Wir treffen den Schriftsteller Christof Hamann, in diesem Semester Poet in Residence an der Universität Duisburg-Essen, zwischen Schreibwerkstatt und Poetikvorlesung. Zwischen Sonne und Regen und zwischen Schreiben und Zuhören. Er spricht mit uns über seine Arbeit, über die Wichtigkeit von Notizen und die Werke, die ihn inspirieren.
Aus deinen Vorlesungen haben wir herausgehört, dass du ein Verfechter der Handschrift bist. Arbeitest und schreibst du nur analog oder auch digital?
Christof Hamann: Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass es mir hilft, mit Notizen in den Schreibprozess einzusteigen. Ich habe immer ein Notizheft dabei, schreibe da rein, streiche auch durch, überschreibe. Manchmal geht der erste Prozess gar nicht weiter und es bleiben dann einfach Notizen und wenn es weitergeht, gehe ich an den Computer und tippe ab. Das ist ein zweistufiger Schreibprozess. Das habe ich früher nicht gemacht, da habe ich sofort in den Rechner reingetippt. Seit ein paar Jahren finde ich es hilfreicher, das zweistufig zu machen.
War es bei dir also ein Schritt zurück zum Analogen?
Christof Hamann: Ich habe gemerkt, dass ich vor ein paar Jahren nichts mehr mit der Hand geschrieben habe. Irgendwann kam dann das Gefühl, ich vermisse so ein bisschen was, mir geht da was verloren. Beim wissenschaftlichen Schreiben mache ich gar nichts handschriftlich, aber beim literarischen Schreiben hat sich der Prozess des Handschriftlichen in letzter Zeit verstärkt. Das fing mit Notizen an. Jetzt bleibe ich auch dabei, bastele so ein bisschen herum.
Wie oft machst du dir im Alltag Notizen?
Christof Hamann: In letzter Zeit wieder mehr. Es gibt aber auch Tage, da trage ich gar nichts ein. An manchen schreibe ich was ab, irgendeinen Satz, der mir aufgefallen ist. Das wechselt so ein bisschen.
Integrierst du Notizen in deine Werke?
Christof Hamann: Ich schreibe zurzeit keine längeren Texte mehr, nur kürzere. Ich weiß gar nicht – ist es dann Lyrik oder sind es einfach Notizen? Ich habe gemerkt, dass meine Texte anfangs länger, dann aber wieder kürzer werden. Im Schreibprozess werden die schon mal fünf, sechs Seiten lang und am Ende maximal eine Seite
Fällt dir ein Grund für deine Streichungen ein?
Christof Hamann: Ich finde, das ist gerade so meine Phase. Ich mag Texte, die nicht auserzählen, die nicht alles erzählen, die Spielraum lassen beim Lesen. Das geht eher bei kürzeren Texten. Bei Texten, in denen Verben fehlen, die elliptisch sind, grammatikalisch nicht immer korrekt. Texte, die die Tendenz zur Liste haben, zur poetischen Liste, in der auch Unverbundenes nebeneinandersteht. Das ist gerade das, worauf ich stehe. Das kann sich auch wieder ändern, aber zurzeit ist das so.
Du hast gestern Rainald Goetz in der Vorlesung zitiert. Rainald Goetz kann man ja als Notizen-Fanatiker bezeichnen, der immer einen Notizblock dabei haben muss, um aufschreiben und abschreiben zu können. Hat er Einfluss auf dich und das Schreiben?
Christof Hamann: Den habe ich erst beim Schreiben der Poetikdozentur entdeckt und war begeistert von Abfall für alle. Ich kannte bis dahin die kürzeren Texte von ihm, die Klagenfurt-Texte. Den hatte ich dann eine Zeit lang aus dem Auge verloren. Zu Beginn war die Poetikvorlesung noch voll mit Zitaten von Peter Handke, aber der ist wieder komplett rausgeflogen. Auf Rainald Goetz hat mich irgendjemand gebracht, der mich gefragt hat, was ich eigentlich mache, und dem ich so ein bisschen erzählt habe vom Notieren, Blättern, Abschreiben. Das geht nicht ohne Rainald Goetz. Bei Nur ein Schritt bis zu den Vögeln war Peter Handke sehr wichtig. Jetzt, im Vergleich zu Goetz oder Brinkmann, war er zu sehr auf Natur aus; das hat mich ein bisschen genervt.
