Ècriture automatique 2.0

Ecriture bearbeitet zweipunktnull

CC-BY-NC-SA 4.0 Kristina Petzold

Schreiben mit Autoren-Software – ein Selbstversuch

Sind Texte künstlich generierbar? Zumindest einen genialen Autor scheint man bis jetzt noch nicht ersetzen zu können. Eine neue Software erklärt sich jetzt aber immerhin zu einem sehr intelligenten Werkzeug auf dem Weg dahin.


Ein Vorwort: „Écriture automatique“ sollte ursprünglich dem Autor erlauben, intuitiv zu schreiben, ohne einen restriktiven Gedanken an gültige Schreibkonventionen zu verschwenden. Das Unterbewusste sollte zum Vorschein treten (le surrealisme.com). Heute scheint der Begriff fast irreführend, denn er bringt uns nicht zu Automaten und Computern, zu künstlichen oder automatisierten Schreibrobotern, sondern dem menschlichen Unterbewusstsein nahe. Vielleicht wird es Zeit für das „automatische Schreiben 2.0“? Das Schreiben durch Software? Auch wenn dieses künstliche Schreiben eigentlich wenig mit der „écriture automatique“ der Surrealisten zu tun hat, noch haben sie eines gemeinsam: den denkenden Menschen als Ursprung der Sprache. Dies zeigt auch unsere Test-Software. Wird sich das je ändern?

Der Test-Kandidat: „Papyrus Autor“ startete 1991 als Textverarbeitung. Im März diesen Jahres erschien schon die 7. Version der Autoren-Software für Windows und Mac. Auf der Leipziger Buchmesse warben die Entwickler mit einem Stand und einer besonders auf Self-Publisher zugeschnittenen Veranstaltung für ihr Produkt.

Wir haben den Selbstversuch gewagt und das Programm im Digitur-Textlabor ausgiebig zerpflückt und analysiert. Ein Versuchsprotokoll:

Schritt 1 – erster Eindruck und Erwartungen:
„Papyrus Autor ist das Schreibprogramm für Schriftsteller und Autoren, denen es auf ihren Text ankommt“, erklärt die Webseite.
Die Skepsis steigt, denn welchem Autor kommt es nicht auf seinen Text an? Wenn das Programm wirklich etwas kann, warum gibt es dann so unspezifische Angaben über seinen Nutzen? Vielleicht doch nur eine etwas bessere Rechtschreibkorrektur?

Schritt 2 – Informationen über das Programm:
Wow! Das klingt doch gar nicht schlecht: „Papyrus Autor“ wartet mit der aktuellsten Duden-Rechtschreibprüfung auf, bietet Berge von Synonymen nur einen Klick entfernt, eine Stilkorrektur nach sinnvollen Algorithmen (z.B. erkennt es Füllwörter) und eine Lesbarkeitsanalyse (die sogar solche Feinheiten berücksichtigt wie die Textsorte). Außerdem hilft es bei der inhaltlichen und konzeptuellen Organisation des eigenen Werkes durch eine einfache Integration von Internet-Recherche-Ergebnissen in die programmeigene Datenbank, durch Figurenübersichten und einen Zeitstrahl der erzählten Zeit. Klingt so, als könnte man damit das obere Drittel der Hobbyautoren auch ohne geschulten Lektor auf Bestseller-Niveau bringen.

Schritt 3 – der Testlauf:
Nach reibungslosem Download und Installation kann man mit „Papyrus Autor“ sofort loslegen. Nicht alle Funktionen sind intuitiv zu durchschauen, die wichtigsten aber schon. Man kann die einfachen  „Oberflächenwerkzeuge“ (wie Rechtschreibkorrektur und Stilanalyse) sehr schnell benutzen, bekommt aber auch sofort ein Gefühl dafür, dass die Software in der Tiefe noch sehr viel umfangreicher und anspruchsvoller ist. Meine Lieblings-Funktionen sind die Integration von Online-Inhalten sowie Figurenprofile und Zeitstrahl. Schwierigkeiten bereitet leider die „Schritt-zurück“-Funktion, die plötzlich den Text wieder in seinen Urzustand zurückversetzt. Manchmal reagiert die Software etwas unerwartet. Die verschiedenen Analysemodi für Texte (Stil- oder Schwierigkeitsanalyse) sind einzeln aktivierbar. Dazu kommen noch Möglichkeiten, den Text als „perfekt“ oder als „Geistertext“ (also nicht zum Reintext gehörige Hintergrundinformation) etc. zu deklarieren. Wie diese unterschiedlichen Textmarkierungen miteinander kombiniert reagieren, ist teilweise etwas verwirrend und irgendwann fragt man sich dann, wie man zur einfachen, farbigen Korrekturanzeige zurückfindet. Hier gäbe es auf jeden Fall noch Verschlankungspotential . Aber insgesamt funktioniert alles wie versprochen.

