Vor einem Monat, genauer gesagt am 20. Mai, durchschnitt eine erschütternde Nachricht die Welt der japanischen Pop- und Mangakultur. Kentaro Miura, Autor und Zeichner des Epos Berserk, verstarb im zarten Alter von 54 Jahren. Fans waren bestürzt und verliehen ihrer Trauer in den zahlreichen sozialen Medien Ausdruck, twitterten Beileidsbekundungen und posteten ihre Lieblingsmomente aus Berserk in Bilderform.
Doch wer denkt, Berserk sei ein Nischen-Manga, dessen Bedeutung nicht über den eigenen Kosmos und die ihn wie eine Seifenblase umschließende Fanbase hinausginge, irrt sich. Die Meldung über Miuras Tod beschränkte sich bei weitem nicht auf fokussierte Einzelmagazine, sondern verursachte Schlagzeilen in renommierten Tageszeitungen wie der New York Times. Die Antwort auf das „Warum“ ist dabei gleichermaßen simpel wie komplex. Da wären zum einen die über 50 Millionen verkauften Exemplare des Mangas. Zum anderen hat Miura mit Berserk ein bedeutendes Vermächtnis hinterlassen, das durch seine Verästelung die Wurzeln für unzählige bekannte Werke der Popkultur schuf. Was genau ihr euch darunter vorstellen dürft, lest ihr im Folgenden.
Am Anfang war das Schwert
Als Miura 1989 das erste Mal den grimmigen Guts, Protagonist von Berserk, zu Papier brachte, erahnte er wohl kaum das Ausmaß seiner Arbeit. Es dauerte nicht lange, da erschien seine Geschichte auch in Buchform und erreichte, wenn auch zunächst nur in Japan, ansteigende Beliebtheit. Doch Berserk blieb kein lokales Phänomen. 2001 erschien hierzulande der erste Band, damals noch beim Planet Manga Verlag, während heute Panini für die Veröffentlichung zuständig ist. 2003 macht Berserk sich auf, auch die USA zu erobern und ist seitdem weltweit verankert. Obwohl die Reihe seine Zeit brauchte, um außerhalb Japans Fuß zu fassen, ist sie heute nicht mehr aus der popkulturellen Szene wegzudenken und prägt Geschichten auf der ganzen Welt.
Der Dark-Fantasy-Manga erzählt die Geschichte des Söldners Guts, verbindet die brutale Realität des Mittelalters und vermischt sie mit fantastischen Elementen, philosophischen Fragen und dem altbekannten Konflikt von Mensch gegen Gott. Die Reihe umfasst mittlerweile zwar 40 Bände, doch genau wie Miura fing auch Guts selbst klein an. Obwohl der gnadenlose Schwertkämpfer zu Beginn der Reihe bereits Horden von Gegnern in Stücke schneidet, enthüllt Miura schon nach wenigen Kapiteln den Ursprung des einsilbigen Einzelgängers.
Geboren auf dem Schlachtfeld, in den Armen seiner toten Mutter, wird er von einer Frau aufgelesen, die mit einem Soldatentrupp reist. Der Truppenführer hat zunächst wenig Mitleid, doch als die barmherzige Frau an einer Krankheit verstirbt, nimmt sich der Soldat dem jungen Guts an. Aber Guts muss sich sein Essen und seinen Schlafplatz hart erarbeiten und wird früh in der Schwertkunst unterwiesen, damit er sich als Söldner nützlich machen kann. Er wird mit den verzweifelten Folgen des Krieges konfrontiert, doch anstatt zu wanken, festigt sich seine Entschlossenheit nur. Dabei entdeckt er schnell seine Vorliebe für Schwerter, die so groß wie sein Körper sind, und weigert sich aufzugeben – trotz Anfangsschwierigkeiten und der Häme anderer Soldaten.
Wie Berserk die Kulturlandschaft prägte
Auch in der Gegenwart klammert Guts sich noch an dieses verbissene Vorhaben. Eben jenes Bild – ein einsamer Krieger, gehüllt in einen schwarzen Mantel, mit einem überdimensionalen Schwert, wahlweise auf dem Rücken oder in der Hand – prägte unzählige Protagonisten und Charaktere anderer Medien. Egal ob Cloud aus Final Fantasy VII, Sklavenritter Gael aus Dark Souls 3 oder Asta aus Black Clover: Das gigantische, eigentlich vollkommen unpraktische Schwert als charakteristische Waffe ist allgegenwärtig.
