Der digitale Zeitungskiosk

CC BY-NC-SA 4.0 Ina Westermann

CC BY-NC-SA 4.0 Ina Westermann

Man gehe in seinen Lieblingskiosk, wähle eine Zeitschrift aus, reiße den Feuilleton-Teil heraus, wähle eine weitere und entferne die Sportseiten, suche eine dritte aus, der man die Kolumne entreiße. Was in der realen Welt wohl für schräge Blicke und mit Sicherheit für Wutanfälle seitens des Kioskbesitzers sorgen würde, ist in der digitalen Welt möglich und könnte bald zu einer neuen Form des Zeitunglesens werden. Denn vor knapp zwei Monaten startete der digitale Zeitungskiosk „Blendle“ in Deutschland.

Die neue Generation an Zeitungslesern ist es gewohnt, schnell und jederzeit online auf Nachrichten Zugriff zu haben. Und vor allem ist sie es gewohnt, umsonst lesen zu können. Der kostenlose Zugriff auf Inhalte im Internet stellt jedoch eine große Herausforderung für den Kultur- und Medienbetrieb dar. Im Moment werden daher neue Geschäftsmodelle auch im Online-Journalismus getestet. Eines davon ist das Start-Up „Blendle“.

Das Geschäftsmodell „Blendle“

2013 gründete der niederländische Journalist Marten Blankesteijn den digitalen Zeitungskiosk Blendle. In den Niederlanden hat Blendle bereits 300 000 Nutzer. Seit Kurzem läuft nun auch eine Beta-Version in Deutschland. 38 Zeitungen nehmen Teil, darunter fast alle großen wie die Süddeutsche, der Spiegel, die Zeit und die Frankfurter Allgemeine.
Das Prinzip von Blendle ist einfach und vielversprechend: Aus den angebotenen Zeitungen können sich die Nutzer Artikel einzeln zusammenkaufen. Die Literaturkritik aus der einen Zeitung, den Börsenteil aus der anderen. Das soll mehr Entscheidungsfreiheit und weniger Abo-Hürden für die Nutzer bringen. Jeder Artikel kostet zwischen 25 Cent und 1 Euro. Blendle kriegt davon 30%, der Rest geht an die Zeitungsverlage. Es gibt zudem die Funktion, Artikel zurückzugeben, wenn sie nicht gefallen. Wenn dies zu oft genutzt wird, wird die Funktion allerdings gesperrt.

Im Zeitungskiosk um die Ecke kommt man wohl selten auf die Idee, andere Käufer nach ihren Lesegewohnheiten zu fragen. Blendle aber ist nicht nur Kiosk, sondern auch soziales Netzwerk. Die Nutzer können verfolgen, was ihre Bekannten lesen und bekommen auf Basis ihrer bisher erworbenen Artikel Empfehlungen angezeigt. Die Zeitungsverlage haben so nicht nur die Möglichkeit, neue Leser zu erreichen, sondern erhalten auch Informationen über das Leseverhalten der Blendle-User.

Eine neue Art des Zeitunglesens?

Die Idee hinter Blendle ist, dass Leser eher bereit sind, Geld für Zeitungen in elektronischer Form zu bezahlen, wenn sie nur die Artikel bezahlen müssen, die sie auch wirklich lesen. Dieses Prinzip wird Einfluss auf das Leseverhalten der Zeitungskonsumenten haben. Denn die Nutzer müssen so bereits wissen, für welche Themen und Artikel sie sich interessieren, und sind somit weniger offen für neuen Input. Letzterer wird dann rein über die Empfehlungen von Blendle und anderen Usern gegeben, nicht mehr durch das Durchblättern oder Scrollen. Das neue Zeitunglesen könnte so zu einem selektiveren Lesen werden. Ein neues Leseverhalten wird sich voraussichtlich auch auf das journalistische Schreiben an sich auswirken. Denn jeder einzelne Artikel wird im Modell Blendle zur Ware und ist somit dem Druck des Marktes ausgesetzt. Dies könnte bedeuten, dass nur noch die Artikel produziert werden, die sich rentieren, und andere Artikel, mit nur kleiner Zielgruppe, würden verschwinden.