Der semiprofessionelle Text-Test: Das passiert mit den ersten Sätzen aus Schillers „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, wenn man ‚blind‘ die Korrekturvorschläge übernimmt:

Vorher:
Sie wollen mir also vergönnen, Ihnen die Resultate meiner Untersuchungen über das Schöne und die Kunst in einer Reihe von Briefen vorzulegen. Lebhaft empfinde ich das Gewicht, aber auch den Reiz und die Würde dieser Unternehmung. Ich werde von einem Gegenstande sprechen, der mit dem besten Theil unserer Glückseligkeit in einer unmittelbaren und mit dem moralischen Adel der menschlichen Natur in keiner sehr entfernten Verbindung steht. Ich werde die Sache der Schönheit vor einem Herzen führen, das ihre ganze Macht empfindet und ausübt und bei einer Untersuchung, wo man eben so oft genöthigt ist, sich auf Gefühle als auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Theil meines Geschäfts auf sich nehmen wird.

Nachher:
Sie wollen mir vergönnen, Ihnen die Resultate meiner Untersuchungen über das Schöne. Die Kunst in einer Reihe von Briefen vorzulegen. Lebhaft empfinde ich das Gewicht, den Reiz. Die Würde Unternehmung. Ich werde von einem Gegenstande sprechen, der mit dem besten Teil unserer Glückseligkeit in einer unmittelbaren. Mit dem moralischen Adel der menschlichen Natur in keiner entfernten Verbindung steht. Ich werde die Sache der Schönheit vor einem Herzen führen, das ihre Macht empfindet und ausübt. Bei einer Betrachtung, wo man genötigt ist, auf Gefühle auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Element meines Geschäfts auf Nehmen wird.

Zur Verteidigung: Alle Korrekturen werden schon beim Darüberfahren mit der Maus erläutert, eine genauere und i.d.R. aufschlussreiche Erläuterung findet man beim Klick auf die Erklärung. Diese ermöglichen dem Autor dann, seine Entscheidung bewusst und kompetent zu treffen – Pluspunkt. Ob die im Schiller-Beispiel auftretenden Probleme des Programms repräsentativ sind, ist deshalb fraglich. Autoren können sich an den Kommentaren zu den Korrekturvorschlägen orientieren und in jedem Fall einzeln über ihre Sinnhaftigkeit entscheiden. Ist ein Füllwort vielleicht doch essentiell für den Sinn eines Satzes? Ist das wirklich ein „und“, welches zu einer längeren Satzkonstruktion führt? Muss eine Wortwiederholung einfach stattfinden, um den Inhalt klarzustellen?

Schritt 4 – Benutzerfazit:
„Papyrus Autor“ ist auf jeden Fall eine coole Software. Sie hilft vor allem bei längeren Text-Projekten, die Gedanken zu sortieren. Allerdings muss man sich dafür auch die Zeit zur Einarbeitung in das Programm nehmen. Dann taugt es auch über einfache Stilkorrekturen hinaus als praktisches Werkzeug. Über allem steht immer die Ermächtigung des Autors zur eigenen Entscheidung. Eine schöne Vorstellung, dass die Programmierer so emanzipatorisch dachten. Im Moment scheint hier aber vor allem eine natürliche Grenze solcher Programme zu liegen – solange es noch keine wirklich perfekt programmierten Syntax-Algorithmen gibt.

Schritt 5 – Zukunftsszenario: Was könnte die Software mit Texten machen?
•    Sie begünstigt komplexe Handlungsstrukturen – also komplexere Geschichten?
•    Sie treibt den Texten die Füllwörter aus
•    Sie Favorisiert einfache Satzstruktur und Parataxen
•    Sie erweitert den Wortschatz durch Zugriff auf eine Vielzahl von Synonymen
•    Sie hilft dabei, weniger Rechtschreibfehler zu machen
•    Sie begünstigt stringente Charaktere durch die einfache Möglichkeiten, Charakterprofile zu erstellen
•    Kann eine Software die Autorensprache uniformieren?

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