Wenn die Generation Online ins Off gezwungen wird – Ein Kommentar

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Sind die Online-Semesterapparate nächstes Jahr schon Geschichte, werden zahlreiche Studenten wieder haufenweise Bücher schleppen müssen. Bild: CC0 pixabay.com

Es ist höchstens ein leises Klappern, was man in Deutschlands Hörsälen neben den Stimmen der Lehrenden überwiegend wahrnimmt. Das Kratzen von Stiften über Papier oder das Umblättern von Buchseiten? Fehlanzeige. Statt Notizblöcken und Kugelschreibern nutzen wir mit immer größerer Vorliebe Laptops oder Tablets für unsere Aufzeichnungen – weil es in den meisten Fällen einfach so viel praktischer ist. Die Notizen sind schnell gemacht, trotz aller Eile leserlich, übersichtlich, und sollte man nachträglich etwas hinzufügen müssen, ist auch das stets ohne Platzmangel möglich. Doch das Beste daran? Direktes Einbinden von eigenen Notizen in Skripte oder Unterrichtsmaterialien, sodass alle Lerninhalte an einem Ort gesammelt sind, inklusive der integrierten Stichwortsuche. Und all das ist möglich durch die Bereitstellung von wissenschaftlichen Artikeln, Literaturauszügen und Skripten in den Online-Semesterapparaten unserer Universitäten – deren Existenz jedoch jetzt in Gefahr ist.

Die Online-Semesterapparate sind seit Jahren hart umkämpft. Die Streitfrage: Urheberrecht und Vergütung. Auf der einen Seite wissenschaftliche Verleger, Autoren und Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort, denen die Digitalisierung und Bereitstellung von Material, auch wenn es sich um eine passwortgeschützte Intranet-Plattform mit beschränktem Zugang handelt, ein Dorn im Auge ist; auf der anderen Universitäten, Dozenten und Studierende, deren Anliegen vor allem eines ist: eine konstruktive Forschung und die Vermittlung von Wissen. Zwischen diesen beiden Lagern gilt es, dringend einen Kompromiss zu finden, allerdings gestaltet sich das alles andere als einfach.
Gemäß §52a des Urheberrechtsgesetzes, der sogenannten „Intranetklausel“, die 2003 in Kraft trat und 2014 unbefristet im Gesetz festgeschrieben wurde, ist es Schulen und Universitäten gestattet, bis zu 12% eines urheberrechtlich geschützten Werkes zur nichtkommerziellen Nutzung öffentlich zugänglich zu machen, allerdings nicht mehr als 100 Seiten des Gesamtwerkes, sofern der Rechteinhaber den Nutzern keine Lizenz für die Online-Nutzung angeboten hat. Diese Klausel schließt auch eventuell erforderliche Vervielfältigungen mit ein, führt allerdings als Bedingung die Zahlung einer angemessenen Vergütung an. An genau dieser angemessenen Vergütung scheiden sich jedoch die Geister.

Die Zahlungen an die Rechteinhaber, vertreten durch die VG Wort, wurden für die Jahre 2004 bis 2015 durch eine Pauschale geregelt. Nach mehreren Gerichtsprozessen im Jahr 2015, verfolgt die VG Wort nun allerdings das Ziel, eine nutzungsbezogene Abrechnung für die Bereitstellung dieser Materialien durchzusetzen: Das hätte zur Folge, dass Dozenten jede einzelne Seite ihres Skriptes auf urheberrechtlich geschützte Textauszüge (auch Zitate) durchsuchen, diese melden und gesondert abrechnen müssten.
Diese Vorgehensweise gestaltet sich in der Realität ganz genau so, wie es in der Theorie klingt: furchtbar umständlich und von hohem bürokratischen Aufwand begleitet. Die Universität Osnabrück, die mittels eines Pilotprojektes das von der VG Wort angedachte Meldesystem im Wintersemester 2014/15 testete, kam abschließend zu dem Entschluss, dass der organisatorische Aufwand nicht nur unangemessen hoch war, sondern auch die Dozenten gänzlich von der Nutzung abschreckte. So würden sie nur noch etwa ein Viertel der Menge meldepflichtigen Materials bereitstellen, und den Studenten stattdessen Literaturlisten zukommen lassen, sodass diese sich die einschlägigen Werke selbst besorgen müssen. Die Universität sieht darin die Gefahr einer Rückkehr in die Kreidezeit und in der „verringerte[n] Nutzung von elektronischen Lehrmaterialien“ einen „großen Rückschritt und auch Wettbewerbsnachteil für das deutsche Hochschulsystem“. Oh, und „einen deutlichen Anstieg der Arbeitsbelastung für Studierende“.

Die Lösungsansätze für dieses Problem erscheinen auf den ersten Blick vielfältig. Der Stuttgarter E-Vertriebsdienstleister Booktex bietet mit seiner Plattform www.digitalersemesterapparat.de beispielsweise eine Möglichkeit, Texte, die nicht vom §52a eingeschlossen werden, zur Nutzung zu lizenzieren. Einige Verlage haben sich bereits zur Zusammenarbeit bereiterklärt und ihre Titel gegen eine monatlich zahlbare Gebühr verfügbar gemacht, aktuell umfasst die Datenbank knapp 45.000 Werke. An anderer Stelle wird über eine generelle Überarbeitung des Wissenschaftsurheberrechts diskutiert, allerdings laufen die Entwicklungen weiterhin schleppend. Für das Jahr 2016 haben sich Kultusministerkonferenz und VG Wort nochmals auf eine Pauschalzahlung geeinigt – was jedoch nur bedeutet, dass die Diskussion pünktlich zum Jahresende erneut aufgerollt werden dürfte, vielleicht mit einer praktikableren Lösung, vielleicht auch nicht. Schon im kommenden Jahr könnte es also an vielen deutschen Hochschulen bittere Realität sein, dass Dozenten auf die Einrichtung von Online-Semesterapparaten verzichten.

Was man inmitten aller Diskussionen jedoch nicht außer Acht lassen sollte: Letztendlich sind wir Studierenden die Leidtragenden von ewig verschleppten Entscheidungen und bürokratisch komplizierten Genehmigungsverfahren. Wir erzielen keinen Profit, wir wollen lernen. Wir bemühen uns. Wir sind die „Digital Natives“: Wir stellen uns jeden Tag den Herausforderungen der Digitalisierung, anstatt sie nur zu beobachten. Und wir schlagen uns gut. Bitte legt uns keine unnötigen Steine in den Weg.

Daniela Kratz

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