Goetz ist von Brinkmann beeinflusst. Der ist in der Vorlesung und Schreibwerkstatt auch sehr präsent.
Christof Hamann: Brinkmanns Rom, Blicke war mir schon immer präsent, aber da habe ich jahrelang nie reingeguckt. Das ist ja auch ein Buch, das liest man nicht von vorne nach hinten. Wenn ich jetzt die Poetikvorlesung in die Reinfassung schreibe, wird vielleicht der Goetz und der Brinkmann noch stärker werden und andere Schriftsteller werden einen Platz bekommen.
Und was passiert dann mit der ins Reine geschriebenen Fassung?
Christof Hamann: Andreas Erb und ich wollen daraus ein Buch machen mit Texten von Autoren, die ich angeschrieben habe, wie Marcel Beyer und Felicitas Hoppe. Mit der Einführung von Rolf Parr und Collagen von Andreas. Da wollen wir heute Abend mal überlegen, wie wir das dann bauen und aufbauen.
Das Thema der Vorlesung hat sich von Schreiben zu Abschreiben geändert.
Christof Hamann: Ja, vor allem aufgrund eines Walter-Benjamin-Zitats aus Einbahnstraße, dazu erzähle ich heute Abend was. Aus diesem Werk kannte ich vorher nur die Thesen zur „Technik des Schriftstellers“. Die finde ich genial. Die waren mal in der Neuen Rundschau, ausklappbar. Die hängen bei mir an der Wand. Und Benjamins Passagen-Werk finde ich auch genial. Das besteht zum großen Teil aus abgeschriebenen Texten. Der saß dafür jahrelang in der Bibliothek. Es gibt Fotos, wo sich alles türmt um ihn herum, und dann hat er da abgeschrieben. Das ist tatsächlich ein Passagen-Werk geworden, mit unterschiedlichsten Passagen, Übergängen und Brüchen
Also würdest du sagen, dass das Abschreiben Inspiration mit sich trägt?
Christof Hamann: Ja. Der Literaturprofessor Kenneth Goldsmith, zum Beispiel, fordert seine Studierenden zum Plagiat auf. Diese sollen abschreiben, alles digital. Für mich war sein Buch Uncreative Writing sehr anregend. Für ihn war auch Benjamins Passagen-Werk für seine Art des Konzepts des Einschreibens wichtig. Goldsmith hat tolle Ideen, viel besser als dieses Lutz-von-Werder-Zeugs. Das meiste, was in Deutschland zum Kreativen Schreiben veröffentlicht wird, ist furchtbar, finde ich. Was mich jedoch gerade interessiert, ist das handschriftliche Abschreiben.
Gestern hast du viel über das Blättern geredet, ausgehend vom dem Wort stolpern. Wenn ich das Wort stolpern sehe, dann denke ich an das Wort scheitern, das auch als Synonym im Duden angeboten wird. Gerade musste ich an Erik Kessels denken, der letztes Jahr ein Buch veröffentlicht hat, Fast Perfekt, in dem er schreibt, dass Scheitern wichtig für Kreativität ist. Findest du, dass Scheitern den kreativen Prozess fördert?
Christof Hamann: Es ist wichtig. Manchmal ist es nervig, manchmal ist es zum Verzweifeln, weil es eben auch Zauder-Prozesse gibt, die kein Ende finden. Wenn ich zurückblicke auf die letzten Jahre, bin ich doch das eine oder andere Mal gescheitert. Manchmal hat sich da auch nichts draus ergeben, aber irgendwas hat sozusagen den Anfang von was Neuem ergeben. Ich weiß noch, der Lektor von meinem ersten Roman Seegfrörne hat mir so einen Beckett-Spruch vorne reingeschrieben: Scheitern ja, das nächste Mal scheiter besser, scheiter noch besser. Das Scheitern ist ein wichtiger Prozess. Und dann schreibt man halt mal vier Wochen lang nichts mehr. Da muss man auch durch irgendwie, das gehört mit dazu und das kann man auch nicht schönreden.
Vielen Dank für deine Zeit.
Theresa Müller und Julia Bergemann