Keine funktionierenden Bezahlmodelle

Ein neues Geschäftsmodell für den Online-Journalismus wird dringend benötigt. Die Auflagen der Printzeitungen sinken bei allen Verlagen und es ist abzusehen, dass künftige Generationen hauptsächlich auf Online-Zeitungen und E-Paper zugreifen werden. Eine gut funktionierende Möglichkeit, den Online-Journalismus auch finanziell ergiebig zu machen, gibt es bisher nicht.

Laut BDZV lassen sich bei den Online-Angeboten deutscher Zeitungen vier unterschiedliche Bezahlmodelle finden. Bei der sogenannten „Harten Bezahlschranke“ dürfen nur die Abonnenten der jeweiligen Printzeitung das Online-Angebot einsehen. Beim Freemium-Modell werden nur jene Inhalte kostenpflichtig angeboten, von denen die Zeitungsverlage denken, dass Leser auch Geld dafür ausgeben würden. Dies sind hauptsächlich Inhalte mit einem ‚Nutzen’, beispielsweise die Testberichte von Stiftung Warentest. Auch beim sogenannten Metered Model werden Teile von Inhalten kostenlos angeboten. Der Nutzer hat ein bestimmtes Freikontingent an Artikeln, danach muss ein kostenpflichtiges Abo gebucht werden. Die vierte Möglichkeit ist die Finanzierung auf Spendenbasis, welche beispielsweise von taz.de genutzt wird. Die Leser können einmalig oder auch regelmäßig einen von ihnen festgelegten Betrag für das Online-Angebot zahlen. Neben den Finanzierungsmöglichkeiten der Online-Inhalte gibt es auch die sogenannten E-Paper. Die Zeitungen bieten ihre Printversionen als PDFs an, meist für einen günstigeren Preis als das Print-Abo.

Die Zeitungskioske der Zukunft

Innerhalb der letzten Jahre haben einige Start-Ups mit neuen Ideen für den Online-Journalismus den Markt betreten. Der Anbieter „Pocketstory“ fährt ein ähnliches Modell wie Blendle, hat jedoch weniger Zeitungen im Angebot. Von Google gibt es eine Zeitungskiosk-App, die ebenfalls ähnlich funktioniert. Ein etwas anderes Modell ist die App „Readly“. Hier bezahlen die User eine monatliche Flatrate von 9,99 Euro und können dafür auf 1128 Magazine weltweit zugreifen. Dies hat gegenüber Blendle den Vorteil, dass das Leseverhalten sehr weit gefächert ist. Allerdings stehen hier hauptsächlich Magazine zum Thema Mode, Sport, TV etc. zur Verfügung und keine Zeitungen.

Klar ist, dass der Online-Journalismus ein funktionierendes Bezahlmodell braucht, um die Qualität der Artikel sichern zu können. Ob Blendle dieses Modell sein wird, hängt davon ab, ob die Nutzer wirklich bereit sind, für einzelne Artikel zu zahlen. Ein Flatrate-Modell wie Readly scheint da die offenere Variante zu sein. Sie erweitert das Angebot für die Leser im Vergleich zur Printzeitung, statt es weiter zu spezialisieren. Im Bereich Musik und Film hat sich die Flatrate bei Anbietern wie Spotify oder Netflix schon ein Stück weit durchgesetzt. Das Problem ist nur: nicht alle machen mit. Der Anbieter einer Zeitungsflatrate müsste daher den Verlagen garantieren können, dass das Profil der jeweiligen Zeitung nicht verlorengeht und die Arbeit der einzelnen Journalisten wertgeschätzt wird.

Ina Westermann

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