Hausboot, Hipster, Entertainer: Kliemann und Schulz erschaffen Kreativ-Hotspot

Kliemann und Schulz bauen das Hausboot

Kliemann und Schulz. Zwei doch unterschiedliche Charaktere. Foto: Netflix

Am 9. März wurde die Dokumentation „Das Hausboot“ auf Netflix veröffentlicht und kletterte sofort in die Top 10 der in Deutschland meist-gestreamten Serien. Unter der Regie von Regina Schlatter (ehemals bei RocketBeans TV tätig) wird in insgesamt vier halbstündigen Folgen berichtet, wie YouTube-Heimwerker und Unternehmer Fynn Kliemann zusammen mit Entertainer und Sänger Olli Schulz das alte Hausboot Gunter Gabriels Magdeburg wieder in Schuss bringt. Sie wollen einen Ort erschaffen, an dem Musiker:innen kreativ sein dürfen. Ein schwimmendes Tonstudio also, mit Partydeck und Übernachtungsmöglichkeiten.

Überraschungsei gefüllt mit Scheiße

Der Weg dahin ist lang und beschwerlich, denn die Handlung basiert vor allem darauf, dass das Boot ein absoluter Fehlkauf ist. Olli Schulz fasst es in den ersten Minuten der Doku unverblümt zusammen:

„Wir haben ein Überraschungsei gekauft, das gefüllt war mit Scheiße.“

Rund 20 000 Euro blättern er und Kliemann für Gunter Gabriels Erbe hin, das sie im Sommer 2018 kaufen. Bei einer Begehung mit Gabriel-Tochter Yvonne Koch schwärmt Hipster Fynn Kliemann noch von dem schwimmenden Haus. Er zeigt sich begeistert, will die Sitzecke genauso behalten, wie sie ist, denn es scheint ja noch alles gut in Schuss zu sein. Auch gibt er zu, Gabriel nicht wirklich zu kennen. Er glaubt nur zu wissen, dass dieser cooles Zeug gemacht hat, „Leute motiviert und so“. 

Vermutlich weiß auch die Netflix-Generation vor den Bildschirmen nicht mehr viel über Gabriel. Er war erfolgreicher deutscher Country- und Schlager-Sänger. Er hatte ein bewegtes Leben mit einer unschönen Kindheit, vier Ehen und in seinen späten Jahren auch einigen Skandalen. Nach Phasen des Alkoholismus wurden Vorwürfe laut, er habe seine Frau misshandelt. Außerdem drückte er sich auf einem Konzert ungeniert aus und beleidigte damit arbeitslose Personen. Höchstens aus dem Dschungelcamp 2016 dürften sich junge Leute noch an Gunter Gabriel erinnern, doch das brach er aus eigenem Antrieb wieder ab. 2017 verstarb er mit 75 Jahren an den Folgen eines Sturzes und der anschließenden Operation.

Bauprojekt à la Tine Wittler

Nachdem alle Habseligkeiten des alten Country-Sängers ausgeräumt sind, wird das Boot zur Inspektion gebracht und dort wartet eine unangenehme Wahrheit auf die Käufer: Das Gerüst ist marode, alles kaputt, eigentlich nur noch ein Schrotthaufen. Im Nachhinein, reflektieren Kliemann und Schulz, hätte es ihnen eine Warnung sein sollen, dass hundert weitere Interessent:innen den Kauf nach Begehung doch wieder ausschlugen – wahrscheinlich hatten diese daran gedacht, eine:n Sachverständigen mitzubringen. 

Und so beginnen zwei kostenintensive und nervenaufreibende Jahre für Olli Schulz und Fynn Kliemann, in denen sie das Hausboot von Grund auf renovieren. „Von Grund auf“ meint: das Einzige, was bleibt, ist ein Teil des ursprünglichen Eisengerüsts. Es kostet sie zum Schluss nach eigenen Angabe eine halbe Million Euro, doch es lohnt sich (ob es sich finanziell auszahlt ist noch eine andere Frage). Die Serie erinnert an bekannte TV-Formate à la Tine Wittler, in denen abrisswürdige Immobilien ein beeindruckendes neues Leben eingehaucht bekommen. 

Die beiden Investoren engagieren einige Handwerker, unter anderem Max Luth, der die Renovierungsarbeiten leiten soll und auch sein eigenes Spotlight in der Serie bekommt. Meist ist der Schiffsbauer gelassen und geduldig mit seinen Arbeitgebern, die immer wieder mit neuen Ideen zu ihm kommen. Das Projekt setzt ihm aber scheinbar zu, denn gegen Ende zeigt er sich müde und gereizt. Es wird geschweißt, geflext, lackiert. Immer wieder tun sich neue Herausforderungen auf, die ausdiskutiert werden müssen. Zum Beispiel muss teurer Lack an den Wänden wieder entfernt und neu aufgetragen werden – das ist weder zeit- noch kosteneffizient.

Duo mit Eskalations-Potenzial

Pause muss sein.

