„Komme 5 min. später, stehe im Stau! 🙂“ Eine solche Nachricht, oder zumindest so ähnlich, flatterte doch bei fast jedem schon einmal ins Postfach. Beim Blick aufs Smartphone oder auch in den PC fällt auf: unsere heutige schriftliche Kommunikation ist schnell, kurz und vor allem digital. Das ist vornehmlich den neuen Medien à la Whatsapp, Facebook oder der schon beinahe veralteten SMS geschuldet. Auswirkungen hat das aber nicht nur auf die alltägliche Kommunikation zwischen Freunden, sondern auch auf die Liebe, genauer: die schriftlichen Liebesbeweise. Kann heutzutage überhaupt noch von Liebesbriefen die Rede sein?
Seit der Antike gibt es bereits Liebesbriefe. Schon Seneca oder Horaz verfassten solche stark literarischen Botschaften. Mit dem Mittelalter kamen die Minnebriefe auf, mit denen die Herren in Reimform ihrer Angebeteten die Liebe gestanden. Auch im 13. Jahrhundert waren solche Briefe noch immer sehr literarisch und wurden zudem auf Pergamentstreifen geschrieben. Hundert Jahre später entstand eine Art Regelwerk, in dem die Stilistik in den entsprechenden Briefformen festgehalten wurde. Liebesbekundungen, so wie wir sie in unserer heutigen Zeit kennen, gab es im 14. Jahrhundert nicht. Lediglich die Anrede und die Verabschiedung ließen auf einen Liebesbrief schließen. Seit dem 18. Jahrhundert wurden die intimen Gefühle niedergeschrieben, die Codierung des „Regelwerkes“ aufgehoben. Von besonderer Wichtigkeit waren solche Liebesbekundungen zudem im 20. Jahrhundert. Vor allem während des Zweiten Weltkrieges waren sie der einzige Kommunikationsweg für die Soldaten und ihre Frauen. Der Liebesbrief bekam mit dem Aufkommen des Telefons eine erste Konkurrenz. Denn in den 1970er Jahren nutzten Verliebte (in Deutschland) auch diese Möglichkeit, um ihre Gefühle auszutauschen. Der Brief blieb dennoch erhalten. Auch durch das Telegramm oder die zweite ernstzunehmende Konkurrenz im 21. Jahrhundert – die E-Mail – ließ sich der Brief nicht verdrängen.¹
Dass diese Liebesbriefe in elektronischer Form häufig länger sind als handschriftlich verfasste, stellten jüngst Sprachforscherinnen der Universitäten Darmstadt, Mainz, Rostock und Koblenz fest.
„Liebesbriefarchiv“ dient als Korpus für genauere Forschung
Sie sammeln Liebesbriefe, um ein umfangreiches Korpus zu erstellen. Dieses soll „als Grundlage für die Erforschung des privaten, intimen Liebesbriefes von jedermann und jederfrau taugen“. Soll heißen: Es wird untersucht, ob sich die Art, Gefühle auszudrücken, im Laufe der Zeit gewandelt hat. Neben den Originalbriefen, können diese Liebesbotschaften auch in digitalisierter Form eingereicht werden. Aber auch E-Mail und Whatsapp-Nachrichten werden ins Archiv aufgenommen. Die Digitalisierung mache sich bemerkbar. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass das Liebesbriefarchiv auch in den sozialen Netzwerken vertreten ist. Auf Twitter (#LBriefarchiv) gibt es bislang 69 Follower, bei Facebook 102 Fans. In einem Interview sagte die Koblenzer Professorin Eva Wyss: „Der Liebesbrief ist tendenziell ein männliches Genre.“ (Sat.1) So wollen Frauen auch heutzutage noch erobert werden.
