Ein Krieg, der schon seit Jahren andauert, rückte vor drei Wochen ins Zentrum der (medialen) Aufmerksamkeit in Europa, als Wladimir Putin die Invasion in die Ukraine einleitete. Seitdem gehen schockierende Bilder um die Welt. Sie zeigen Menschenmassen an den Grenzübergängen nach Polen, Geburtsstationen, die in Krankenhauskeller verlegt wurden, zerbombte Wohnhäuser und kampfbereite Soldat:innen. Aber auch Solidaritäts-Demonstrationen und freiwillige Helfer:innen, die Sachspenden sammeln oder Geflüchtete versorgen.
Reaktionen auf den brutalen Angriff kommen nicht nur von Politiker:innen und Aktivist:innen. Prominente, Unternehmen, Organisationen und zahlreiche Privatpersonen schließen sich Solidaritätsbekundungen und Hilfsaktionen an. Auch die deutsche Literaturszene bleibt nicht still. Autor:innen, Verlage, Buchhandlungen und Blogger:innen bekunden ihre Solidarität und ihre Unterstützung für die Menschen in und aus der Ukraine. Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Präsident des Europäischen Verlegerverbandes FEP, ruft die Buchbranche im Börsenblatt auf, den Krieg in der Ukraine zu thematisieren und sein Ende zu fordern.
Lesen in Zeiten des Krieges
„Buchhandlungen können Thementische und Schaufenster gestalten, Verlage können ukrainische Autor:innen in den Mittelpunkt rücken“, schlägt Kraus vom Cleff vor. Und genau das geschieht: Blau-gelbe Buchcover schmücken die Auslagen einiger Buchläden. Viele, wie die Heinrich Heine Buchhandlung in Essen, stellen auf Büchertischen Literatur aus und über Ukraine und Russland sowie über die EU und NATO in den Mittelpunkt.
In den sozialen Medien orientieren auch Buchblogger:innen ihre Empfehlungen an den Nachrichten aus der Ukraine. Die Autorin und Moderatorin Mona Ameziane (Auf Basidis Dach, 2021) hat ihre Abonnent:innen bei Instagram nach Buchempfehlungen gefragt, die dabei helfen, die Ukraine und die aktuelle Situation besser einzuordnen. Einige der Vorschläge hat sie in einem Post zusammengefasst. Darunter sind sowohl Romane, wie Baba Dunjas letzte Liebe von Alina Bronsky, als auch Sachbücher, wie der Sammelband Testfall Ukraine aus dem Suhrkamp Verlag. In ihren Storys und in einem zweiten Post empfiehlt Ameziane außerdem Titel, die bei Überwältigung von den Kriegsnachrichten helfen können.
Viel geteilt wird in den sozialen Medien auch das Gedicht „We Lived Happily During the War“ des ukrainisch-amerikanischen Poeten Ilya Kaminsky. Die Lyrikerin Anja Kampmann übersetzt seinen Gedichtband Deaf Republic (2019), der das Gedicht enthält, derzeit ins Deutsche. Im Deutschlandfunk Kultur erzählt sie davon, wie die fiktive Welt, die Kaminsky in seinen Texten entwirft, plötzlich real und aktuell wird.
„Sie sind die Festung“
Auch deutschsprachige Autor:innen mit ukrainischen Wurzeln kommen jetzt zu Wort. In der taz schreibt Lana Lux (Kukolka, 2017) über ihre Beziehung zur Ukraine. Wie sie sich in den vergangenen Jahren erst langsam wieder aufbaute, nachdem Lux im Alter von zehn Jahren nach Deutschland gekommen war, und wie sich ihre Kenntnisse der ukrainischen Sprache mit der Berichterstattung zum Krieg rasant verbessern. Wie ihre Freundin, die sie eigentlich in diesem Frühjahr hatte besuchen wollen, ihren ukrainischen Partner in seinem Heimatland zurücklassen musste, und wie ihre Tochter sie fragt, ob Putins Kinder sich wohl für ihren Vater schämen.
Katja Petrowskaja (Vielleicht Esther, 2014) schreibt in der FAZ von ihren Freund:innen und Verwandten in Kiew. Den Kontakt im Krieg zu halten, bedeutet Nachrichten und Anrufe aus Luftschutzbunkern zu erhalten, in Fassungslosigkeit und ständiger Sorge zu leben. „Sie sind die Festung“, schreibt Petrowskaja über die Menschen, die sich entschieden haben, in Kiew zu bleiben. Das eigene Leben dreht sich plötzlich darum, den Menschen in der Stadt, die sie ihre Heimat nennt, irgendwie zu helfen. Zum Beispiel mit Protesten für den Frieden.
