Dass die PoetrySlam-Szene in Deutschland seit Jahren pulsiert und sich immer größerer Beliebtheit erfreut, ist nicht neu. Längst werden die selbstgeschriebenen Texte der jungen Slamerinnen und Slamer nicht mehr nur beim literarischen Dichterwettstreit vorgetragen, sondern können auch in traditioneller Buchform erstanden werden. Mit „Eines Tages, Baby“ hat PoetrySlam-Shootingstar Julia Engelmann, die einst durch ein YouTube-Video bekannt wurde, nun auch ihr erstes Werk veröffentlicht – und schaffte damit den Sprung vom Internetphänomen zur gedruckten Autorin.
Vom massenkompatiblen Internetphänomen zur waschechten Autorin
Ihr fünfminütiger lyrischer Aufruf, das Leben zu leben und „Dopamin zu vergeuden“, den sie Anfang Mai 2013 im Bielefelder Hörsaal wie ein Manifest vor rund 1200 Zuschauern zum Besten gab, verbreitete sich in Windeseile über die sozialen Netzwerke und wurde millionenfach geliked, geteilt und kommentiert. Das Video der blonden Psychologiestudentin aus Bremen rief einen wahren Internet-Candystorm hervor und verstopfte wochenlang alle Timelines und Pinnwände. Bis heute wurde ihr Slamtext „One Day/Reckoning Song“, der auf dem Song des israelischen Sängers Asaf Avidan basiert, über sechs Millionen Mal angeschaut.
Doch wieso löste der Auftritt der jüngsten Abiturientin Bremens eigentlich einen solchen Hype aus? Wer über sechs Millionen Klicks mit schlichten „Carpe Diem“-Weisheiten (Neudeutsch auch gerne mal YOLO genannt) erreicht, muss wohl massenkompatibel sein. Die Antwort scheint also denkbar einfach: Ihre Worte treffen den Nerv der Zeit. „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein und all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können“, resümiert Engelmann in ihrem Text. Sie wendet sich an eine Generation der Anfang 20-Jährigen, die paralysiert in die Zukunft starren und lethargisch, feig und mutlos durchs Leben gehen, statt endlich zu leben. Eine Generation, die sich selbst die Schuld für ihr Unglück gibt und von Verpassensangst und Selbstbetrug gezeichnet ist. „Unser Leben ist ein Wartezimmer, und niemand ruft uns auf“. Oder: „Mach ich später ist die Baseline meines Alltags.“
Frisch gedruckt: „Eines Tages, Baby“ jetzt auch als Buch erhältlich
Der Text der jungen Bremerin scheint geradezu prädestiniert für den Buchmarkt und so ist es auch nicht überraschend, dass „Eines Tages, Baby“ – wie schon viele Texte anderer Slamer zuvor –schließlich Mitte Mai in gedruckter Form erschien. Auf rund 100 Seiten im Taschenbuchformat findet man neben „One Day/Reckoning Song“ auch Gedichte, die vor der Zeit ihres Erfolges entstanden und von eigenen Illustrationen begleitet werden. Mit der Veröffentlichung von „Eines Tages, Baby“ brach – wie zu erwarten – ein erneuter Hype um Engelmanns Texte aus. Etliche Menschen schickten Engelmann ein Foto, sobald sie das Erstlingswerk in den Händen hielten. Eine Collage kann man auf ihrer Facebookseite betrachten.
„Eines Tages, Baby“ ruft auch Kritiker auf den Plan
Trotz des Erfolges, den „Eines Tages, Baby“ verbuchen konnte, steht Engelmanns Werk stark in der Kritik. Die einen werfen ihr Nichtigkeiten vor, die anderen kritisieren Engelmanns Kalkül und die bis in die Spitzen einstudierte Inszenierung. „Ein bisschen klingt Engelmanns Text wie ein stundenlang einreduziertes Hesse-Gesamtwerk“, schreibt David Hugendick von zeit.de. Am Ende bliebe von der Botschaft doch nur eine schlichte „Carpe Diem“ Weisheit übrig, die im Grunde auch nichts anderes als das allseits beliebte „YOLO“ (You only live once) aufgreife. Außerdem sei Engelmann, die rund zwei Jahre Schauspielerfahrung in einer RTL-Soap sammelte, ein wahrer Bühnenprofi, meint die SZ. War ihr Auftritt im Bielefelder Hörsaal also eine detaillierte und exakt kalkulierte Inszenierung? An dieser Frage scheiden sich die Geister.
Wer die nächste Erfolgswelle in Sachen PoetrySlam reiten und ob es vielleicht Engelmann mit ihrer zweiten Veröffentlichung sein wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist aber eins: Das nächste PoetrySlam-Buch kommt bestimmt.
Anne Lenhardt