Fundstück: „Du hättest gehen sollen“ von Daniel Kehlmann

Atmosphärisch ein bisschen „Shining“, sprachlich und dramaturgisch ganz viel Kehlmann. Quelle Cover: Rowohlt Verlag

Eigentlich möchte der Erzähler nur ein wenig Ruhe, um an seinem Drehbuch zu schreiben, der Fortsetzung einer gut verkauften, aber seinen eigenen Ansprüchen nicht genügenden Komödie. Zusammen mit seiner Ehefrau Susanna und seiner vierjährigen Tochter Esther quartiert er sich für ein paar Tage in der Vorweihnachtszeit über Airbnb in einem abgelegenen Haus in Österreich ein.

In der Ehe kriselt es ein wenig. Sie tippt die ganze Zeit auf ihrem Smartphone herum, er schreibt  immerwährend in sein Notizheft: Gedanken für das Drehbuch, Erinnerungen, aber auch das, was um ihn herum passiert, zeitgleich und in Rückblenden. Nach und nach fallen ihm Kleinigkeiten auf, die plötzlich sonderbar zu sein scheinen. Diese Straße, die über Serpentinen ausschließlich zu diesem einen Ferienhaus führt. Der kleine Einkaufsladen im Dorf mit dem wortkargen Verkäufer, der einsilbig und in Rätseln danach fragt, ob schon etwas vorgefallen sei und dem namenlosen Vater ein Geodreieck in die Hand drückt: Er könne ja die Winkel im Haus mal ausmessen. Der Flur, der plötzlich länger erscheint. Fragmente in seinem Notizbuch, die er in seiner Erinnerung nicht geschrieben hat. Das Haus scheint sich zu verändern. Der Schauer wird real.

Warum steht da wieder Geh weg? Denk doch logisch. Wenn sie es in dein Notizbuch geschrieben hätte, wie könnte es sich dann in die Zeile einfügen? Hätte sie es nicht höchstens an den Rand schreiben können? (aus Du hättest gehen sollen)

Daniel Kehlmann schafft es auf gerade einmal 96 Seiten eine Geschichte zu erzählen, die subtil, fast unmerklich Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt, sodass Zeitlichkeit sich nicht mehr an Uhr- oder Tageszeiten, sondern an sonderbaren Momenten, an widerkehrenden und neuen Bruchstücken sich verschiebender Ereignisse festmacht, die Stück für Stück die Realität verrücken. Dabei sorgen bekannte Horror-Elemente wie das abgelegene Ferienhaus mit wenig Kontakt zu anderen Menschen, wenige und absonderlich wirkende Bewohner*innen oder eine mysteriös unvollständige Narration des Ortes für ein immerwährendes und mulmiges Gefühl der Unruhe im Rezipierenden, das sich nach und nach als valide erweisen wird.

Das Buch ist in der gebundenen Ausgabe für 15,00 Euro auf der Seite des Rowohlt-Verlags erhältlich.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert