Das Massenfest Weihnachten steht vor der Tür und wird immer digitaler. Dass sich auch das zweithöchste christliche Fest nicht dem Rhythmus elektronischer Wellen entziehen kann, ist wohl keine Überraschung. 2011 hat Papst Benedikt XVI. dank einer Drahtlosverbindung zum örtlichen Stromnetz den ‚Weihnachtsbaum‘, eine riesige Installation mit Weihnachtslichtern im über 200 Kilometer entfernten Umbrien (Region Italiens), per Tablet ‚entzündet‘. Ein Jahr später begann er das Twittern. Auch die Weihnachtsgeschichte hat längst ein Update erhalten und wurde digital aufgefrischt: Die Geschichte von Maria und Josef wird in Kindergottesdiensten mittlerweile mit Laptop und Beamer an die Kirchenwand projiziert, per WhatsApp als Emoji-Bilderreihe verschickt, getwittert oder als Gif-Animation via E-Mail gesendet. Alte Bräuche wie das Geschenke Wichteln können nach Bedarf ganz einfach digitalisiert werden, viele Bräuche wandern ins Netz ab oder werden gar abgeschafft. Die Wunschliste an den Weihnachtsmann und die Beschaffung der Geschenke – alles läuft zumindest mit technischer Unterstützung.
Kling Umsatz, klingelingeling
Vor allem der alljährliche Weihnachtseinkauf, der vielen Menschen schon bei dem bloßen Gedanken an völlig überfüllte Einkaufsstraßen, endlose Warteschlangen vor Parkhäusern und an den Kassen Panik beschert, findet zunehmend in Online-Geschäften oder per App statt. Kein Wunder, denn dies kann ganz stressfrei am knisternden Kaminfeuer zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit geschehen. In diesem Jahr werden nach Schätzungen des Handelsverbands Deutschland die Weihnachtsumsätze im Onlinehandel im Vergleich zum vergangenen Jahr um 12 Prozent steigen und erstmalig deutlich über 10 Mrd. Euro liegen. Und wer weiß, vielleicht gibt es demnächst Drohnen statt Schlitten. Bleibt die Frage: Ist der Weihnachtsmann bald seinen Job los, weil die Geschenke dann ferngesteuert kommen?
Und jedes Jahr aufs Neue
Und plötzlich, im Advent, sind wir plötzlich auf ganz andere Dinge versessen: Wir entzünden Kerzen und sehnen uns nach alten Weihnachtsliedern mit HiFi-Knistern. Je verstaubter, desto besser. Wir schreiben Weihnachtskarten, anstatt zu Twittern, backen mit Freunden und der Familie Plätzchen, verbringen Zeit lieber gemeinsam auf dem Weihnachtsmarkt und trinken Glühwein, anstatt uns durch virtuelle Welten zu klicken. Und was wäre – oh du Jämmerliche – ein Jahresende ohne Weihnachtsfeier mit den lieben Kollegen, auf der die Marketingleiterin zur Dancefloor Maniac und der nette Herr vom Empfang zum motivierten Punsch-Aufpepper mutieren? Die etwas überambitionierte Praktikantin nutzt den Abend zum fleißigen Networking und wenn es dann am nächsten Tag in der Mittagspause allerlei Erfahrungsberichte zwischenmenschlicher Interaktionen unter Kollegen rieselt – wer möchte da schon auf diese analogen Annäherungen verzichten? Und spätestens am Heiligen Abend besinnen wir uns unterm Weihnachtsbaum doch auf unsere analogen Wurzeln. Weihnachten ist die analogste Zeit. Und das, obwohl wir zwischenmenschliche Kontakte und Entertainment eigentlich viel einfacher und billiger in digitaler Form haben könnten: Weihnachtsfilme und Serien 24/7 als Flatrate auf Amazon Prime, Netflix und Co, – das Fest der Industriesüßigkeiten und des Überflusses vor dem heimischen Bildschirm und neuen Bekanntschaften auf Facebook.
Besinnliche Festtagsstimmung: analog ist das neue hip
Das wollen wir im Advent aber nicht. Oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie wir es den Rest des Jahres über praktizieren. Wir büchsen aus der digitalen Gesellschaft aus und entziehen uns den hektischen Datenströmen, um die andächtige Stimmung zu bewahren. Wenigstens für kurze Zeit im Dezember, am Ende des Jahres, wollen wir einmal endschleunigen und vielleicht ein bisschen nostalgisch werden – Pause für mediale Störsequenzen. Mit größter Überzeugung aus Kindertagen bringen wir einem imaginierten Zeitgeist mit weißem Bart und rotem Mantel – dank seiner Zeitlosigkeit – kleine analoge Opfer in Form von Keksen und einem Glas Milch dar, damit er uns die digitalen Maßlosigkeiten des Jahres verzeihen möge. An Weihnachten lernen wir, dank der Magie dieses Festes, immer wieder aufs Neue die Vorzüge eines analogen Lebensgefühls zu schätzen. Wie schön es doch sein kann die Festtage dazu zu nutzen, um auf elektronische Geräte wie Smartphone, PC und Tablet zu verzichten. Das könnte zur Stressreduktion führen, die Interaktion mit der haptisch-physischen Welt fördern und sogar ganz kostenfrei unter dem Weihnachtsbaum funktionieren.
Der Duft von Tannenbaum, Sternanis und Zimt, ein Kinderlachen und die vertraute Gesellschaft von Familie und Freunden sind die Aura und die Aromen des Festes und sind eben doch durch kein digitales Äquivalent, durch keine noch so täuschend echte 3D-Attrappe zu ersetzen.
Oh du besinnliche Festtagsstimmung: analog ist das neue hip, jedenfalls für ein paar Tage im Jahr oder wer weiß, vielleicht hätten damals Maria und Josef ja auch nichts gegen Siri, Navigationsgerät und Co. einzuwenden gehabt, die prognostiziert hätten: Ihr seid am Ziel angekommen.
Chantal Otterbein