„Last Christmas“ in Dauerschleife, Schnäppchen shoppen am Black Friday, Streitgespräche beim Familienbesuch – die (Vor-)Weihnachtszeit gibt tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Dass der Mensch ein „vernunftbegabtes Wesen“ ist, ist oft, aber nicht immer ein Segen. Darum geht es auch in unseren neuesten Buch-Empfehlungen. Evas Lese-Tipp jagt den Leser*innen Schauer über den Rücken. Karoline stellt ein Buch vor, das zwei Liebenden mit verschiedenen sozialen Hintergründen folgt. Und ich, Elena, lege euch einen Roman ans Herz, der zu Recht zu den Beststellern des Jahres zählt. Neugierig geworden? Viel Spaß beim Lesen!
Evas Empfehlung: Kosmetik des Bösen von Amélie Nothomb
Ein Buch, das düster ist und witzig, passt bestens in die dunkle Jahreszeit. Diese Kombination gelingt Amélie Nothomb mit ihrem Roman Kosmetik des Bösen ganz hervorragend. Auf knapp über 100 Seiten, die fast ausschließlich aus Dialog bestehen, spinnt die belgische Autorin ein Gespräch zwischen dem Geschäftsreisenden Jérôme Angust und Textor Texel, einem aufdringlichen Fremden.
Während Angust am Flughafen einen verspäteten Abflug erwartet, gibt Texel schauerliche Geschichten aus seinem Leben zum Besten. Angusts Versuche, den ungebetenen Gesprächspartner abzuwehren, bleiben erfolglos. Beharrlich erzählt sein Gegenüber Ungeheuerlichkeiten über sich selbst und übertrumpft sich dabei zunehmend. Bis zur unvermeidlichen Eskalation.
Dank der feinfühligen Übersetzung von Brigitte Große entfaltet das Wortgefecht auch im Deutschen seine Wirkung. Kosmetik des Bösen ist das passende Buch für alle, die sich in den
kleinen, ruhigen Momenten zwischen Bescherung und Familienbesuch, Weihnachtsfilm und
Dinnervorbereitungen nach einem kurzweiligen Grausen sehnen.
Diogenes 2005, 112 Seiten, Taschenbuch 11,00 Euro
Karolines Empfehlung: Normal People von Sally Rooney
Normal People ist die Geschichte von Marianne und Connell. Wir begleiten beide vom Ende der gemeinsamen Schulzeit bis hin zur Uni und dem Campusleben. Wir sind dabei, wie sie sich kennenlernen und vor allem wie sich ihre Beziehung zueinander verändert. Mal haben sie keinen Kontakt, sind Freunde oder führen eine Beziehung, aber immer lieben sie sich.
Während Connell Sohn einer alleinerziehenden Mutter mit finanziellen Problemen ist, wächst Marianne mit häuslicher Gewalt in ihrer Familienvilla auf. Dabei genießt Connell Beliebtheit in der Schule der beiden, Marianne fliegt eher unter dem Radar, wenn sie nicht sogar Außenseiterin ist. Der Auftakt ihres besseren Kennenlernens ist der Moment eines ersten Gesprächs, wenn Connell seine Mutter, die bei Marianne zu Hause arbeitet, dort abholt.
Marianne und Connell werden zusammen erwachsen und merken dabei, dass sie nicht ohneeinander können. Neben all den normalen Schwierigkeiten der beiden kommt eine Story zusammen, die eine Mischung aus heartbreaking und heartwarming ist.
Faber & Faber 2019, 304 Seiten, Taschenbuch 11,50 Euro
Meine Empfehlung: Die Anomalie von Hervé Le Tellier
Stell dir vor, es gäbe dich plötzlich doppelt. Einen Klon, der nicht nur aussieht wie du, sondern auch deine Persönlichkeit, deine Erinnerungen hat. Wärst du bereit, dein Leben mit dir selbst zu teilen? Darum geht es im Roman Die Anomalie von Hervé Le Tellier.
Eine Anomalie ist es, die dazu führt, dass ein ganzes Flugzeug samt Insassen dupliziert wird. Die Story klingt nach klassischer Science Fiction, doch sie spielt nicht in der Zukunft. Die Flugzeug-Kopie landet landet zwei Monate nach dem originären Flugzeug. Die Behörden gehen auf Nummer Sicher und schotten das zweite Flugzeug zunächst von der Öffentlichkeit ab. Doch der Zeitpunkt kommt, an dem die „Klone“ nicht länger versteckt werden können und auf ihre „Originale“ treffen. Das löst eine Überforderung aus, mit der jede*r der Protagonist*innen anders umgeht.
Die Menschen aus dem geklonten Flugzeug erfahren, wie radikal sich das Leben in nur zwei Monaten ändern kann. Sie müssen erkennen, dass manches unteilbar ist – und dass ihre Existenz die Gesellschaft spaltet. Die Leser*innen tauchen u.a. in die (Doppel-)Leben eines Auftragskillers, eines Architekten und eines Autors ein. In dem Erfolgsroman aus Frankreich schafft Le Tellier Spannung bis zur letzten Seite und verhandelt dabei wichtige ethische Fragen.
Passionierte Spaziergängerin und Tofu-Tante mit einem Faible für Alliterationen. Schreibt gelegentlich Gedichte und mag es, wenn Bücher ihre Gedanken wegtragen. Am liebsten in der Hand: ein Roman mit Witz und Wortgeschick. Ansonsten: feministische Literatur, Reisegeschichten und Sachbücher. Die durch das Lesen erlangten Lebensweisheiten teilt sie natürlich gerne mit euch.