Ein Vierteljahrhundert open mike

Bühne frei für den Nachwuchs: Am 11. und 12. November 2017 fand in Berlin zum 25. Mal der open mike statt. Bild: CC0 pixabay.com

open mike – das steht für neue, frische und vor allem junge Literatur. Seit mittlerweile 25 Jahren werden bei diesem Wettbewerb junge deutschsprachige Nachwuchsliteraten in den Kategorien „Lyrik“ und „Prosa“ ausgezeichnet.  Die diesjährigen PreisträgerInnen: Mariusz Hoffmann, Ralph Tharayil (beide Prosa) und Ronya Othmann (Lyrik) sowie Baba Lussi (taz-Publikumspreis).

Bis zum 10. Juli dieses Jahres hatten die AutorInnen und PoetInnen Zeit, ihre Texte einzureichen. Fünf Monate später, am 10. November war es dann soweit: Die Jury hatte aus 580 Einsendungen 20 FinalistInnen ausgewählt (15 aus der Kategorie „Prosa“ und 5 aus der Kategorie „Lyrik“), die sich für ein Wochenende im Heimathafen Neukölln in Berlin versammelten. Unter den 20 TeilnehmerInnen der Endrunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren Laura Schiele, Rainer Holl und Eva Maria Leuenberger. Wem diese Namen gänzlich unbekannt sind bzw. waren, ist nicht allein, denn beim open mike dürfen nur PoetInnen teilnehmen, die 1. nicht älter als 35 Jahre sind und 2. noch keine eigene Buchpublikation nachweisen können.

„Ich will mit dir sein zum Mittag / wenn die Sonne im Zenit steht / dass alles keinen Schatten hat“
Laura Schiele – Mittag

Anderswo wurde die Karnevalssaison eröffnet, im Neuköllner Heimathafen der open mike 2017. Den Anfang hatten bereits Freitag die offizielle Eröffnung und die Debütlesungen gemacht, am Samstag mussten die 20 TeilnehmerInnen selbst auf die Bühne. Als Erste war Magdalena Kotzurek mit ihrem Text „Podniebo“ an der Reihe, es folgte die jüngste Teilnehmerin Laura Schiele mit einem Gedicht. Thematisch und stilistisch völlig unterschiedlich präsentierten sich die FinalistInnen; die Jury – bestehend aus der Schriftstellerin Olga Grjasnowa, Nico Bleutge, 2001 selbst Gewinner des open mike und Ingo Schulze, der in diesem Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert war – hatte es schwer: Vom Urlaub in Polen über einen Fremden, der auf einmal in der Küche der Protagonistin sitzt, bis hin zu einem gescheiterten Germanisten, der durch ein fehlendes Namensschild eine neue Identität erhält.

Herr Meier lässt sich fallen. Er taucht ein in ein Meer aus Bettwäsche, aus warmem Kakao, in ein Gefühl wie immer Freitagabend.
Rainer Holl – Prolog

Nachdem am Samstag die ersten 12 AutorInnen ihre Texte vorgetragen hatten, eröffnete Rainer Holl, der den Poetry Slam-Fans vielleicht ein Begriff ist, den Sonntag mit einem Text, der passenderweise „Prolog“ hieß. Auf diesen Prosabeitrag folgten drei Nominierte in der Kategorie „Lyrik“, unter anderem die spätere Preisträgerin dieses Genres Ronya Othmann. Den Abschluss der jeweils maximal 15minütigen Lesungen bildete Mariusz Hoffmann mit seinem Text „Dorfköter“, in dem er den letzten Abend eines polnischen Jungen in seiner Heimat beschreibt, bevor dieser nach Deutschland ziehen wird. Am Ende sind es ebendieser Mariusz Hoffmann und Ralph Tharayil, die glücklich die Preise in der Kategorie „Prosa“ entgegen nehmen dürfen, Ronya Othmann wird in der Kategorie „Lyrik“ geehrt und Baba Lussi bekommt den taz-Publikumspreis.

stell dir vor / die haut fällt von dir ab / wie die rinde / einer anderen zeit
Eva Maria Leuenberger – schlucht

Doch bei all den sprachlich ausgezeichneten und zum Teil verblüffenden Texten gibt es auch Kritik am open mike. Der gilt zwar immer noch als Nachwuchswettbewerb für junge deutschsprachige Talente, ist aber mittlerweile selbst mitten im etablierten Literaturbetrieb angekommen. Die mangelnde Themenvielfalt wird kritisiert, ebenso wie die Tatsache, dass die TeilnehmerInnen häufig schon gut in der deutschen Literaturszene vernetzt sind und aus bekannten deutschen Schreibschulen kommen. Oftmals haben sie zwar keine eigenen Publikationen, doch viele können bereits Veröffentlichungen in Zeitschriften, Zeitungen, o.ä. und andere Literaturpreise in ihrer Vita vorweisen. Dies erschwert die realistische Teilnahme an der Endrunde für AutorInnen, die in der Szene noch unbeschriebene Blätter sind, erheblich. Doch wen wundert diese zunehmende Professionalisierung bei einem Preis, der nun ein Vierteljahrhundert Zeit hatte sich im Literaturbetrieb zu etablieren und neben dem Bachmann-Preis als einer der wichtigsten Förderpreise der deutschsprachigen Literatur gilt.

Carolin Terhorst

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