Liebesbriefe auf Bestellung – Die digitale Zeit macht’s möglich
Nun ist aber nicht jeder ein wahrer Poet und das leere Blatt füllt sich nicht von selbst. Oder vielleicht doch? Einen guten Rat, wenn die richtigen Worte fehlen, gibt es im Internet. So lassen sich einige Ratgeber zum Schreiben von Liebesbriefen finden. Gewisse Floskeln dienen als erste Anregung und auch inhaltliche Vorschläge sollen die Schreibblockade lösen. Wer dann immer noch Probleme beim Schreiben hat, stößt beim weiteren Suchen im Web auf virtuelle Unterstützung. Denn die digitale Zeit lässt scheinbar einstige Poeten wieder zum Leben erwecken. So müssen Verliebte nicht zwingend selbst zum Stift greifen, oder eben die Tasten betätigen. Sogenannte Liebesbriefgeneratoren nehmen die Schreib- und vor allem auch Denkarbeit ab. In wenigen Sekunden spuckt eine solche Plattform die Liebesbeweise aus. Damit die Liebste ihrem Verehrer nicht gleich auf die Schliche kommt, bieten solche Seiten die Möglichkeit, personalisierte Briefe zu generieren. Sogar für Fans des Mittelalters gibt es einen entsprechenden Generator.
Der erste Begegnungsort, die Haarfarbe der/s Liebsten und beispielsweise die Art des Schreibens können eingetragen bzw. ausgewählt werden, um eine möglichst authentische Nachricht für die/den Liebste/n zu erhalten. Wie lange dieser Schwindel geheim bleibt, darüber soll an dieser Stelle kein Urteil getroffen werden. Wohl aber darüber, dass ein solcher Generator die eigene Reflektion über die Liebste (oder andersrum) zu verhindern scheint. Denn: Kann eine Maschine die individuellen Gefühle erkennen und dadurch auch ausdrücken? Wohl eher nicht! Was entsteht, sind standardisierte Ausdrücke, in digitaler Form. Beim genaueren Hinsehen fällt aber auf, dass die Betreiber solcher Generatoren dieses Problem zu verhindern versuchen. Zum einen durch personalisierte Angaben (Name, Lieblingskleidungsstück, adjektivische Beschreibung des Partners, etc.), zum anderen aber auch durch diverse Spielereien wie die Auswahl eines bestimmten Layouts, der Hintergrund- und Schriftfarbe und gar das Einbringen einer Melodie. Die Plattformen Liebste.de bzw. Liebster.de machen solche Extras möglich. Auch der Schreibstil kann ausgesucht werden – direkt, freundschaftlich, aufopfernd oder beispielsweise geschäftlich-distanziert. Letztlich werden die persönlichen Angaben in einen Lückentext eingesetzt. Ob „Cyberito“, so heißt der virtuelle Poet dieser beiden Plattformen, damit den einstigen Schreibkünsten bekannter Schriftsteller wie Hölderlin oder Schiller wirklich Konkurrenz machen kann, ist fraglich. Ein Test bringt die Antwort 😉
Was bedeuten diese Neuerungen aber für die Zukunft der Überlieferung?
Der Stellenwert des Liebesbriefes scheint sich geändert zu haben. Kleine Liebesbotschaften werden bereits in der alltäglichen digitalen Nachricht verschickt. Vor allem für Digital Natives sind elektronische bzw. digitale Nachrichten gängiger als handschriftliche. Wird also künftig diese Art der Kommunikation noch aufgehoben? In der digitalen Welt sind „Briefe“ schnell gelöscht, sie verschwinden im Daten-Nirvana. Forschungen auf diesem Gebiet könnten dadurch nicht mehr, oder vielleicht nur noch bedingt, betrieben werden. Aber nicht nur ein Teil der Forschung ginge damit verloren, sondern auch ein Stück Kulturgeschichte.
Unser Tipp: In 244 Tagen ist Valentinstag. Selbst für die größten Freunde der digitalen Kommunikation unter uns sollte das genügend Zeit sein, um mit einem handgeschriebenen Brief zu überraschen.
Jana Leonhardt
¹ Vgl. Voland, Constanze: …scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Eine kurze Geschichte des Liebesbriefs. S. 2 ff. (URL: http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B4_2001_Voland.pdf ; Stand: 12.06.2015).