Pause muss sein, bei einem Zwei-Jahres-Projekt. Foto: Netflix

Kosten sind sowieso ein großes Thema. Es scheint fast, dass es das Einzige ist, was Kliemann und Schulz verbindet – und auch entzweit. Fynn Kliemann, der sich um finanzielle Angelegenheiten zu kümmern scheint, muss Olli Schulz immer wieder um Geld bitten. Es kommt zu einem größeren Streit, an dem das Projekt auf Seiten Schulz’ beinahe zerbricht. Dabei bekleckert er sich nicht besonders mit Ruhm, sondern lässt seine klassische hitzige und kindische Olli-Schulz-Art heraushängen, die man schon aus anderen Auftritten kennt.

Als Fernsehkoch Tim Mälzer Interesse am Projekt zeigt und zum möglichen Investor wird, entscheidet das Zweier-Team jedoch, dass sie sich von niemand weiteres abhängig machen wollen, denn ihnen liegt viel an der kompromisslosen Umsetzung der eigenen Ideen. Neben Tim Mälzer haben auch Schauspieler Bjarne Mädel und Musikproduzent Moses Schneider Gastauftritte. Die einzigen Frauen, die einen Platz finden, sind Yvonne Koch, die am Anfang der Serie kurz zu sehen ist, Franzi Mulder, die Freundin von Fynn Kliemann, die inhaltlich auch vor allem über diesen redet, und Vivian Graé, die Innenarchitektin, die bei der Besprechung der Ausstattung Männerhumor über sich ergehen lassen muss.

Generell kann man sich fragen, wie Musiker Schulz und Visionär Kliemann eigentlich zusammenpassen. Sie sind definitiv keine Best Buddies und kennen tun sie sich vor dem Projekt erst ein paar Tage. Während Fynn Kliemann einige Erfahrung im Werkeln mitbringt, weil er auf seinem Projekt-Bauernhof Kliemannsland regelmäßig mit seinen Freunden neue Ideen umsetzt, sich beispielsweise Gartentische, Küchen oder Marderfallen zusammenbastelt, ist Olli Schulz eher unerfahren und bringt wenig Begeisterung für Baustellen-Arbeiten mit. Man sieht ihn oft mit seinem Handy zwischen arbeitenden Männern herumirren. Dann drückt er dieses jemandem in die Hand und lässt sich für Instagram dabei filmen, wie er ein einzelnes Stück Schrott in den Container wirft. Immerhin steht er dazu, dass er sich nicht besonders nützlich macht, sondern vor allem darauf wartet, dass das Boot fertig ist und er sich der Musik widmen kann. 

Kreative Arbeit der Serie mit Social Media-Kanälen

Die Instagram-Mitschnitte mehrere Akteure werden modern in die Doku-Serie integriert. Sie arbeitet auch mit der Darstellung von unfreundlichen WhatsApp-Nachrichten, die zwischen Kliemann und Schulz ausgetauscht wurden, um den Streit der Beiden zu verarbeiten. Auch Auszüge aus Schulz’ Podcast Fest und Flauschig, den er mit Jan Böhmermann führt, haben ihren Auftritt, denn dort berichtet er regelmäßig von Fortschritten des Hausbootprojekts. Nicht nur das bringt kreative Elemente in die Doku. Auch ein kleines aus Pappe nachgebautes Modell des fertigen Bootes ist mit viel Liebe gemacht und dient als Blick in die Zukunft. Das Modell glänzt mit Details, wie kleinen Blumentöpfen aus Zahnpasta-Deckeln.

Nicht nur das Modell, sondern auch das Original überzeugt am Ende. Es ist schließlich schwimmtauglich, modern eingerichtet und bietet eine tolle Location für Bands, Parties, Künstler und alle, die kommen wollen. Auch Nachhaltigkeit ist in der Konstruktion bedacht. Solarzellen auf dem Dach sorgen für Strom für den Aufnahmeraum und ein nachhaltiges Heizungssystem im Unterdeck sorgt für ein autarkes Boot. Auch Liebe zum Detail wird sichtbar, bei Umsetzungen wie den Kopfhörern im Badezimmer, mit denen man direkt von der Toilette aus in den Aufnahmeraum hineinhören kann. Nur an einer Stelle versagt das Team: Schulz’ Vorschlag, das Boot G. Unter oder Olivers Kahn zu nennen werden abgelehnt und es bleibt bei der Bezeichnung Das Hausboot. Der Spirit von Gunter Gabriel ist nur noch da, wenn man ihn sich dazuwünscht. Ein paar Dekorationen erinnern an ihn, wie zum Beispiel ein eingerahmter Brief an seine Tochter. Ansonsten ist das Hausboot eine Neu-Erfindung, die sich von ihrem ehemaligen Besitzer losgelöst hat.

Fazit

Die Serie ist kein Ratgeber für die Renovierung des eigenen Hausboots, sondern eher eine Selbstdarstellung der Hauptakteure. Wer Olli Schulz oder Fynn Kliemann nicht leiden kann, sollte dringend die Finger davon lassen, denn einige Momente sind geprägt von deren kindischer Art und Penis-Humor. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann einen spannenden Prozess von absoluter Ruine zu einem wirklich sehenswerten Hausboot verfolgen. 

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