Meine heutige Empfehlung dreht sich ums Kochen. Obwohl, eigentlich geht es nur peripher ums Kochen. Vielmehr sind da Momentaufnahmen von Genuss, Tiraden über Hierarchien in der Küche, wahnwitzige Geschichten um Lebensmittel und Einblicke in eine Welt, die für sich in ihrer Singularität zwischen Kochschürzen, mise en place und Kunstfertigkeit ihre eigenen Werte, Maßstäbe und Ausdrucksmöglichkeiten beansprucht.
Anthony Bourdain isst seine erste Auster als Viertklässler, in einem Urlaub in der Normandie, frisch aus dem Wasser. Der Austernfischer Monsieur Saint-Jour gibt dem Jungen eine frisch geöffnete Muschel. Dieses Geschmackserlebnis ändert für den jungen Anthony alles: Sein Verhältnis zu Essen, den Blick auf die Welt, ja sogar die eigene Zukunft, denn: Ab diesem Moment ist Bourdain klar, dass er Koch werden möchte. Es beginnt eine kulinarische Reise.
Bourdain kocht sich durch die unterschiedlichsten Läden New Yorks, macht Station unter anderem im Rainbow Club, Coco Pazzo Teatro oder The Supper Club, bevor er 1998 zum Chefkoch der Brasserie Les Halles an der Park Avenue ernannt wird. Er sammelt Geschichten. Von Hasstiraden in Provincetown und dem steinigen Weg der Selbstdisziplin in seiner Ausbildung am Culinary Institute of America über Bestechungsversuche mit Steaksandwiches bis hin zu gefälschten abgetrennten Extremitäten in Kühlschränken. Es geht ums Essen, klar. Aber auch um Drogen, um Sex und kriminelle Machenschaften. Immer im Mittelpunkt: Die Menschen in diesem eigenen Soziotop „Küche“, die Besessenen, die nicht anders können, die Genies und die Gauner. Der taube Alkoholiker um die fünfzig, der Bourdain die Liebe für Meeresfrüchte und zum Essen nahebringt, der Typ, der einfach nur „Bigfoot“ heisst, keine Guacamole zubereiten kann, im Verdacht steht „mal einen umgelegt zu haben“ und der geborene Chefkoch ist. Und schließlich sein Sous Chef Steven, der sich ein Messer in die Hand rammt und trotzdem zwei Stunden später mit frisch verarzteter Wunde hundertfünfzig á-la-carte-Gerichte kocht. Berührende, beeindruckende und interessante Einblicke in eine Welt, die für uns Restaurant-Besucher*innen vor der Schwingtür der Küche endet. Ein wertvolles Buch von jemandem, der nicht nur das Leben in der Küche liebte, sondern vor allem diese verrückte, intensive, eigene Welt, die dazugehört, den Zusammenhalt darin und das Kommunikative, das Essen mit sich bringt.
Das Buch ist bei Thalia für 10,00 Euro als Taschenbuch erhältlich.
Rheinländerin mit Leib und Seele. Professionelle Quasselstrippe, Schokoladenabhängige und Kaffeeliebhaberin. Kann sehr gut über Dinge fallen, über Loriot fachsimpeln und lange schlafen.