In der kleinen Wohnung, in der Fatih Çevikkollu mit seinen zwei Brüdern und seinen Eltern aufwuchs, stapelten sich die Umzugskartons. Nicht etwa, weil die Familie erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen war und noch keine Zeit zum Auspacken gehabt hatte, sondern weil sie ihre baldige Rückkehr in die Türkei plante. Fatih Çevikkollus Eltern verpackten alles, was sie sich in Deutschland als sogenannte ‚Gastarbeiter‘ erarbeitet hatten, in Kartons, um es für ihr späteres Leben in der Türkei aufzusparen.
„In vielen Religionen winkt das Paradies, wenn man sich vorher gut verhält. Für die Arbeitsmigrant:innen winkt die paradiesische Heimat, wenn man vorher brav schuftet.“
Migration und psychische Krankheiten
Zum Rückzug der Familie kam es jedoch nie. Allein Fatih Çevikkollus Mutter zog um 2000 ins türkische Mersin, nachdem sie psychisch krank geworden war. Mit ihrem Tod beginnt Fatih Çevikkollu, sich Gedanken darüber zu machen, ob ein Zusammenhang zwischen der Migration seiner Eltern und der psychischen Krankheit seiner Mutter bestehen könnte. Denn auch wenn Migration allein keine psychischen Krankheiten auslöst, leiden Einwander:innen und ihre Nachfahren überdurchschnittlich häufig an psychischen Erkrankungen.
Anekdotenhaft erzählt Fatih Çevikkollu von seiner Kindheit, die geprägt war von Teilnahmslosigkeit und Gewalt im Elternhaus sowie einer gesamtgesellschaftlichen Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen. Außerdem spricht der Schauspieler und Kabarettist mit Weggefährt:innen seiner Eltern, um nachvollziehen zu können, wie es zur Krankheit seiner Mutter kam.
Kartonwand stößt eine längst überfällige Diskussion über Arbeitsmigration, psychische Erkrankungen und vererbte Traumata an.
Kartonwand ist für 18,00 € bei Kiepenheuer & Witsch erhältlich.