Ticketkauf, ein Getränk im Foyer, Platzsuche, leise Gespräche im Publikum, Licht aus, Vorhang auf, Schauspieler*innen auf der Bühne, Verbeugung, Klatschen, Vorhang zu, Licht an, Stück Revue passieren lassen – heruntergebrochen ein Theaterbesuch, wie ihn jede*r kennt. Das onlinetheater.live setzt sich der Theatertradition entgegen, indem es ermöglicht, Schauspiel digital zu erleben. Ortsunabhängig, kostenlos, ungezwungen und dem Geist der Zeit entsprechend ist die Plattform das erste Theater, dessen Veranstaltungen ausschließlich online miterlebt werden können. Nötig sind hierfür lediglich eine gute Internetverbindung und der Spaß an Digitalem, Neuem und Innovativem.
Via Livestream ist es möglich, die Stücke und Performances des Gegenwartstheaters, die sich erst online vollständig entwickeln, mitzuverfolgen. Das dargestellte Programm wird nicht aufgenommen und anschließend ins Netz gestellt, sondern vielmehr wie in einem herkömmlichen Theater live dargeboten. Der Unterschied: Die Schauspieler*innen werden zwar live beobachtet, sind jedoch nicht auf direktem Wege – face to face – mit den Reaktionen der Zuschauer*innen konfrontiert. Die Kommunikation ist allein über das Online-Foyer (Live-Chat) oder soziale Netzwerke möglich. Der Chat veranlasst die aktive Teilnahme der Zuschauer*innen an dem Projekt. Dadurch, dass sie mittels des Kommunikationsmediums einen Beitrag zu dem Gezeigten leisten, ist das Internet selbst Teil der Inszenierung und bietet Gestaltungsfreiraum wie auch die Beeinflussung des Handlungsgeschehens von außen. Was letztlich genau passiert, steht also zu Beginn einer Performance offen. Gerade diese Offenheit macht den besonderen Reiz des Digitalprojekts aus und verkörpert hochgradige Spannung sowie die Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit des Netzes.
Initiiert wurde das digitale Theater-Konzept von den Schauspielern Caspar Weimann und Saladin Dellers. Unterstützung erhielten sie bei der Umsetzung durch die Künstler*innen-Plattform NUU. Vor fast einem Jahr, am 24.05.2017, starteten sie ihre erste Spielzeit und arbeiten seither in einem achtköpfigen Kollektiv. Auf der Website des Theaters heißt es, die Mitwirkenden bedienten sich „der kreativen, emanzipatorischen und schöpferischen Kraft des Theaters und suchen nach neuen, eigenständigen Formen, die unseren hybriden Zeiten gerecht werden“, um die digitale Öffentlichkeit mitzugestalten. Bis dato wurden die zwei Stücke Werther und Follower inszeniert, deren Trailer unter anderem auf Youtube verfügbar sind. Auch auf den sozialen Netzwerken Instagram, Facebook und Twitter ist das onlinetheater.live vertreten und verbreitet dort vor allem Informationen rund um die Vorstellungen sowie eine Menge an Bildmaterial aus den ersten Produktionen. Zudem stellen die Kanäle eine Plattform für mögliche Diskussionen und Anregungen dar. Die zweite Spielzeit soll Ende dieses Jahres anlaufen – wir sind gespannt, in welche Welt des World Wide Web die Online-Bühne diesmal eintaucht.
Mehr zum Thema Digitalisierung des Theaters findet ihr in einem unserer kürzlich erschienenen Artikel.
Julia Bergemann