Applaus in Form von Emojis, eingeschoben zwischen Lob und Begeisterungsbekundungen im Chat. Überwiegend positiv fiel die Reaktion des Publikums auf den Stream des Theaterstücks „Die Pest“ am Dienstagabend aus. Nachdem der Roman von Albert Camus sich vor allem zu Beginn des Corona-Jahrs neuer Beliebtheit erfreute, präsentiert das Deutsche Theater Berlin den Klassiker in dieser Woche gleich zweimal online. Neben der Übertragung am Dienstag gibt es am morgigen Samstagabend, den 6. Februar, erneut die Chance das Stück zu sehen – diesmal sogar mit Nachgespräch mit Regisseur András Dömötör, Schauspieler Božidar Kocevski und Dramaturg Claus Caesar.
Als Theaterstück inszeniert hatte Dömötör das Werk bereits 2019, aufgrund der Aktualität des Textes haben Božidar Kocevski und Kameramann Lorenz Haarmann das Stück nun überarbeitet. In der Stream-Fassung folgt die Kamera Kocevski durch die Räumlichkeiten des Deutschen Theaters in Berlin. Als einziger Schauspieler übernimmt er sowohl die Rolle des Erzählers als auch die der Figuren. In einer knappen Stunde erzählt er verdichtet, jedoch nah am Originaltext, die Geschichte um eine Pestepidemie in der algerischen Küstenstadt Oran in den vierziger Jahren.
Das Nebeneinander von Text und Setting verstärkt die aktuellen Assoziationen, die durch die Worte entstehen. Leere Theaterflure und -säle, Desinfektionsmittelspender, Gesichtsmaske: Unsere Realität vermischt sich mit der bedrohlichen Geschichte um eine andere Infektionskrankheit, die ebenfalls das gewohnte Leben lahmlegt. Die Maßnahmen, zunächst sehr zurückhaltend eingeleitet, kommen viel zu spät, gebieten dem Massensterben nicht rechtzeitig Einhalt. Es geht um die Abgeschiedenheit von der Außenwelt, das Vermissen und Verpassen, die Angst um geliebte Menschen und um die eigene Gesundheit. Ein schöner Nebeneffekt ist der Rundgang durch das Deutsche Theater – ein Einblick, der dem Publikum beim Besuch einer Vorstellung für gewöhnlich verborgen bleibt. Was sonst der Bereich „hinter den Kulissen“ ist, wird hier Teil der Inszenierung. Von Seiten des Deutschen Theaters selbst heißt es nach der Vorstellung am Dienstag im Chat:
„Der Gang durchs Haus (das leere Theater) thematisiert das, was fehlt, eine Beschwörung der Abwesenden“
Kameraführung und Schnitt sind einfach aber effektiv eingesetzt. Obwohl Lorenz Haarmann durchgehend mit der Handkamera filmt, gelingen ihm abwechslungsreiche Einstellungen, die Eindringlichkeit und Charakterdarstellung zu verstärken wissen. Schnitte werden vor allem zur Beschleunigung eingesetzt. Indem das Medium Film sich zurückhält und dem Schauspiel den Vorrang lässt, bleibt ein Teil des Theatercharakters erhalten.
Am Ende darf der Schauspieler ins Freie treten, die Pest ist überstanden. Wir hingegen müssen noch eine Weile ausharren. Gut, dass es Angebote wie Theater-Streams gibt, die ein wenig von dem, was wir in der Öffentlichkeit vermissen, ins eigene Zuhause bringen. Die Übertragung von „Die Pest“ steht am Samstagabend von 20 bis 21 Uhr auf der Internetseite Dringeblieben noch einmal zur Verfügung. Tickets können im Vorverkauf und bis spätestens 20:30 Uhr am Vorstellungstag erworben werden.
Auch diejenigen, denen eher nach einer anderen Thematik zumute ist, können im umfangreichen Angebot auf der Website fündig werden. Dringeblieben ist das gemeinsame Projekt der Internetangebote Rausgegangen und ASK HELMUT, die täglich aktuelle Kulturveranstaltungen in Köln und München (beide) sowie in Berlin, Hamburg und Leipzig (ASK HELMUT) empfehlen. In der Corona-Zeit haben es sich die Betreiber:innen der Seiten nun zur Aufgabe gemacht, eine Auswahl von digitalen Ersatzprogrammen der Kulturinstitutionen bereitzustellen. Die Ticketpreise können von den Zuschauer:innen frei gewählt werden, beim Stream von „Die Pest“ liegt der Spielraum beispielsweise zwischen einem und hundert Euro. So kann das Angebot möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden und trägt gleichzeitig dazu bei, die Veranstalter:innen während der Schließungen zu unterstützen.
Trotz des Endes der Epidemie klingt „Die Pest“ in einem düsteren Ton aus: Das Grauen kann sich wiederholen. Jederzeit können Katastrophen unerwartet über uns hereinbrechen. Auf ganz konkrete Weise sind wir im vergangenen Jahr Zeug:innen dessen geworden, wie viel Wahrheit in diesem Ausblick steckt. Wie die Bewohner:innen von Camus‘ Oran werden aber auch wir aufatmen dürfen, wenn die Pandemie endlich überstanden ist.
Auf der Suche nach einem guten Buch stöbert sie am liebsten in Antiquariaten und öffentlichen Bücherschränken. Neben Literatur interessiert sie sich für Nachhaltigkeit und intersektionalen Feminismus und träumt davon, eines Morgens mit einem grünen Daumen aufzuwachen.