Lange hatte ich sie mir vorgenommen und nun bot sich mir die perfekte Gelegenheit. Ich habe versucht, einen Tag 12 Stunden lang zu lesen. Der Sinn der Aktion ist es, sich tatsächlich einmal hinzusetzen und ganz bewusst ein Buch in der Zeit zu lesen, in der man eigentlich so viel anderes zu tun hat und dann doch lieber schnell zwischendurch etwas auf Netflix schaut, anstelle eines der sehsüchtig wartenden Bücher aufzuschlagen.
Die Idee dazu kam von einem Video (I Failed the 24 Hour Reading Challenge) der britischen YouTuberin Hannah Witton, die versuchte, 24 Stunden lang zu lesen. Der Ansatz, sich eine bestimmte Zeit nur auf das Lesen zu konzentrieren, reizte mich sehr, aber nach einem Blick auf die Zeit lachte ich herzlich und überlegte, zunächst einmal vorsichtig mit 12 Stunden zu beginnen. Ich hatte allerdings Schwierigkeiten, dieses sehr zeitintensive Unterfangen mit meinem Unialltag zu vereinigen. Jede*r Dozent*in denkt schließlich man würde nur ihr/sein Seminar belegen, dazu kommen die 50 kleinen Dinge, die man währenddessen auch noch machen muss, das bisschen Haushalt will sich nicht von alleine machen und irgendwie will man währenddessen auch noch ein funktionierender, erwachsener Mensch sein. Und seine erschreckend hohe Anzahl an Pflanzen-Kindern am Leben erhalten.
Aber dann kam die Gelegenheit, verkleidet in einer schrecklichen Situation: Ich musste eine Klausur nachschreiben und wusste ganz genau, dass ich am nächsten Tag, einem seminarlosen Freitag, nichts machen konnte was eine hohe Konzentration erforderte, aufgrund von mangelnder Gehirn-Kapazität. So setzte ich mich am Donnerstagabend bei meinem zweiten Glas Wein hin und erstellte eine Liste für den nächsten Tag. Bei all meiner Motivation war mir klar, dass ich in 12 Stunden keine Meisterleistung vollbringen würde und deswegen nicht vorschnell fünf Bücher von meinem Noch-Zu-Lesen-Regal nehmen sollte. So gemaßregelt legte ich mich auf vier Bücher und ein Hörbuch fest und brachte diese in eine Reihenfolge. Mit diesem vollbrachten Tagwerk beendete ich meine ausführliche Vorbereitung und freute mich auf den nächsten Tag, an dem ich pünktlich um 10 Uhr meine Challenge beginnen wollte.
Am nächsten Tag begann ich meine Challenge nicht pünktlich, dafür aber ausgeschlafen und mit einem ausgiebigen Frühstück im Magen um 11:30.
Das erste Buch auf meiner Liste war „Shadow and Bone“ von Leigh Bardugo. Ich hatte das Buch bereits angefangen, weil ich seit der Trailer-Premiere unbedingt das Buch lesen wollte, bevor die gleichnamige Serie herauskam. Nun gut, die Serie gibt es inzwischen seit fast einem Monat bei Netflix und Evelyn Messel hat bereits einen ausführlichen Blick auf die Bücher der Reihe und die Serie geworfen. Die Challenge begann mit einer Tasse Tee am Küchentisch.
Nach einigen Stunden, die ich in der Welt der Grisha verbracht habe, beklagte sich mein Magen und ich griff zu meinem zweiten Buch: das Kochbuch „Hensslers schnelle Nummer“ von Steffen Henssler, das ich zwei Tage zuvor geschenkt bekommen hatte. Ein Buch ist schließlich ein Buch und war deswegen für mich in der Challenge zugelassen. Auf diese Weise habe ich theoretisch während der Zubereitung und während des Essens keine Pause gemacht, weil ich das Buch durchblätterte, während ich meine Spaghetti Aglio e Olio genoss.
Nach dem Essen machte ich einen Spaziergang, eines der Dinge, die mir in dieser Zeit der Seuche die meiste Freude bereitet (neben meiner Armee von Pflanzen) und hörte währenddessen ein Hörbuch, was ich ebenfalls großzügig unter die Bücherkategorie fallen ließ. „The Raven Boys“ von Maggie Stiefvater ist das erste von vier Büchern. Es geht um eine Eliteschule, Raben, Hellseherinnen und um die Suche nach einem walisischen König. Es ist wunderschön geschrieben und eignet sich ausgezeichnet zum Laufen, die Handlung ist spannend und verläuft in einem guten Tempo.
Zuhause angekommen las ich tatsächlich Shadow and Bone zu Ende und freute mich, es nach all der Zeit abgeschlossen zu haben. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass ich noch etwa zwei Stunden Zeit hatte, bis die Challenge beendet war. So griff ich nach einem anderen Buch, was lange auf meiner Noch-Nicht-Beendet Liste steht: „Dune“ von Frank Herbert. Mir fehlten noch etwas über 200 Seiten, ich hatte also keine Ambitionen das Buch in der verbliebenen Zeit fertig zu lesen. Während des Lesens sah ich nur leider wieder, warum ich das Buch aus der Hand gelegt hatte. Der Science-Fiction Roman erschien 1965, wodurch einige Ansichten in der Geschichte erklärt. Der Großteil der Handlung hat mir auch gut gefallen, aber ich habe wenig Spaß an einer fiktiven Welt, in der die einzigen Aufgaben der Frauen spirituelle Unterstützung, Fortpflanzung und das Instandhalten von Heim und Familie sind. Trotzdem schlug ich mich weiter durch die Beschreibungen der tödlichen Wüste und noch tödlicheren politischen Machenschaften, bis es 23.30 war und ich offiziell die Challenge bewältigt hatte.
Als Endergebnis kann ich sagen, dass ich die Herausforderung sehr genossen habe. Ich merke sehr deutlich, dass ich weniger lese und obwohl ich von der Uni so viel Lesestoff bekomme, hat mich das früher weniger davon abgehalten, ein Buch in meiner Freizeit in die Hand zu nehmen. Als ich mich verpflichtete, einen halben Tag lang durchzulesen, habe ich mich als erstes ablenken wollen. Nur einmal kurz das Handy kontrollieren ob nicht vielleicht doch etwas Wichtiges passiert ist. Oder von der Musik zur Mail wechseln und von dort zu YouTube.
Ich bin froh, dass ich mir den Tag freigenommen habe und nur gelesen habe und kann es nur empfehlen. Wenn ihr nicht die Zeit habt, ganze 12 Stunden durchzuziehen, könnt ihr auch klein beginnen. 4 Stunden am Wochenende einfach mal alles andere weglassen und sich nur bei gutem Wetter in den Park setzten und vom Noch-Nicht-Beendet-Regal das eine angefangene Buch nehmen, was ihr seit Monaten beenden wollt.