Emilia Roig und Aladin El-Mafaalani auf der lit.RUHR: Vom rassismuskritischen Widerstand

Die Proteste, die durch die Ermordung George Floyds im letzten Jahr ausgelöst wurden, haben die Debatte über Rassismus verändert – auch in Deutschland. (Bild: CC0 pexels)

Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die sich nach der Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd im vergangenen Jahr über die ganze Welt verbreitete, markiert den Beginn einer neuen Richtung im öffentlichen Diskurs über Rassismus, auch in Deutschland. Darüber sind sich Daphne Sagner, Emilia Roig und Aladin El-Mafaalani einig.

Moderiert von Daphne Sagner diskutierten die Aktivistin und Politologin Emilia Roig und der Autor und Soziologe Aladin El-Mafaalani am gestrigen Donnerstagabend im Rahmen der lit.RUHR über rassismuskritischen Widerstand. Die Kulisse bildete das Essener UNESCO-Welterbe Zeche Zollverein, als Gesprächsgrundlage dienten die in diesem Jahr erschienenen Bücher der Gäste.

Obwohl beide Werke sich mit strukturellem Rassismus und seiner Überwindung beschäftigen, vertreten die Autor:innen unterschiedliche Ansätze. In Why We Matter schreibt Emilia Roig über die Strukturen der Unterdrückung, die unsere Gesellschaft durchziehen. Rassismus versteht sie neben Kapitalismus und Patriarchat als Teil eines Dreigespanns. Sie wählt einen emotionalen Zugang zu ihren Themen und schildert auch persönliche Unterdrückungserfahrungen.

Aladin El-Mafaalani hat mit Wozu Rassismus? ein eher analytisches Buch geschrieben. Die entemotionalisierende Distanz, aus der er über Rassismus schreibt, sei jedoch nur möglich, weil das Thema zuvor in anderen Büchern emotionalisiert worden sei. Er beobachtet eine Unruhe, die entsteht, wenn strukturelle und institutionelle Mechanismen der Unterdrückung, die bislang als selbstverständlich hingenommen wurden, problematisiert werden.

Beide Bücher sind damit Teil des neuen Diskurses um Rassismus. Eines Diskurses, der Rassismus als intersektionales und strukturelles Problem versteht und sich Lösungsansätzen zuwenden kann. Diskussionen um die Verwendung einzelner diskriminierender Wörter oder um die eigentlich längst geklärte Frage, ob es in Deutschland überhaupt Rassismus gibt, verlieren für Roig damit an Relevanz. Dennoch stehen genau diese Themen häufig im Mittelpunkt der Debatte. Roig erklärt dieses Phänomen damit, dass Menschen in gesellschaftlichen Machtpositionen Einfluss auf den Diskurs haben. Genau diejenigen Menschen, die von dem System profitieren, das Roig und El-Mafaalani kritisieren.

Auch El-Mafaalani beschreibt die gesellschaftliche Abwehrreaktion gegen Veränderung auf dem von struktureller Unterdrückung geprägten System begründet. Überprivilegierte Menschen haben sich an Rechte gewöhnt, die ihnen in einem auf Gleichberechtigung basierenden System nicht zustehen können. Der Freiheitsverlust, den diese Menschen oft empfinden, sei real. Rassistische und sexistische Kommentare beispielsweise, die ein weißer Mann bisher äußern konnte, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, bringen ihn nun in eine Position der Bedrängnis.

Allerdings betont Roig auch, dass Widerstände gegen rassismuskritische Entwicklungen als positives Zeichen verstanden werden können. Gesellschaftliche Spannungen beweisen, dass Veränderung stattfindet. Nun gelte es, diese Spannungen auszuhalten. Denn die ständige Suche nach Kompromissen könne nicht zu wirklicher Veränderung führen.

Über das Problem sind Roig und El-Mafaalani sich im Allgemeinen einig: ein historisch gewachsener und in Gesellschaft und System verankerter struktureller Rassismus, der intersektional verstanden werden muss. Ihre Zukunftsvisionen gehen jedoch auseinander.

Aladin El-Mafaalani glaubt nicht daran, dass es in Zukunft eine rassismusfreie Gesellschaft geben kann. Ansatzpunkte, um das System zu verbessern, sieht er trotzdem. Schon in der Kindheit müsse beispielsweise mehr historisches Wissen vermittelt werden. Noch wichtiger sei die Veränderung der Strukturen in den Institutionen. Hoffnungsvoll nennt er ein Zeitfenster von 15 bis 20 Jahren in den westlichen Ländern, in denen die „alten weißen Männer“ in Führungspositionen ihre Rente antreten werden und Stellen für bisher unterrepräsentierte Menschen frei machen.

Emilia Roig denkt das Ende des Rassismus radikaler. Zwar glaubt sie ebenfalls nicht, selbst noch eine vom Rassismus befreite Gesellschaft zu erleben. Dennoch konstruiert sie eine Utopie, die sie für möglich hält: Ihrer Ansicht nach erfordern die engen Verflechtungen von Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus eine Überwindung all dieser Strukturen. Sie glaubt nicht, dass es reicht, mächtige Menschen in den Hierarchien des bestehenden Systems durch andere zu ersetzen. Dadurch würden die zugrundeliegenden Strukturen der Unterdrückung nicht überwunden. Letztendlich hält sie ein Ende der Institutionen wie wir sie kennen für notwendig. Ein Ende der uns bekannten Arbeit, der Polizei, der Gefängnisse, der Ehe… „Utopien sind nicht naiv. Sie sind nötig.“, sagt Roig und verweist auf Utopien der Vergangenheit, wie die Abschaffung der Sklaverei.

So unterschiedlich die Lösungsvorstellungen für das Problem des strukturellen Rassismus von Emilia Roig und Aladin El-Mafaalani sind, so hoffnungsvoll macht es, zu hören, welche Lösungen denkbar sind. Sicher ist: Beide Autor:innen leisten wichtige Beiträge zur Veränderung – in welcher Form auch immer sie sich zeigen wird.

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