Doch der Einfluss von Berserk geht natürlich weit über „Typ mit großem Schwert“ hinaus. Ein prominentes Beispiel ist Yggdrasil, der Weltenbaum aus der nordischen Mythologie. Selbstverständlich hat auch Miura diesen nur aus den Legenden übernommen, die schon seit Jahrhunderten existieren. Dennoch ist Berserk sicher nicht unschuldig am Popularitätsanstieg des Weltenbaums in Videospielen, Anime und Manga nach 1989. Bekannte Beispiele dafür sind Dragon Quest, Sword Art Online, Granblue Fantasy oder Xenoblade Chronicles. Auch im bald erscheinenden Videospiel Elden Ring aus dem Hause From Software ist der gigantische Baum zu sehen. Und dass Hidetaka Miyazaki sich für die Dark Souls-Spiele von Berserk hat inspirieren lassen, ist nun wirklich kein Geheimnis.
Darüber hinaus haben sich aber noch andere kreative Köpfe zum Einfluss von Miuras Werk geäußert. Hideaki Itsuno beispielsweise, der Director von Devil May Cry und Dragon’s Dogma, hat in letzterem Kostüme von Guts und dessen Rivalen Griffith eingebaut. Tatsuki Fujimoto, Mangaka von Chainsaw Man, verglich seine Assoziationen zur Hölle mit der Eklipse aus Berserk. Und auch die Schöpfer*innen hinter Blue Exorcist (Kazue Kato) und Attack on Titan (Hajime Isayama) haben sich dazu bekannt, von Kentaro Miuras Meisterwerk inspiriert worden zu sein.
Manga statt Multimedia
Doch obwohl Berserk-Referenzen und -Einflüsse in vielen Serien, Filmen und Videospielen zu finden sind, hat Berserk selbst nie einen wirklich erfolgreichen Sprung in die Welt der bewegten Bilder geschafft. Die Versuche, die es gab, kann man fast an einer Hand abzählen und sind alle mehr oder minder kläglich gescheitert. Weder die Anime-Serie aus den 90ern noch die von 2016/17 konnte Fans zufrieden stellen, von den Videospielen mal ganz abgesehen. Wenn ihr die Geschichte rund um Guts also in vollen Zügen genießen möchtet, solltet ihr traditionell segeln und zum Manga greifen.
Wer lesefaul ist, Netflix hat und gerne mal in das Universum von Berserk eintauchen möchte, kann aber zumindest einen Blick auf die dreiteilige Verfilmung von der Story-Arc „Das goldene Zeitalter“ werfen. Dass die Filme komplett in CGI produziert wurden, scheint ungewöhnlich und nicht jede*r war dieser Entscheidung wohl gesinnt. Weil es sich bei „Das goldene Zeitalter“ aber um eine stringent erzählte Geschichte handelt, die allein aufgrund der Beziehung von Guts und Griffith definitiv sehenswert ist, lässt sich die nicht herausragende Qualität der Filme verschmerzen. Und im Gegensatz zur Serie bieten die Filme immerhin eine deutsche Tonspur. Gegen den Manga selbst kommen sie aber natürlich nicht an.
Letzte Worte
Auch wenn Berserk nicht abgeschlossen ist und nun aufgrund von Miuras unerwartetem Tod wohl auf ewig unbeendet bleiben wird, so ändert das dennoch nichts an dem Vermächtnis, das er mit seinem Meisterwerk hinterlässt. Die verschiedenen Einflüsse von Berserk spiegeln sich in zahlreichen Werken wider und werden auch in Zukunft neue Geschichten formen und prägen, ganz egal, in welchem Medium sie erzählt werden. Aber auch unabhängig vom kulturellen Einfluss und ganz für sich genommen ist Berserk ein Epos, in dem man bei jeder Lektüre erneut spannende Kleinigkeiten, interessante Aspekte und neue Details entdecken kann. Danke, Kentaro Miura.
Auf Deutsch findet ihr Berserk in verschiedenen Ausgaben bei Panini, die preisgünstigste ist wohl die 2-in-1-Berserk Max-Edition, bei der ihr mit 10 Euro pro Ausgabe gut dabei seid. Wenn ihr bereit seid, etwas mehr auf den Tisch zu legen und nichts gegen Englisch habt, sei euch aber die wunderschöne Lederausgabe von Dark Horse ans Herz gelegt. Diese vereint drei Einzelbände pro Ausgabe und beläuft sich auf circa 40 Euro.
Sollte der Jazz-Enthusiast seine Freizeit mal nicht mit Literatur oder Videospielen gestalten, schwingt er chaotisch den Kochlöffel. Ansonsten ist er vor allem Freund der japanischen (Pop-)Kultur in jeder Form und Farbe: Manga und Anime gehören bei ihm zum Ra(h)menprogramm.