Gedanken über die literarische Kolumne

Bild: CCO Pixabay

Beobachten, notieren, schreiben. Das ist das Grundprinzip der meisten Textformen. So auch bei der Kolumne, mit der ein „Ich“ Fragen stellt, die man nicht zu beantworten weiß. Die Kolumne ist im World-Wide-Web sehr beliebt und fester Bestandteil jeder größeren Zeitung. In einem Interview verriet der ZEIT-Kolumnist Harald Martenstein, was eine gute Kolumne ausmacht: „Seid ehrlich. Schaltet die Zensurinstanzen aus. Schreibt das, was ihr denkt. […]Das Thema ist nicht so wichtig. Du brauchst eine Tonlage“. Der Sound des Textes ist elementarer Bestandteil und entscheidet über die Popularität. Journalisten wie Harald Martenstein oder Axel Hacke sind mit ihren Kolumnen in der ZEIT und in der Süddeutschen heute sehr erfolgreich, können gar davon leben. Aber auch Autoren wie Maxim Biller, der für seinen provokativen Ton und seine Kritik an der „langweiligen“ und „zensierten“ Gegenwartsliteratur bekannt ist, oder der Schriftstellerin Sibylle Berg, die auf Spiegel-Online immer samstags Journalisten aufs Korn nimmt und hinterfragt, was hinterfragt werden sollte, verhelfen ihre Kolumnen zu einem höheren Bekanntheitsgrad. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Verkaufszahlen ihrer Bücher, auch für die Zeitung sind ihre Kolumnen eine sichere Nummer. Schriftsteller bringen schließlich genau das mit, was den Reiz einer Kolumne ausmacht: ein Gefühl für Sprache. Zeitung und Schriftsteller profilieren voneinander und der Leser freut sich immer wieder an einem festen Ort eine vertraute Stimme vorzufinden.

Neben dem Sound einer Kolumne, ist es vor allem auch die Kürze des Textes und die Wiederholung, die den Erfolg ausmacht. Kolumnen sind leicht verdaulich und schnell konsumiert. Sie sind unterhaltsam und verständlich geschrieben. Es wundert also nicht, dass der Literaturbetrieb schon längst die „literarische Kolumne“ ins Programm aufgenommen hat. Jede erfolgreiche Kolumnen-Serie gibt es inzwischen auch als Buch zu kaufen, doch der eigentliche Erscheinungsort einer Kolumne bleibt die Zeitung oder das World-Wide-Web. Der Literaturbetrieb eignet sich an, was Profit verspricht. Und die Textform Kolumne passt sehr gut in unsere Zeit oder in die „flüchtigen Moderne“ wie der Soziologe Zygmunt Bauman die Gegenwart bezeichnet. Infotainment, Flexibilisierung, Schnelligkeit sind Begriffe, die in den Vordergrund treten. Die flüchtige Moderne ist die Konsumgesellschaft des schnellen Genusses. Exemplarisch dafür sind Blogs, die quasi erst mit der Kolumne existieren, und die steigende Anzahl der von Verlagen gedruckten Kolumnen.

Wenn die Kolumne als Buch erscheint, stellt sich die Frage, wie diese literarisch eingeordnet werden kann. Kann man vielleicht von Popliteratur sprechen? Schließlich finden sich ähnliche Beispiele in der Popliteratur, die auf digitalen Blogs beruhen wie Rainald Goetz’ Abfall für alle. Eines zeichnet sich ab: Die Literatur wird immer mehr – und das ist auch typisch für Pop – zu einer Remix-Literatur. Das hängt nicht zuletzt mit der Digitalisierung und, zugespitzt, mit der Copy&Paste-Funktion zusammen. Das große Meisterwerk oder die Genieästhetik gibt es heute nicht mehr. Das bemängelt auch Maxim Biller immer wieder und setzt selbst auf die kleine Form mit seiner Kolumne, die natürlich seit kurzem auch in den Regalen der Buchhandlungen zu finden ist. Ob die Kolumne als Popliteratur bezeichnet werden kann, ist hierbei allerdings eine nicht leichte Frage, auszuschließen ist es aber nicht, wenn man von dem Begriff des Populären ausgeht. Doch ist Pop wesentlich schwerer zu greifen und kann nicht darauf reduziert werden.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien zwei Jahre lang eine Serie des Schriftstellers Marc Degens unter dem Titel Unsere Popmoderne. Marc Degens spielte dabei mit den Strukturen des Literaturbetriebs und packte den Roman in die Form der Kolumne, zerriss den Roman sozusagen in kleine Stücke. In regelmäßigen Abständen veröffentlichte er Textausschnitte aus Romanen und erzählte im Anschluss in wenigen Sätzen Biografisches über den jeweiligen Autor. Doch waren dabei die Romane und Autoren fiktiv. Die Romanauszüge waren, wenngleich erfunden, angelehnt an die deutsche Gegenwartsliteratur und verwiesen auf reale Autoren. Marc Degens übernahm den Sound der Anderen, schrieb sozusagen ab und führte die Leser ins Irre, die sich fragten, warum sie die Bücher nicht im Handel finden können. Unsere Popmoderne ist ein wunderbares Beispiel, das ebenjenen Prozess – „von der Kolumne zum Buch“ – umkehrt, hinterfragt und sich mit dem Begriff „Pop“ auseinandersetzt. Denn im engeren Sinne ist Pop u. a. Künstlichkeit und Oberflächlichkeit. Die Kolumne widerspiegelt das ein Stück weit, vor allem wenn diese als Buch erscheint, denn das Medium Buch entfremdet die Kolumne ihrer eigentlichen Form. Solange der Sound stimmt, scheint das Medium aber hintergründig zu sein, wie uns leider die Regel bestätigt.

Theresa Müller

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert