Letzte Woche kündigte Digitur die lit.RUHR, einen Ableger der lit.Cologne im Ruhrgebiet, mit Vorfreude an. Doch schnell erreichten die Redaktion erste kritische Kommentare zu dem fünftägigen Literaturfestival. Dabei geht es nicht um die lit.RUHR als Event an sich – dass hier vermutlich interessante Autoren auftreten werden, das will niemand bestreiten. Doch die Art und Weise, wie die lit.RUHR auf den Weg gebracht wurde und wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wird, stört viele Mitglieder der Literaturszene im Pott – denn fast erscheint es so, als würde es hier bisher gar keine Literaturszene geben. Dass es im Ruhrgebiet auch vor dem Festival schon viele Literaturveranstaltungen mit namenhaften Autoren gegeben hat, scheint vernachlässigt zu werden. Besonders aktive Organisatoren solcher Veranstaltungen sind in Essen Beate Scherzer von der Buchhandlung Proust und Norbert Wehr von der Literaturzeitschrift Schreibheft. Wir haben die beiden zu ihren Bedenken gegenüber der lit.RUHR befragt.
„Für unsere Kunden und literaturbegeisterte Menschen veranstalten wir und Norbert Wehr von der Literaturzeitschrift Schreibheft seit nun fast dreißig Jahren Lesungen mit namhaften AutorInnen aus aller Welt, darunter mehrere Literatur-Nobelpreis-TrägerInnen; Gespräche mit Herausgebern und Übersetzern finden genauso statt“, erklärt Beate Scherzer, „und wir sind nicht die einzigen Veranstalter im Ruhrgebiet, die das ganze Jahr über für und mit der Literatur streiten. Insofern kann und will ich gar nichts dagegen haben, wenn es einmal im Jahr für fünf Tage noch mehr brummt rund um die Literatur. Was mich stört, ist die Art und Weise mit der von Köln aus das Ruhrgebiet erobert werden möchte, weil ja bisher namhafte Autoren höchstens durch das Ruhrgebiet hindurch oder herumgefahren seien. Vor und nach den 5 Tagen im Oktober machen wir anderen alle an den restlichen 360 Tagen unsere Arbeit, die im Übrigen Spaß macht.“
Schreibheft-Herausgeber Norbert Wehr hat hier eine ähnliche Meinung. Ihm ist es wichtig, dass die Kritik nicht rüberkommt, als sei er gegen Literaturveranstaltungen im Ruhrgebiet. Auch die Idee eines großen Festivals stört ihn an sich nicht. Doch dass dieses von außen eingekauft wird, hat für viele einen bitteren Beigeschmack. „Es wäre schöner, wenn so etwas aus der Region selbst entstanden wäre, in Zusammenarbeit mit den Leuten, die sich hier schon immer für die Literatur einsetzen. Doch so etwas wurde von der Essener Kulturverwaltung und den anderen Sponsoren nie unterstützt.“ Insgesamt 500.000 Euro fließen von verschiedenen regionalen Sponsoren in die lit.RUHR, davon werden unter anderem 75 Autoren bezahlt, die über fünf Tage verteilt auftreten. Wehr befürchtet, dass dieses Konzept die kontinuierliche Literaturarbeit im Ruhrgebiet erschweren könnte. In den Verträgen des Festivals sei vorgesehen, dass die Autoren drei bis vier Monate vorher nicht im Ruhrgebiet auftreten. „Viele dieser Autoren hätten wir auch einzeln anfragen können und mit ihnen ein Programm füllen, das sich über das Jahr hinweg erstreckt. So werden in wenigen Tagen nicht nur viel Geld, sondern auch viele potentielle Lesungen verbraten, was natürlich sehr schade ist.“
Johanna Böhnke