„Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, interessierten sich auch für folgende Artikel.“ Produktempfehlungen in dieser oder in ähnlicher Art sind im Internet allgegenwärtig und in vielen Augen eine gern gesehene Serviceleistung. Aber wie kommen diese Empfehlungen zustande? Was steckt dahinter und welche Auswirkungen haben sie?
Wer sich im Online-Handel eine Waschmaschine kauft, der wird unmittelbar danach sehr wahrscheinlich Werbeanzeigen zu Trocknern, Waschmittel oder Ratgebern „Mein erster eigener Haushalt“ zu sehen bekommen. Als Internetnutzer hinterlassen wir eine Menge von Daten, die in ihrer Auswertung Rückschlüsse auf unsere (Kauf)Interessen zulassen. Auf diese Weise lässt sich individuell passgenaue Werbung schalten. Personalisierung ist hier das zentrale Schlagwort, das längst nicht nur bei Werbeanzeigen zum Tragen kommt, sondern auch bei Suchanfragen im Internet oder beim Abrufen von Online-Nachrichten über News Feeds. Facebook User bekommen z.B. dank des Edge-Rank Algorithmus längst nicht alle Updates ihrer Freunde zu sehen, sondern nur die relevanten. Und Relevanz heißt hier immer: eine hohe Anzahl an Klicks.
Was das für unseren Zugang zu Informationen und für unsere Wahrnehmung der Welt bedeuten kann, hat u.a. Eli Pariser in „The Filter Bubble. What the Internet Is Hiding from You“ einschlägig gezeigt. Ein personalisiertes Internet führt laut Pariser dazu, dass Internetnutzer in einer sogenannten Filter Bubble leben, in der sie nur noch Inhalte gezeigt bekommen, die die eigenen Interessen und Ansichten widerspiegeln.
Wieso auch nicht? Die Masse an Informationen im Internet überfordert unsere Aufnahmefähigkeit und Algorithmen, die die Inhalte für uns selektieren bzw. filtern, scheinen dankenswert oder gar notwendig zu sein.
Das gilt auch für den digitalen Literaturmarkt. Wer sich für Krimis interessiert, der wird Empfehlungen zu den entsprechenden Neuerscheinungen erhalten und eben keine zum neuen Lyrikband von Durs Grünbein, wenn ihn das nicht interessiert. Unsere Online-Käufe, aber auch E-Books und Social Reading Plattformen machen das möglich. Wenn wir E-Books lesen und über sie online diskutieren, hinterlassen wir eine Menge Daten über unsere literarischen Vorlieben und unser Leseverhalten, was z.B. Verlage zu Gute kommen kann. Vor dem Hintergrund von Datenschutz und Privatsphäre – Stichpunkt Gläserner Leser – wird bereits über die Problematiken solcher Verfahren diskutiert, die die offensichtlichen Vorteile der Personalisierung zumindest relativieren.
Parisers Filter Bubble fördert noch ein anderes Problem zu Tage. Pariser zeigt, inwieweit eine solche Filter Bubble Auswirkungen auf unsere Meinungsbildung, Wahrnehmung, Kreativität sowie auf unser Lernen und auf politische Strukturen haben kann. Und, man ahnt es vermutlich bereits: Pariser zufolge bringt ein Leben in einer solchen Filter Bubble wenig Gutes mit sich. Wenn jeder nur das zu sehen bekommt, was er sehen will und was ihn in seinen Ansichten bestätigt, dann verzerrt das den Blick auf die Welt und behindert kreatives Denken und das Lernen an sich. Parisers zentraler Gedanke ist, dass der Anspruch von Personalisierung wenig Raum für Neues bzw. Fremdes lässt, das nicht ad hoc unseren Interessen entspricht und damit keinen Eingang in unsere Filter Bubble findet. Die Gefahr: Wichtige Themen wie Kinderarmut, Kriege, Finanzkrise usw. geraten dabei aus dem Blickfeld. Komplexe und unangenehme Themen also, die beim Kampf um Aufmerksamkeit im Web schnell gegen lustige Videos und süße Katzenbilder verlieren. Das kann als angenehm und wünschenswert empfunden werden (mach dir deine Welt, wie sie dir gefällt), sollte vielleicht aber auch nachdenklich stimmen.
Und bei Literatur? Ist das so schlimm, wenn wir nur die Bücher wahrnehmen, die uns auch interessieren? Empfiehlt uns ein Buchhändler nicht auch nur die, die unseren Vorlieben entsprechen? Ja, aber beim Gang in die Buchhandlung sieht man zumindest unweigerlich das alternative Angebot. Im personalisierten Internet verschwindet dieses ganz aus dem Blickfeld. Gerade Literatur scheint das Potential zu bergen, neue Sichtweisen auf die Welt und fremde Gedankengänge und Ansichten zu vermitteln. Literatur, die nach den für uns bekannten Mustern funktioniert, kann das im gewissen Sinne bestimmt auch. Aber vielleicht liegt ein ebenso oder sogar größeres Potential in der Literatur, zu der wir nicht auf Anhieb greifen würden.
Ein nicht gefiltertes Internet scheint bei der Masse an Daten nicht machbar zu sein, aber es lohnt in jedem Fall genauer hinzusehen, nach welchen Mustern selektiert wird – vor allem dann, wenn uns die Filterungsprozesse bzw. Algorithmen nicht transparent gemacht werden. Wenn wir eine Zeitung aufschlagen, wissen wir in der Regel, welchen politischen Einschlag sie hat, wenn wir eine christliche Buchhandlung betreten, wissen wir, dass wir dort eher nicht auf „Shades of Grey“ in der Auslage stoßen werden. Dass und wie im Internet selektiert wird, bleibt uns Nutzern hingegen eher verschlossen. Der Knackpunkt: Wir stoßen uns kaum daran, weil Personalisierung darauf abzielt, dass wir nur mit Gegenständen, Menschen und Ansichten umgeben werden, die uns bekannt und angenehm sind. Das ist bequem und in mancher Hinsicht prima, aber es lohnt sicherlich auch, ab und an aus der comfort zone heraus zu treten.
Katharina Lührmann