ehrliche und originelle Antworten auf die Fragen des Moderators Thomas Laue. Sie formuliert unverblümt und gibt sich vor allem selbstbewusst. So kontert sie zum Beispiel auf die Frage, ob es ihr leicht gefallen sei, sich während des Schreibprozesses in Männer hineinzuversetzen, ohne zu Zögern mit einem lautstarkem ‚Ja‘. Nicht nur lässt sie teils autofiktionale Aspekte wie das Aufwachsen mit einer alleinerziehenden Mutter einfließen; insbesondere hat sie Spaß daran, Charaktere zu entwerfen, die sich in ihren Zügen stark von ihren eigenen unterscheiden, sie aber dennoch faszinieren.

Umgang mit der eigenen Identität

Abwechslung sorgt bei der Diskussion zwischen Laue und Thomae der Schauspieler Alexander Fehling, der in regelmäßigen Abständen einige interessante Ausschnitte aus Brüder vorliest: Wir erfahren dabei nicht nur von Funktionsweisen toxischer Beziehungen und anderer Krisen der Brüder, sondern auch von dem Umgang mit ihrer Hautfarbe sowie von historischen Ereignissen wie dem Mauerfall, der Nachtszene Berlins in den 1990er Jahren sowie der Entstehung des Internets. Unvermittelt stellen wir uns immer wieder der Suche nach der eigenen Identität.

Was die Identität letztendlich am stärksten prägt, ist – laut Thomae –, wie wir als soziale Wesen funktionieren. Genau das exemplifiziert der Roman in pointierter Art und Weise mit viel Situationskomik.

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