Gegen das „Doomscrolling“: Ronja von Wurmb-Seibels „Wie wir die Welt sehen“ hilft aus der Hoffnungslosigkeit

Buch-Cover "Wie wir die Welt sehen"

Wir sind umgeben von schlechten Nachrichten. In „Wie wir die Welt sehen“ erklärt Ronja von Wurmb-Seibel, was das mit uns macht. (Bild: Elena Hesterkamp)

Alles geht den Bach runter: Das habe ich in letzter Zeit häufiger gedacht. Klimakrise, Pandemie, Krieg – wie soll man da nicht verzweifeln? Morgens ein Blick in die Nachrichten – schon starte ich sorgenvoll in Tag. Nun versuche ich, Optimistin zu werden. Auch dank Ronja von Wurmb-Seibel. Ihr neues Buch Wie wir die Welt sehen brauchen wir alle dringender denn je.

Von einer schlechten Nachricht zur nächsten

Schon mal von „Doomscrolling“ gehört? Falls nicht: Das tust du, wenn du stundenlang mit dem Handy in der Hand von einer schlechten Nachricht zur anderen springst, dir nicht nur ein schockierendes Video anschaust, sondern 20. Eines vorweg: Selbstverständlich ist es wichtig, informiert zu sein. Vor allem während der Corona-Pandemie war und ist das elementar: Wer keinen Plan davon hat, wo welche Regeln gelten, bekommt im Zweifelsfall Probleme. „Up to date“ sein ist das eine, „Doomscrolling“ das andere.

„Scheiße + X“ als Zauberformel

„Was macht es mit uns, wenn wir uns ohne Unterlass mit Katastrophen, Gewalt und Zerstörung konfrontieren?“ fragt die Journalistin und Filmemacherin Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem Buch Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien. Im schlimmsten Fall sind wir so erschlagen, dass wir uns hilflos fühlen. Dass wir uns denken: Wenn doch sowieso alles zugrunde geht, wozu soll ich überhaupt noch versuchen, etwas zu wuppen? Dass uns das Schlechte so unbezwingbar vorkommt, dass wir uns ergeben. Diesem Gefühl der Hilflosigkeit will die Autorin etwas entgegensetzen: „Scheiße + X“ ist ihre Zauberformel.

Nachrichten haben das Negative im Fokus

Die Scheiße ist schnell zu finden. Denn Nachrichten zeigen uns vor allem, was schiefläuft, wie von Wurmb-Seibel erklärt. Das habe mehrere Gründe: die sogenannten Nachrichtenfaktoren und der Schwerpunkt auf Tagesereignisse statt auf langfristige Entwicklungen zum Beispiel. Wenn sich etwas zum Guten verändert, ist das jedoch meist ein Prozess – und passiert nicht vom einen auf den anderen Tag. Mit den Medien sei es ähnlich wie mit unserem eigenen Leben, so von Wurmb-Seibel: Passiert etwas Schlechtes, merken wir es sofort. Passiert etwas Gutes, ist es weniger auffällig. Das wirke sich auch auf unsere Erzählungen aus. Heißt: Wir berichten Freund*innen eher von der Hundescheiße am Wegesrand als von der aufblühenden Blumenwiese. Ein weiterer Aspekt, den die Autorin aufgreift: unsere Vorliebe für Held*innengeschichten. Auch Superman & Co beeinflussen, wie wir über die Welt denken.

Auf der Suche nach Mutmachern

Was aber ist das X? Es steht für die Vorstellung, wie sich etwas verändern, möglichst zum Guten wenden lässt. Ich habe es vor allem als eine Art Mutmacher verstanden. Natürlich gibt es Probleme, die sich wohl niemals ganz in Luft auflösen werden und Idealzustände, die vielleicht nicht eintreffen werden. Von Wurmb-Seibel will uns aber dazu animieren, deswegen nicht den Antrieb zu verlieren. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel nicht nur von Umweltkatastrophen und Artensterben lesen, sondern gezielt nach Berichten suchen, die zeigen, was Menschen überall auf der Welt dagegen tun. Zu schauen: Welche Projekte gibt es und was haben sie bereits bewirkt? Dabei geht es nicht darum, alles Schlechte auszublenden und einfach so zu tun, als gebe es die Scheiße nicht. Vor der Klimakrise und der Ungerechtigkeit in der Welt die Augen zu verschließen, ist genauso Mist. Es geht darum, die Scheiße zu sehen, aber ebenso die möglichen Lösungen, die Entwicklungen, die vielleicht bereits im Gange sind. Damit wir uns nicht mehr hoffnungslos fühlen, sondern ermutigt.

Doomscrolling hilft niemandem

Zurzeit sehen wir uns mit einer neuen, riesengroßen Scheiße konfrontiert: Der seit einem Monat andauernde Krieg gegen die Ukraine ist natürlich kein Thema in dem Buch. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das von Wurmb-Seibel thematisiert, erfahren viele Menschen aktuell jedoch in großem Ausmaß. Mein X dazu, der Idealzustand, wäre selbstverständlich, dass der Krieg so schnell wie möglich vorbei ist. Das kann ich nicht schaffen. Was aber niemandem nützt, ist, wenn ich mir Stunde um Stunde nur schlimme Nachrichten ansehe. „In Angst tendieren wir dazu, immer mehr beängstigende Informationen zu sammeln“, schreibt von Wurmb-Seibel. So wird die Angst, die Hilflosigkeit nur größer. Diese Zeit kann ich besser nutzen, um zum Beispiel zu Demos zu gehen oder Spenden abzugeben.

Tipps für den Nachrichtenkonsum

Von Wurmb-Seibel empfiehlt, sich nicht mehrmals täglich wahllos mit Nachrichten zuzuschütten. Besser sollten wir uns zu gezielten Zeitpunkten informieren – und zwar zu den Themen, die uns ernsthaft interessieren. Unmittelbar nach dem Aufwachen oder vor dem Schlafen lese ich zum Beispiel keine Nachrichten mehr. Ich habe gemerkt, dass mich das den ganzen Tag über herunterzieht. Und damit ist keinem geholfen.

Ist die Welt doch besser als wir glauben?

Die Welt erscheint uns zurzeit ziemlich beschissen. Ganz ehrlich? Mir tat es da einfach gut, zu erfahren, dass sich in den letzten Jahrzehnten vieles positiver entwickelt hat, als ich geglaubt habe. In Wie wir die Welt sehen überführt von Wurmb-Seibel die Pessimist*innen in uns. Sie macht uns sensibler für den Umgang mit Nachrichten. Wir lernen, wie sehr uns Geschichten beeinflussen. Dafür nimmt die Journalistin Bezug auf wissenschaftliche Studien, lässt andere Autor*innen zu Wort kommen und teilt Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben. Zwei Jahre lang hat von Wurmb-Seibel in Kabul gelebt. Dort haben sie schlechte Nachrichten nicht nur auf dem Bildschirm oder dem Zeitungspapier umgeben. Das Buch richtet sich an alle, die Nachrichten konsumieren – und an alle, die sie produzieren. In erster Linie, meiner Meinung nach, an privilegiertere Menschen.

Wie wir die Welt sehen ist ein informatives Plädoyer für den Optimismus. Darin gibt von Wurmb-Seibel uns auch Hausaufgaben auf. Für einige reicht der eigene Kopf aus, für andere braucht es wieder den Griff zum Handy. Das Buch schickt uns auf die Suche nach dem X – und gibt Tipps, wie wir es finden.

Wie wir die Welt sehen ist im Kösel Verlag erschienen und kostet 18 Euro.

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