Zwei offene Briefe von AutorInnen an Amazon-Chef Jeff Bezos haben den Online-Versandhändler in den letzten Tagen und Wochen einmal mehr negative Schlagzeilen gebracht. Die Protestbriefe sind Teil einer komplexen Debatte, in der verschiedene Interessensgruppen um die Zukunft des Buchmarkts kämpfen. Digitur versucht einen kurzen Einblick in die Entwicklungen und grundlegenden Streitfragen der Debatte zu geben.
Seit einigen Tagen und Wochen steht Amazon einmal mehr im Fokus der öffentlichen Berichterstattung. Dafür haben einige hundert AutorInnen aus dem US-amerikanischen sowie aus dem deutschsprachigen Raum mit einem offenen Brief an Amazon-Chef Jeff Bezos gesorgt. Die von Douglas Preston ins Leben gerufene Initiative Authors United erhob Anfang August in dem von Preston formulierten offenen Brief Vorwürfe gegen den Online-Versandhändler, die sich auf dessen Verhalten gegenüber den Verlagen Hachette und Bonnier richten. Der Brief fand unter anderem in der Sonntagsausgabe der New York Times eine Plattform und wurde von 909 AutorInnen unterzeichnet, zu denen u.a. Bestsellerautoren wie Stephen King oder John Grisham gehören. Einige Tage später folgten AutorInnen im deutschsprachigen Raum der Initiative ihrer amerikanischen Kollegen mit der Aktion Autoren und Autorinnen für einen fairen Buchmarkt und veröffentlichten ebenfalls einen offenen Brief, der sich in weiten Teilen wie die Übersetzung des offenen Briefes von Authors United liest. Das Protestschreiben wurde mittlerweile von 1717 Personen unterzeichnet und findet Unterstützung von verschiedenen Autorenverbänden, etwa von Syndikat, dem PEN-Zentrum Deutschland oder vom Verband Deutscher Schriftsteller (VS).
Was war Auslöser der Aktion?
Der Verlag Hachette sowie die Bonnier Verlagsgruppe (zu der unter anderem Piper, Carlsen und Ullstein gehören) befinden sich seit einigen Monaten im Rechtsstreit mit Amazon. Im Kern dieses verworrenen und komplexen Streits geht es um die Preise für E-Books. Amazon fordert in neuen Vertragsbedingungen höhere Rabatte auf E-Books. Da Hachette und Bonnier diesen Bedingungen bisher nicht zugestimmt haben, behindert Amazon die Auslieferung von Büchern, die in diesen Verlagen erschienen sind. Dieses Verhalten des Onlinehändlers wurde von den Verlagen aber auch vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels angeprangert, der bereits im Juni Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht hat. Als neue Stimme im Streit zwischen Amazon und den Verlagen haben sich nun also AutorInnen und Autorenverbände zu Wort gemeldet.
Worum geht es den AutorInnen in ihrem offenen Brief?
Amazon wird vorgeworfen, Hachette- sowie Bonnier-AutorInnen in „Beugehaft“ zu nehmen. Bücher dieser Autoren würden nicht auf Lager gelegt und verlangsamt ausgeliefert werden. Zudem würden die Empfehlungslisten der Kunden manipuliert werden, insofern Bücher der entsprechenden Verlage nicht mehr darin auftauchen würden. Die Anklagepunkte werden deutlich: Boykottierung, Manipulation, Geiselnahme, illoyales und kundenunfreundliches Verhalten. Dabei geht es den AutorInnen nicht darum, Partei zu ergreifen im Streit zwischen Amazon und Hachette bzw. Bonnier, sie fordern Amazon vielmehr „entschieden auf, nicht länger Bücher und damit auch Autoren und Autorinnen als Geiseln zu nehmen, sondern eine lebendige, ehrliche Buchkultur zu gewährleisen und die benannten Maßnahmen zu stoppen.“
Wie sehen die Reaktionen aus?
Die offenen Briefe stießen auf ein großes (Medien)Echo. Von den unterschiedlichen Äußerungen der verschiedenen „Player“ des Literaturbetriebs soll hier nur die Reaktion der Self-Publisher herausgepickt werden. Stefan Holzhauer hat sich stellvertretend für diese Gruppe ebenfalls mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet. Dieser Brief, der an den Börsenverein und den Buchhandel adressiert ist, nimmt in kritischer und ironischer Weise Stellung zu den Vorwürfen der vorangegangenen Briefe. Der momentanen Boykottierung der Hachette- und Bonnier-AutorInnen stellt er die immer schon bestehende Boykottierung aller Self-Publisher gegenüber, denn ihre Bücher befänden sich nicht einmal im Angebot. Dem Vorwurf der Manipulation der Amazon Empfehlungen wird hier mit der Feststellung begegnet, dass „Kundenempfehlungen durch den Buchhandel massiv manipuliert werden, denn es finden sich definitiv KEINERLEI Selfpublisher darunter.“ Holzhauer möchte die Gruppe der Self-Publisher mit ins Blickfeld der Debatte bringen, deren Interessen bei Amazon offenbar besser aufgefangen werden, als an anderer Stelle. In genau diese Kerbe schlägt auch die Petition Stop fighting low prices and fair wages von „Writers and Readers“ (derzeit 8520 UnterstützerInnen), die Amazon als hilfreiche und faire Plattform für junge AutorInnen stark macht, die sich zudem im Interesse der Kunden bzw. Leser für niedrige E-Book Preise stark mache. (Dass der Graben zwischen Self-Publisher und Verlagen gar nicht mehr so groß ist, hat Digitur übrigens in einem vorangegangen Beitrag gezeigt).
Und was sagt Amazon zu den Vorwürfen?
Amazon antwortet in „A Message from the Amazon Books Team“ mit einem Vergleich zwischen der früheren Kontroverse um Taschenbücher und der heutigen um angemessene E-Book-Preise. Der Kulturkampf von damals soll uns zeigen: „Just as paperbacks did not destroy book culture despite being ten times cheaper, neither will e-books.“
Was zeigt uns das alles?
Mindestens zweierlei: Erstens hat die Reaktion der Self-Publisher gezeigt, dass die Aktion „Authors United“ in ihrer Benennung nicht ganz zutreffend ist. Die eine homogene Gruppe von AutorInnen scheint es nicht zu geben. Zweitens wird schnell deutlich, dass, obwohl es in den offenen Briefen an Amazon um sehr konkrete Anschuldigungen der Manipulation geht, letztlich sehr grundlegende Fragen des (digitalen) Literaturbetriebs zur Debatte stehen: Wer entscheidet darüber, welche Bücher auf welchem Wege publiziert werden? Wie viel Gehalt steht Autoren zu? Wie teuer dürfen E-Books sein? Was ist uns das Kulturgut Buch wert?
Katharina Lührmann