Seit über sechs Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Dabei sollten am 24. August die Straßen Kiews gefüllt sein mit froh gestimmten Menschen, blaue und gelbe Luftballons in ihren Händen. 31 Jahre Unabhängigkeit, das ist ein Grund zum Feiern. Doch nicht in diesem Jahr – 2022 blieb die Stadt grau. Statt Freude hängen Trauer, Wut und Angst in der Luft.
Denn genau das ist Krieg: voller dunkler Emotionen. Insbesondere Kinder verstehen oftmals nicht: Warum herrscht Krieg auf der Welt? Was bedeutet „Krieg“ überhaupt? Er ist mehr als kleine Plastiksoldaten, die vielerorts als Spielzeug verkauft werden. „Der Krieg ist eine traurige Macht, die alles niederwalzt“, schreibt José Jorge Letria im Bilderbuch Der Krieg. Mit Illustrationen seines Sohnes André Letria vermittelt das Buch das Wesen von Krieg. Denn leider ist Krieg unser beständiger Begleiter. Umso wichtiger, dass das ernste Thema im Kindesalter nicht ignoriert wird.
Dunkle Farben und einprägsame Sätze
Das Kinderbuch vermittelt in Wort und Bild, was „Krieg“ bedeutet. Es malt einen Krieg, der sich durch unsere Welt windet wie eine Schlange. Er ist leise und flink wie eine Spinne. Die dunklen Illustrationen zeigen eine Person im Militärgewand, die von oben das Werk begutachtet. In einer Darstellung des Himmels sind Flugzeuge zu sehen, die dicht beieinander alle auf ein Ziel steuern. Das Bild einer Stadt aus der Vogelperspektive zeigt graue Rauchschwaden, wo Hausdächer zu sehen sein müssten. „Der Krieg regiert in Trümmern“, schreibt Letria auf die Seite.
Auch auf die Soldaten geht das Buch ein: „Der Krieg erzeugt Kinder aus Stahl.“ Hier wird die Leserschaft, Kinder, direkt angesprochen. Statt aus Plastik, wie die Spielzeugsoldaten, ist hier von bruchsicherem Metall die Rede. Zu sehen sind Soldaten auf einem Fließband. Die kurzen Sätze auf den Bildseiten sind einprägsam, doch sie lassen genug Raum für eigene Gedanken und Interpretationen.
Ein Buch mit Gänsehaut-Charakter
Der Krieg veranschaulicht, was Krieg nicht leisten kann – hören, sehen und fühlen, schreibt der ältere Letria. Die entsprechende Buchseite zeigt den dunklen Schatten eines großen Vogels – oder Flugzeugs? – über einem Wald. Ein eindrucksvolles Bild des jüngeren Letria.
Beim Anblick der Szene gehen mir viele Gedanken durch den Kopf: Der Krieg hört weder die Bombeneinschläge noch die Stille, wenn die Verwüstung komplett ist. Er sieht weder Rauch noch Tränen, weder Trümmer noch Leere. Er fühlt weder die Entwurzelung der Geflüchteten noch die Entschlossenheit der Kämpfenden. Er macht gnadenlos weiter – trotz all dem, was er bereits angerichtet hat.
Poetisch und eindrucksvoll: Bilderbuch des Monats
Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene regt das Buch zum Reflektieren an. Ich bin Ende der 90er Jahre in Deutschland geboren – wie Krieg sich anfühlt? Das kann ich nicht ansatzweise nachempfinden. Dennoch geht es mir nahe, wenn ich die Nachrichten sehe, Bilder aus Kriegsgebieten betrachte, Zeitzeugengeschichten lese und mit Geflüchteten spreche. Jorge und André Letria bringen die Gefühle zu Papier.
Zwar kann Der Krieg nicht vollumfänglich erklären, was sich immer wieder an verschiedenen Orten auf der Welt abspielt. Die unterschiedlichen Gründe sind oft so weit in der Geschichte verankert, dass ich sie selbst nicht in ihrer vollen Komplexität verstehe. Doch es zeigt Kindern eindrücklich, aus welchen Emotionen Krieg gründet, was er anrichtet und welche Gefühle er auslöst. Es gibt eine Trauer, Wut und Angst wieder, wie man sie mit Worten allein kaum beschreiben kann. Dafür wurde Der Krieg nach einem halben Jahr Krieg in der Ukraine als „Bilderbuch des Monats August 2022“ von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet.
Ein Werk von Vater und Sohn
Erschienen ist Der Krieg im Jahr 2018 in Portugal. Die deutsche Erstauflage wurde im April 2022 veröffentlicht. Es ist bereits das zweite gemeinsame Buch von José Jorge Letria und seinem Sohn André Letria. Erhältlich ist Der Krieg als Hardcover für 18,00 Euro beim Midas Verlag.