Nachrichten kommen und gehen. Doch was bleibt? Follow Up ist das Magazin, das nachfasst. Sechs Monate, nachdem eine Nachricht in den Medien war, schauen die Journalisten David Korsten und Tim Farin nochmal genauer hin. Im Interview erzählen sie uns von ihrem Projekt:
Woran liegt es, dass ein Thema kurz „gehyped“ wird und die Medien es dann nicht weiterverfolgen?
David Korsten: Das liegt in der Natur der Sache. Eine der Hauptaufgaben der Medien ist es, aktuell zu berichten. Mit der Digitalisierung gibt es mehr Kanäle, auf denen immer mehr Leute Nachrichten absenden können – dadurch steigen Tempo und Menge. Da bleiben langfristige Betrachtungen häufiger auf der Strecke. Das gilt nicht für die Medien insgesamt, aber für einen Großteil.
Tim Farin: Der erste Impuls des Konsumenten ist immer die Suche nach Neuigkeiten und Schlagzeilen. Da spielt das Medium keine Rolle – es geht um den neusten Gossip. Die Digitalisierung vereinfacht diese Entwicklung.
Wie entstand die Idee zu dem Start-up?
Tim Farin: Die Idee ist alt. Mir fällt immer eine Situation ein, in der ich von einer Naturkatastrophe in Tonga hörte – nicht gerade ein Land, das in der deutschen Massenmedienberichterstattung häufig eine Rolle spielt. Aufgrund einer tragischen Naturkatastrophe hatten viele Menschen Hab und Gut verloren und mussten notdürftig versorgt werden. Einen Tag lang war Tonga tatsächlich in den Nachrichten. Zwei Wochen später wusste aber wahrscheinlich die Hälfte der Bevölkerung schon nicht mehr, dass es dieses Land überhaupt gibt. Das war der klassische Fall, bei dem ich mich gefragt habe, was aus den Leuten geworden ist. Schließlich komme ich als Medienmacher selbst nah heran: Ich erzähle die Geschichte eines Menschen, der sich mir öffnet und etwas von sich preisgibt und weiß ein halbes Jahr später unter Umständen nicht mehr, dass ich ihn jemals gesehen habe. Das kann eigentlich nicht sein.
David Korsten: Dieser Vergesslichkeit der Medien wollen wir ein wenig entgegenwirken. Etwas zugespitzt: Aktuelle Berichterstattung kann erklären, was passiert ist, aber erst im Nachhinein können wir verstehen, was das Ereignis eigentlich bedeutet.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Themen aus?
David Korsten: Wir sind berufsbedingt intensive Medienkonsumenten. Wir notieren uns ein Thema schon in unserem aktuellen Medienkonsum, wenn wir glauben, dass in zwei Wochen und erst recht in einem halben Jahr keiner mehr darüber spricht. Wir berichten also nicht über typische Dauerbrenner. Schließlich gibt es auch eine Berichterstattung, die konstant ist: AfD, Flüchtlingskrise, Donald Trump – das sind Themen, die immer wieder in den Medien sind. Aber es gibt eben eine ganze Reihe von Ereignissen, bei denen das nicht der Fall ist. Nach diesem ersten Impuls – das könnte in unser Format passen – steigen wir dann tiefer ein. Manchmal müssen wir dabei allerdings auch feststellen, dass es keine lohnenswert zu berichtende Neuentwicklung gibt.
Tim Farin: Zudem ist uns Vielfalt wichtig. Wie ein allgemeines Nachrichtenmedium auch, wollen wir die Breite der Themen abbilden.
Wie gestaltet sich Ihre Recherche? Ist sie aufwendiger als die Recherche für aktuelle Themen?
Tim Farin: Ich glaube nicht, dass es eine Rolle spielt, ob das Thema neu auf den Tisch kommt oder es eine Vorlage gibt. Wir haben aber den Vorteil, dass wir schon Routen vorfinden, die wir nachverfolgen können. Natürlich muss man versuchen, der Sache gerecht zu werden und mit Geduld an die Recherche gehen. Zeitlich könnte es also durchaus aufwendiger sein. Aber im Prinzip ist es klassische journalistische Recherche wie bei einem aktuellen Medium auch.