Die Literaturwelt sammelt Spenden
Helfen wollen. Dieser Impuls hat auch die Literaturszene erfasst. Die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland engagiert sich, indem sie Spenden für ukrainische Autor:innen, Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Kulturaktivist:innen sammelt. Gerade kritischen und somit besonders gefährdeten Stimmen soll durch die Spenden geholfen werden. Die Aktion trifft auf Unterstützung. Das Verlagshaus Berlin hat zum Beispiel ein eigenes Spendenkonto eingerichtet und leitet das gesammelte Geld an das PEN-Zentrum weiter. Zusätzlich werden die Einnahmen durch den Verkauf des Bandes Die Erbärmlichkeit des Krieges von Wilfred Owen über die Verlagshomepage gespendet.
Eine andere Art es Spendensammelns findet bei Instagram statt. Die Blogger:innen Yvonne Tang (@bookish.yvonne bei Instagram) und Timo Muth (@rainbookworld bei Instagram) organisieren auf ihrem gemeinsamen Account @bookstagramhilft Buchauktionen. Dafür stellen Autor:innen, Illustrator:innen und Verlage Bücher zur Verfügung. Gestartet hatten Tang und Muth das Projekt bereits als Reaktion auf die Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr. Seitdem haben sie außerdem Spenden für die Hilfe in Afghanistan gesammelt und in beiden Auktionszeiträumen insgesamt rund 16.000€ aufgebracht. Zu den Auktionen für die Ukraine trugen bisher unter vielen anderen der Diogenes Verlag, Mareike Fallwickl, Daniel Schreiber und Mona Ameziane Bücher bei.
„Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin“
Neben der Unterstützung für die Ukraine reagieren Europa und die Welt auf das Kriegsgeschehen, indem russische Kooperationen in Politik, Wirtschaft und Kultur gestoppt werden. Vier ukrainische Literaturinstitutionen, darunter PEN Ukraine, riefen am 1. März die Akteur:innen der internationalen Literaturszene zum Boykott russischer Bücher und Verlage auf.
Das PEN-Zentrum Deutschland hält diese Forderung nicht für zielführend. Am 6. März erklärte die Vereinigung in einem Statement, dass das Boykottieren russischer Literatur den Anschein von „symbolischen Ersatzhandlungen“ hätte. Zudem schließe es mutige literarische Stimmen aus Russland aus, die der PEN als unterstützenswert erachte. Das Statement endet mit den Worten des Publizisten und Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland, Deniz Yücel: „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa. Der PEN steht an der Seite aller Menschen in allen Ländern, die in Frieden, Freiheit und Würde leben wollen.“
Im Deutschlandfunk Kultur hatte Yücel drei Tage zuvor darauf hingewiesen, die Forderung der ukrainischen Literaturinstitutionen vor dem Kontext zu verstehen, dass sie von Menschen unter dem direkten Einfluss russischer Aggressionen gestellt worden ist. Er begrüße deshalb wirksame Sanktionen gegen Russland auch im kulturellen Bereich, widerständische russische und russischsprachige Autor:innen wie die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch verdienten jedoch Unterstützung.
Dieser Überblick ist nur ein Ausschnitt der vielen hilfsbereiten und solidarischen Reaktionen aus der deutschen Literaturszene. Dazu kommen lokal organisierte Aktionen, wie Lesungen von Texten ukrainischer Autor:innen, das Unterzeichnen offener Briefe, wie der des PEN International, oder der Ausschluss des russischen Nationalstandes von der Frankfurter Buchmesse.
Dass dieser Krieg so viel Aufmerksamkeit erfährt, ist auch kritisiert worden. Im Angesicht des grenzenlosen Leids sind Solidaritätsbekundungen und Hilfsangebote zwar dringend notwendig und richtig. Doch diese angemessenen Reaktionen heben besonders hervor, wie ungenügend die Unterstützung für von anderen Kriegen betroffene Menschen bisher ist und wieviel mehr möglich ist. Auch kleine Handlungen können zusammen eine spürbare Wirkung entfalten.
Auf der Suche nach einem guten Buch stöbert sie am liebsten in Antiquariaten und öffentlichen Bücherschränken. Neben Literatur interessiert sie sich für Nachhaltigkeit und intersektionalen Feminismus und träumt davon, eines Morgens mit einem grünen Daumen aufzuwachen.
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