Kollaboratives Schreiben und Kryptowährungen – ein Projekt zum Scheitern verurteilt

Bitcoin, Ethereum und co. – heutzutage lässt sich alles mit Kryptowährungen kaufen. So auch Kunst und Literatur. Bild: CC0 Unsplash.

Das World Wide Web ist ein Konglomerat an Möglichkeiten, um sich kreativ auszuleben: Selbstproduzierte Musik oder Videos hochladen, Aufträge für Kunst entgegennehmen oder Eigenkreationen verkaufen – all dies ist inzwischen auf Youtube, Etsy und co. möglich. Und natürlich hat sich auch die Literaturszene das Internet zu Nutze gemacht: Fanfiction-Plattformen wie Wattpad bieten jungen Nachwuchsautor*innen erste Veröffentlichungsmöglichkeiten, Selfpublishing hat sich inzwischen etabliert und durch kollaborative Schreibprojekte entstehen neue, interessante Formen von Literatur. Doch solch ein Schreibprojekt hat vor Kurzem in der Öffentlichkeit große Wellen geschlagen. 

Was ist Realms of Ruin?

Besagtes Projekt sollte Realms of Ruin heißen und wurde von den etablierten US-amerikanischen Jugendbuchautor*innen Marie Lu, Adam Silvera, Tahereh Mafi, Ransom Riggs, Nicola Yoon und David Yoon organisiert. Diese sechs Initiator*innen wollten zunächst ein Fantasy-Universum mit zwölf Anfangsgeschichten errichten, das dann durch Texte von Leser*innen stetig erweitert werden sollte. Jeder hätte selbstgeschriebene Geschichten einreichen dürfen, von welchen die besten von den Projektleiter*innen hervorgehoben werden sollten. Dies sollte alles auf der NFT-Plattform Solana stattfinden. Doch nur fünf Stunden nach der Bekanntgabe von Realms of Ruin gab es das Projekt nicht mehr.

 

Was sind NFTs?

NFT ist ein Akronym für ‘nicht fungible Token’ und bezeichnet virtuelle Objekte, die auf digitalen Marktplätzen mit Kryptowährungen eingekauft werden können. Die WirtschaftsWoche beschreibt NFTs folgendermaßen:  

Als Token wird die digitalisierte Form eines Vermögenswertes bezeichnet und nicht fungibel beschreibt die Art der Güter. Die sind nämlich im Gegensatz zu fungiblen Vermögenswerten, wie beispielsweise Währungen oder Wertpapieren, einzigartig und können somit nicht durch ein Äquivalent ersetzt werden. NFTs entstehen meist aus Bildern oder Videos, sie können aber nahezu alles abbilden. So zum Beispiel auch Musik, Domainnamen oder virtuelle Grundstücke. Der eigentliche Zweck des NFTs ist es den Eigentümer der Kunst zu beglaubigen – eine digitale Besitzurkunde.

Dieses Vorgehen wird vor allem bei Kunstformen praktiziert, die im konventionellen Rahmen schwer zu schützen sind, wie z.B. Memes oder Emotes. NFTs bieten also eine Möglichkeit, dass Kreativschaffende auch ihre unkonventionellsten Kreationen urheberrechtlich schützen und verbreiten können. 

 

Was ist das Problem mit NFT?

In der Theorie klingt der NFT-Markt sinnvoll, um den Raum für neuartige Kunst im digitalen Zeitalter zu öffnen. Warum gab es nun vor allem in den sozialen Medien solch einen Aufruhr um das Realms of Ruin-Projekt, der zu dessen Beendigung geführt hat? Zunächst einmal wurde kritisiert, dass ein überwiegend an Jugendliche gerichtetes Projekt sich in einem unangemessenen Rahmen bewegt. Das Verständnis, um Kryptowährungen und zugehörige Plattformen nutzen zu können, fehlt noch einer Vielzahl an Menschen und so werden sich möglicherweise Jugendliche und junge Erwachsene nicht ausreichend mit der Materie beschäftigt haben. Da für die Erstellung eines NFTs bezahlt werden muss und es jedoch nicht ersichtlich war, inwiefern die NFT-Künstler*innen eine Kompensation erhalten würden, wurde den Projektleiter*innen vorgeworfen, sie würden die Nachwuchsautor*innen für ihren eigenen Profit ausnutzen. Außerdem würde eine Bezahlung von NFTs mit Kryptowährungen erfolgen, allerdings ist die Nutzung der gängigen Blockchain-Plattformen nur Volljährigen gestattet. Das Projekt spräche von vorneherein nicht die Zielgruppe an und verfehle somit dessen Zweck. Auch Fragen rund um das Thema Urheberrecht wurden gestellt, die die Verantwortlichen nicht ausreichend beantworten konnten. 

