Eine kleine Insel inmitten des Rheins, abends sieht man den Vollmond und die Sterne. Den ganzen Tag tummeln sich am Ufer Menschen jeden Alters. Erwachsene, Kinder und Rentner*innen genießen die Zeit auf diesem Fleckchen Erde, das durch zwei kurze Brücken vom Festland getrennt ist. Auf der Insel stehen nicht viele Gebäude, es gibt ein Restaurant und die meisten anderen sind Einfamilienhäuser. Wer denkt, es würde sich hier um die Beschreibung einer Urlaubsinsel handeln, liegt falsch. Die Rede ist von der Parkinsel in Ludwigshafen. Ludwigshafen? Nein, nicht das Ludwigshafen am Bodensee. Nur durch eine Brücke von Mannheim getrennt, liegt Ludwigshafen am Rhein. 163.832 Einwohner misst die Stadt in Rheinland-Pfalz. Vom 22. August bis 9. September 2018 steigen die Besucherzahlen dort jedoch merklich in die Höhe, denn in diesem Zeitraum findet das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein statt.
Es ist erst 12 Uhr an einem Sonntagmorgen, aber bereits um diese Uhrzeit tummeln sich viele Besucher*innen auf der Parkinsel. Darunter viele Familien. Schnell wird deutlich: In einer halben Stunde läuft der nächste Kinderfilm an. Es handelt sich um die Neuverfilmung der populären Jugendbuchreihe „Fünf Freunde“ von Enid Blyton. Der Kinosaal ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Der Film „Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier“ ist nicht der einzige Kinderfilm, der in den nächsten zwei Wochen gezeigt wird. Die meisten sind filmische Adaptionen literarischer Kinderbuchklassiker wie „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler, „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende oder „Timm Thaler“ von James Krüss. Aber das Programm für die jüngeren Cineast*innen ist nur ein kleiner Teil dessen, was das Festival des deutschen Films seinen Besucher*innen bietet.
Denn die Filme für die Erwachsenen, 73 an der Zahl, stellen schwerere Kost dar. Da geht es um
Krankheit, Ignoranz, Homosexualität und Familienprobleme. Häufig natürlich mit dem Thema verbunden, mit dem sich wohl jeder Film im Notfall retten möchte: der Liebe. Manchen Filmen gelingt das besser, anderen weniger. Da kann so eine Liebesszene, die doch als Sicherung der Begeisterung seitens der Zuschauer dienen soll, kräftig nach hinten losgehen. In Ludwigshafen ist es jedoch die Liebe zum Film, die alle in einzigartiger Atmosphäre vereint. Egal ob Roadmovies oder packende Psychothriller: Die Genrevielfalt ist riesig. Und deshalb sind es häufig die Filme, welche einen verwirrt und mit Fragen zurücklassen, die uns am meisten beschäftigen. Überraschenderweise sind es die, von denen wir es niemals gedacht hätten: die Unscheinbaren, auf den ersten Blick Uninteressanten, können dennoch die ästhetische Messlatte so hochlegen, dass wir den Film am liebsten nochmal gucken würden.
In drei Zelten, die mit Klima- und Heizungsanlage ausgestattet sind, werden Filme auf einer riesigen Leinwand vorgeführt. Zusätzlich gibt es täglich einen Film, der zur späten Abendzeit in Open Air-Form gezeigt wird. Wer sich allerdings für einen solchen Film entscheidet, sollte schnell sein, denn die Vorstellungen sind bereits nach kurzer Zeit ausverkauft. Hinzu kommen die Preisverleihungen, die auch hier in verschiedenen Kategorien vorgenommen werden. Zu den diesjährigen Preisträger*innen zählen unter anderem Iris Berben (Preis für Schauspielkunst, Film „Hanne„) oder Hans Weingartner (Regiepreis Ludwigshafen).
Das Besondere an Ludwigshafen ist, dass alles „klein aber fein“ ist. Im Gegensatz zur Berlinale, die das größte Publikumsfestival im Bereich Film ist, hat man hier schon eher die Möglichkeit, mit Regisseur*innen, Darsteller*innen oder Produzent*innen in Kontakt zu treten. In Filmgesprächen, die entweder in einem gesonderten Pavillon oder direkt im Anschluss im Kinozelt geführt werden, können nicht nur Fragen bezüglich des künstlerischen Inhalts, sondern auch bezogen auf die Verkörperung der Figur oder die Drehbedingungen gestellt werden. Der ökonomische Wert des Films und des Festivals tritt in Ludwigshafen eindeutig in den Hintergrund. Stattdessen wird die Parkinsel für zweieinhalb Wochen zu einem Ort kulturellen Austauschs, der die Attraktivität des Kinos in Zeiten von Streaming-Plattformen wie Netflix oder AmazonPrime beweist. Und das ist schön.
Annika Vahle