Warum schämen sich Menschen für die Menstruation? Warum fehlte die Klitoris im Biologiebuch? Und warum wollen so viele Leute aussehen wie Kylie Jenner? Diesen Fragen geht die schwedische Künstlerin und Journalistin Liv Strömquist nach. Antworten liefert sie in einer ungewöhnlichen Darstellungsform: in Comics. Fünf Sachcomics sind bisher in der deutschen Übersetzung erschienen: Der Ursprung der Welt, Der Ursprung der Liebe, I’m every woman, Ich fühl’s nicht und Im Spiegelsaal.
Comic statt Wälzer
115 bis 180 Seiten haben Strömquists Werke. Wer nur schöne Bilderchen durchblättern will, wird enttäuscht. Wer aber meint, eine erkenntnisreiche Darstellung der Kulturgeschichte von Lust und Liebe würde man nur in dicken Wälzern finden, wird positiv überrascht. Die studierte Politikwissenschaftlerin präsentiert Fakten im Stil einer Graphic Novel. Und sie kommentiert ihre Themen aus einer feministischen Perspektive. Oft mit ironischem Witz, aber nie pietätlos.
Der Ursprung der Welt: Kulturgeschichte der Vulva
So sehen die Leser*innen in Der Ursprung der Welt zum Beispiel, wie sich die Darstellung der Geschlechtsorgane von der Steinzeit bis in die Moderne verändert hat. Spoiler: Weiblich gelesene Statuen und Zeichnungen hatten nicht immer ein barbiegleiches Nichts zwischen den Beinen. Sie lernen, warum Wissenschaftler im 19. Jahrhundert so sehr darauf aus waren, Unterschiede zwischen Mann und Frau hervorzuheben. Sie erfahren eine Menge Lehrreiches und ebenso viel Erschreckendes – u.a. über den Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellogg (leider hat er nicht nur mit Mais experimentiert).
Eine ganze Reihe bekannter und weniger bekannter Wissenschaftler*innen, Theolog*innen, Philosoph*innen und Psycholog*innen der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte tauchen in Der Ursprung der Welt auf – und Strömquist macht deutlich, welche (teils fatalen) Konsequenzen deren Handeln gerade für Menschen mit Vulva hatte. Auch wer den Unterschied zwischen Vagina und Vulva bereits kennt, bekommt hier interessantes Hintergrundwissen. Wer die beiden Begriffe für Synonyme hält, wird eines Besseren belehrt. Und jede*r Leser*in erkennt einmal mehr, wie sehr patriarchalische Strukturen unseren Alltag beeinflussen.
Im Spiegelsaal: Schönheitsidealen auf der Spur
In ihrem neuesten Werk Im Spiegelsaal widmet sich Strömquist der Frage, wie Schönheitsideale zustande kommen und wie der Fokus auf Bilder unser Denken beeinflusst. Der Comic erklärt zum Beispiel die mimetische Theorie des Philosophen René Girard so anschaulich wie es mit reinem Text wohl kaum gelingen würde. Nicht nur, was es damit auf sich hat (so viel sei verraten: Es geht ums Begehren), erfahren die Leser*innen, sondern auch, welchen Einfluss Fotografie, Werbung und soziale Medien auf die Vorstellung von Schönheit hatten und haben. Und wieder begegnen uns zwischen den Seiten bekannte Gesichter: Kaiserin Sissi, Marilyn Monroe und die Kardashians zum Beispiel. Strömquist hält unseren Idealen den Spiegel vor – und dabei lernen wir eine Menge.
Passionierte Spaziergängerin und Tofu-Tante mit einem Faible für Alliterationen. Schreibt gelegentlich Gedichte und mag es, wenn Bücher ihre Gedanken wegtragen. Am liebsten in der Hand: ein Roman mit Witz und Wortgeschick. Ansonsten: feministische Literatur, Reisegeschichten und Sachbücher. Die durch das Lesen erlangten Lebensweisheiten teilt sie natürlich gerne mit euch.