Aber es gibt auch ein weiteres grundlegendes Problem mit NFTs: Ähnlich wie bei Kryptowährungen benötigt das sogenannte Minting von NFTs Unmengen an Energie und schadet daher der Umwelt. Laut der New York Times produziert die Herstellung nur eines NFTs 200 Kilogramm Kohlenstoffdioxid und entspricht somit einem Ausstoß bei einer 500 Kilometer langen Autofahrt. Allerdings muss erwähnt werden, dass Solana umweltfreundlicher als manch anderer Anbieter ist. Dennoch sahen manche Kritiker die Ironie darin, dass gerade Autor*innen wie Marie Lu und Tahereh Mafidie dystopische Jugendbücher verfassen, in denen junge Menschen für den Wiederaufbau einer zerstörten Welt kämpfen, sich für solch eine Vorgehensweise entschieden haben. Eine Übersicht über die Umstände und die Kritik gegenüber Realms of Ruin in den sozialen Medien hat der Twitter-Account Bad Writing Takes hier erstellt.  

 

Welche alternativen Möglichkeiten hätte es gegeben?

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Gedanke hinter dem Projekt und die tatsächliche Umsetzung inkompatibel sind und Widersprüche generiert hat. Dies fasst Dan Olson in einer Reihe an Tweets zusammen:


Wie hätte man solch ein Projekt nun anders umsetzen können? Um den Autor*innen das Urheberrecht zuzusagen und sie fair vergüten zu können, hätte man unzählige Finanzierungsmöglichkeiten anstreben können. Wenn die Organisator*innen nicht aus der eigenen Tasche bezahlen möchten, wäre eine Crowdfunding-Kampagne möglich gewesen. Schon einige Buchideen konnten so umgesetzt werden. Eine weitere Möglichkeit wäre der Einbezug eines Verlagshauses oder sogar die Neugründung eines kleinen Verlags speziell für das Projekt gewesen, damit Urheberrecht und Bezahlung institutionell geklärt wären. Auch diese Herangehensweise für ähnliche Projekte wurde bereits praktiziert, beispielsweise von Aurora Rose Reynolds, die durch die Gründung eines eigenen Verlags Fans ihrer Liebesromanreihe die Möglichkeit bietet, dem Universum eigene Geschichten beizusteuern. Verzichtet man gänzlich auf Profit und setzt den Fokus auf den Aspekt der Kollaboration, hätte man eine Homepage angelehnt an das Fanfiction-Prinzip aufbauen können.  

Letztendlich war Realms of Ruin ein interessantes Projekt mit einem innovativen Ansatz. Leider schienen sich die Initiator*innen nicht im Klaren, dass die Umsetzung nicht für die Zielgruppe geeignet ist. Auch mit den Problemen von NFTs wurde sich scheinbar nicht ausreichend auseinandergesetzt. Dennoch waren der Hass und die Missgunst, die ihnen in den sozialen Medien auf persönlicher Ebene entgegengebracht wurde, unangebracht. Der Fehler wurde eingesehen und auf konstruktive Kritik eingegangen. Hoffentlich sind sie und auch andere Autor*innen mit ähnlichen Ideen nun nicht allzu abgeschreckt und versuchen es mit anderen Ansätzen für kollaborative Schreibprojekte. Denn das Internet birgt noch zu viel ungenutztes Potential für Literatur, das erst einmal entdeckt werden muss.   

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