Während man noch vor einigen Jahren um den Gang in die Bibliothek nicht herumkam, wenn man wissenschaftlich arbeiten wollte, haben Studierende und Forschende heute immer mehr Möglichkeiten, digital und von Zuhause auf die gewünschte Forschungsliteratur zuzugreifen. Angebote im Zuge der Open-Science- und Open Access-Bewegung, Onleihe und lizensierte Zugänge zu E-Books wie beispielsweise über Springer Link machen das möglich. Während bei den eben genannten Angeboten die Rechtslage eindeutig ist (nämlich über Lizenzen geregelt wird), gibt es auch illegale Angebote und Grauzonen im Feld der digitalen Verbreitung wissenschaftlicher Texte. Und dort brodelt es.
Grund für die explosive Gemengelage, die nicht selten zu handfesten juristischen Streitigkeiten führt, sind die Verwertungsinteressen der Verlage einerseits und die Ideale der freien Forschung und Lehre andererseits. Eines der jüngsten Beispiele ist der Fall Researchgate. Die Plattform wurde 2008 gegründet und fungiert als soziales Netzwerk für Forscherinnen und Forscher. Diese können dort nicht nur Profile anlegen und miteinander kommunizieren, sondern auch den anderen Mitgliedern der Plattform ihre Forschungsartikel per Upload zur Verfügung stellen, Artikel anfragen und tauschen. Gegen diese Praxis des Artikeltausches als Form der unerlaubten „Zweitveröffentlichung“ sind nun der Wissenschaftsverlag Elsevier und die Fachgesellschaft American Chemical Society, gerichtlich vorgegangen. Sie reichten bei einem deutschen Landgericht Klage ein, berichtet irights.info.
Die Verlage berufen sich dabei auf ihr exklusives Recht am Verbreiten und Veröffentlichen der betreffenden Artikel, welches die AutorInnen mit Vertragsschluss an sie abgetreten haben. Die AutorInnen der Artikel haben damit auch das Recht verwirkt, ihre eigenen Artikel anderweitig zu publizieren – auch nicht auf einer Plattform wie Researchgate. Weil das in Zeiten digitaler Distributionswege die ForscherInnen aber oft mehr einschränkt als schützt, gibt es bereits eine gesetzliche Regelung, die das Wiederveröffentlichen bestimmter wissenschaftlicher Texte nach einer Frist von 12 Monaten durch die AutorIn erlaubt. Die Betonung liegt hier allerdings auf „bestimmte“. Das sogenannte Zweitveröffentlichungsrecht, dass im Juni 2013 vom Bundestag beschlossen wurde, erlaubt die Veröffentlichung nämlich nur unter bestimmten Bedingungen. So muss der Artikel „im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen“ sein und darf auch dann nur in der „akzeptierten Manuskriptversion“ publiziert werden, ,„soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient “ (UrhG §38). Für viele VerfechterInnen der Open-Access-Bewegung ist diese Regelung mit ihren massiven Einschränkungen ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Fall Researchgate fallen mindestens 7 Millionen Artikel nicht unter diese Regelungen und sind somit unmittelbar von der Urheberrechtsklage betroffen.
Der niederländische Elsevier-Verlag ist durch seinen Kampf für die verlegerischen Verwertungsrechte – aber auch wegen der besonders hohen Lizenzkosten – ohnehin zu einem Feindbild der deutschen Wissenschaftslandschaft geworden. Besonders angeheizt wurde die Stimmung durch die kompromisslose Haltung des Verlages bei den Verhandlungen über das sogenannte DEAL-Projekt (Digitur berichtete). DEAL ist der Versuch der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, bundesweite (und damit günstigere) Verträge für den Zugang zu elektronischen Zeitschriften auszuhandeln. Inzwischen laufen verschiedene Kampagnen deutscher Wissenschaftsorganisationen gegen den Verlag, wie beispielsweise der Aufruf zum Boykott neuer Abo-Verträge mit Elsevier oder der gemeinsame Rücktritt namhafter WissenschaftlerInnen von ihren Herausgebertätigkeiten für den Verlag. Dass die Haltung von Elsevier nicht alternativlos ist, zeigen Verlage wie Wiley und Springer Nature, die gemeinsam mit den DEAL-Vertreterinnen nach Kompromissen suchen.
Zwar ist nicht klar, wie die Klage von Elsevier gegen Researchgate ausgehen wird, doch hat Researchgate bereits erste Konsequenzen gezogen und viele der hochgeladenen Artikel von der Plattform entfernt. Außerdem zieht Reseachgate für die Zukunft eine Kooperation mit Springer Nature in Betracht. Auch wenn die Kooperationsbereitschaft einiger Verlage ein Hoffnungsschimmer zu sein scheint, kann es doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Regelungen mit einzelnen Verlagen das Problem nicht lösen. Im Gegenteil, es führt dazu, dass eine weitere Konzentration des Wissens und des Austausches bei diesen Verlagen stattfindet. Und das ist der Qualität und Objektivität der Forschung nicht unbedingt zuträglich. Denn auch wenn es niemand zugeben würde: Manchmal ist Bequemlichkeit eben doch der driftigste Grund, ein Zitat, einen Aufsatz oder ein Buch einem anderen vorzuziehen.
Kristina Petzold