David Korsten: Ja, man hat etwas, woran man anknüpfen kann. Die Suche nach Gesprächspartnern oder Protagonisten – ein wesentlicher Zeitfaktor im Journalismus – kann das zum Beispiel vereinfachen. Andererseits versuchen wir, Geschichten nicht nur wiederaufzubereiten, sondern dem Ganzen etwas Neues hinzuzufügen. In dem Zeitraum von sechs Monaten ist in der Regel was passiert, was man aber an der Oberfläche nicht sieht.
Welche Aufgaben kommen neben der redaktionellen Arbeit auf Sie zu?
David Korsten: Die redaktionelle Arbeit besteht seit jüngster Zeit aus zwei Dingen: zum einen die Recherche und das Schreiben und zum anderen die Betreuung externer Journalisten. Da wir über minimales Budget verfügen, arbeiten wir vor allem mit Nachwuchsjournalisten – eine intensive Zusammenarbeit, die Zeit kostet. Daneben sind wir im AndersGründer-Stipendium des Social Impact Lab in Duisburg und entwickeln da ein Geschäftsmodell, identifizieren unsere Zielgruppen und Vertriebswege – Dinge, die Journalisten klassischerweise gar nicht machen.
Wie finanziert sich das Projekt?
David Korsten: Zum einen stecken wir vor allem unsere Zeit in das Projekt – in der wir dann anderswo kein Geld verdienen. Letztlich also mit unseren privaten Mitteln. Zum anderen haben wir geringe Einnahmen durch Mehrfachverwertung. Der Sonntag-EXPRESS übernimmt etwa zweimal im Monat Geschichten von uns. Dann haben wir eine geringe Anzahl von Abonnenten über die Plattform Steady – mit einem kleinen freiwilligen Beitrag. Wir brauchen also noch weitere regelmäßige Einnahmen, entweder durch weitere Kooperationen mit anderen Medien oder durch eine starke Community. Da haben wir viele Ideen im Kopf und probieren einiges aus, aber das wird Zeit brauchen.
Wohin soll es gehen? In 10 Jahren…
Tim Farin: Wir stehen noch vor der Frage: Online oder Print? Eine weitere Sache, die wir auf dem Schirm haben, ist das Thema Audiopodcast.
David Korsten: Es stehen noch viele Fragen im Raum, wie: Soll es uns beide finanzieren, zu welchem Anteil und wie viele andere Leute noch? Die Beschleunigung in der Berichterstattung scheint insgesamt auf absehbare Zeit zuzunehmen. Insofern wird unser Ansatz, der eine Gegenbewegung dazu darstellt, in zehn Jahren möglicherweise sogar relevanter. Aber: Werden die Konsumenten weiter die Hochgeschwindigkeitsmedien konsumieren oder nach alternativen oder komplementären Angeboten wie unserem suchen? Und wie werden digitale Formate künftig finanziert? Bei vielen Leserinnen und Lesern ist die Bereitschaft, für Online-Medien zu bezahlen, noch nicht so verbreitet. Das betrifft uns im Kleinen, aber auch größere Publikationen. Allerdings geht es immer auch um finanzielle Unabhängigkeit, etwa von Sponsoren. Ein einfacher Weg für Medienkonsumenten, ein Angebot werbefrei zu halten, ist es, dieses Angebot mit einem geringen monatlichen Betrag selbst zu unterstützen. Bei solchen Fragen ist momentan viel Bewegung in der Branche. Insofern sind es spannende Zeiten für Neugründungen.
Tim Farin: Was zu der langfristigen Vision dazugehört, ist der Wunsch, dazu beizutragen, dass die Medien ein kleines bisschen heilen, was durch das Newsgetrieben-Sein an Defizit entsteht. Wir möchten andere inspirieren, auch so etwas zu machen. Follow Up kann als eine Art Bildungsangebot für Kollegen weitergedacht werden. Heutzutage gibt es viele Informationen in den Journalistenmagazinen zu Themen wie Datenjournalismus, Storytelling oder Visualisierung. Warum ist unsere Art von Journalismus nicht auch ein solches Format? Wir möchten einen Denkanstoß bieten und es wäre schön, wenn das um sich greifen würde und es in Zukunft mehr solcher Geschichten gibt.
David Korsten: Die Kölnische Rundschau hat aktuell etwa in der lokalen Berichterstattung die Rubrik „Auf Wiedervorlage“ eingeführt und sieht offenbar auch, dass es einen Bedarf gibt – das begrüßen wir. Wir sehen das nicht als Konkurrenz, sondern als Stärkung des langfristigen, nachhaltigen Journalismus oder Journalismus mit langem Atem.
Aileen Singhof