Das Weblog als digitale Spezies

CC-BY-NC-SA 4.0 Kristina Petzold

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Die meisten Weblogs sind auch nur Texte – oder? Aber was genau zeichnet sie dann als ‚digitale‘ Textsorte aus? Und überhaupt: Was ist eigentlich ein Weblog?

Laut Ruth Page, die aktuell zu digitalen Erzählformen forscht, sind Weblogs zuallererst „pages in which dated entries appear in reverse chronological order“ (Page 2014: 42). Meistens wird diese Standard-Definition noch um fakultative Aspekte ergänzt.  Jill Walker führt beispielsweise noch an: „Typically weblogs are published by individuals and their style is personal and informal.“ (Walker 2005: 45). Nick Montfort betont außerdem die besondere kommunikative Funktion von Blogs: „[I]t is typically a forum for one or more people to post texts and images dealing personal matters, or to link to other pages on the Web for purposes of critique or discussion.“ (Montfort 2007: 184)

Ruth Page selbst unterscheidet Weblogs außerdem nach ihrer Funktion in „knowledge-management tools, which filter information, or personal blogs, which are used to document and reflect on the blogger’s life history.“ (Page 2014: 42) Diese Kategorien nutzt auch Jan Schmidt und ergänzt noch eine dritte: ,Weblogs in der Organisationskommunikation‘ (Vgl. Schmidt 2006: 95), also PR-Blogs.

Die Definitionen stammen aus dem Zeitraum von 2005 bis 2014 und zeigen, dass die Kerneigenschaft von Weblogs, ihre umgekehrt-chronologischen Ordnung, seit ihrer Entstehung in den späten Neunzigerjahren (Vgl. Page 2014: 42) gleich geblieben ist. Weblogs werden heute aber zunehmend professioneller. Während Jan Schmidt noch „intrinsische Motive“ (Schmidt 2006: 43) als häufigste Motivationen nachwies und die Zahl der tagebuchartigen Weblogs 2003 auf siebzig Prozent schätzte (Vgl. Schmidt 2006: 69), beschreibt Ruth Page heute Bloggen als stärker politisch orientierte Praxis des „citizen journalism“ (Page 2014: 43). Die Funktion von Blogs als Peer-to-Peer-Kommunikationskanäle hätten inzwischen andere soziale Medien (Page 2014: 43), wie Facebook, übernommen.

Die große Vielfalt in der Blogosphäre dürfte dabei niemanden wundern. Immerhin ist das Internet ein Medium, das sich und damit auch seine Formen ständig verändert. Jan Schmidt konnte zeigen, dass Texte im Netz permanent zwischen dem „Institutionalisierungsprozess“ (Schmidt 2006: 66) der „prozeduralen Regeln“ (Schmidt 2006: 45) und deren Dekonstruktion durch „Innovation“ (Schmidt 2006: 66) oszillieren; sie also einer stetigen Veränderung unterliegen und dadurch wachsende Vielfalt hervorbringen.

Aber was ist nun so digital an diesen Texten in falscher Reihenfolge?

Die Besonderheiten der digitalen Literatur hatten wir auf Digitur schon in Augenschein genommen. Alle Faktoren treffen letztendlich auch auf Weblogs zu:

  1.  Die visuelle Ebene: Jeder Weblog-Hoster bietet als individualisierbare Grunddesigns eine Auswahl an Templates an, die dem eigenen Blog ein ganz bestimmtes Aussehen verleihen.
  2. Die Nicht-Linearität durch Hyperlinks: Die gibt es natürlich auch in Weblogs. Zusätzlich können auch Tagclouds Texte thematisch in Beziehung setzten und somit neue, nicht-lineare Textzusammenhänge schaffen.
  3. Die Beteiligung an Mitschreibeprojekten: Das Weblog an sich ist schon ein ‚Mitschreibeprojekt‘ im Sinne des User Generated Content. Kollektive Blogprojekte entsprechen der Forderung natürlich noch stärker.
  4. Die Multimedialität: Nicht nur wir können Video 😉

Es gibt aber noch eine weitere Eigenschaft: Viele Weblogs erzählen Geschichten, selbst wenn sie Textformen enthalten, die nicht besonders erzählerisch, also narrativ, sind. Ein Beispiel aus dem anonymen Foodblog „Kochtopf“:

Seit ich vor 2 Jahren den Knödel-Workshop bei Ingrid Pernkopf gemacht habe, möchte ich Knödel machen. Mit guten Tipps und Knödel-Kochbuch wäre ich ja ausgestattet, aber irgendwie habe ich mich immer davor gedrückt. Sogar bei Wolfgangs rundem Event habe ich Eiskugeln statt Knödel gemacht. Damit ist jetzt aber Schluss, gestern habe ich die zweiten Knödel in meinem Leben gemacht.

Diese Geschichte hat eine Protagonistin, einen Anfangszustand (Knödelrezept wird erlernt) und einen (Happy)-End-Zustand (Knödel wurden selbst gemacht). Trotzdem ist sie unter der Rubrik ,Rezepte‘ eingeordnet.

Nach dem erzähltheoretischen Modell von Wolf Schmid gehört ein Kochrezept aber zu den deskriptiven, also den statischen Texten. Darin wird keine Zustandsveränderung beschrieben (Vgl. Schmid 2008: 10). In Weblogs scheinen also, wie das Beispiel zeigt, deskriptiven Textformen (Kochrezepten, Bastelanleitungen oder auch wissenschaftlichen Erörterungen) durch den Blogger narrative Signale hinzugefügt zu werden. Dabei gibt es (entsprechend des Schmid-Modells) zwei Möglichkeiten, die auch in Kombination auftreten können: einerseits die Dynamisierung von Texten im Sinne einer gesteigerten Ereignishaftigkeit und andererseits die Personalisierung von Texten durch eine Verstärkung der erzählenden Stimme. Beides findet man auch im Knödel-Beispiel.

Aber welchen Grund gibt es für eine solche Narrativierung?

Ein Vorschlag:
Der freie Zugang zu einem eigenen Weblog führt zu Problemen der Glaubwürdigkeit und Verifizierbarkeit des Autors. Diese Probleme werden in Weblogs oft mit einer starken Bindung an eine möglichst authentische Persönlichkeit des Bloggers kompensiert. Jan Schmidt bezeichnet in Weblogs die „authentische Stimme“ als „wichtigste Publikationsregel“ (Schmidt 2006: 65). Sicher hängt diese Forderung nach Authentizität aber auch mit der Positionierung innerhalb der Community zusammen. Eine authentische Stimme wird nun erzeugt, indem beispielsweise Informationen als selbst Erlebtes markiert werden. Und eine Erzählung aus dem Alltag kann eben genau das bewirken.

Kristina Petzold


Literatur:
Montfort, Nick: „Narrative and digital media“, in: David Herman (Hrsg.): The Cambridge companion to narrative. Cambridge 2007, S. 172-188.
Page, Ruth: „Blogs”, in: Marie-Laure Ryan, Lori Emerson, Benjamin J. Robertson (Hrsg.): The Johns Hopkins Guide to Digital Media. Baltimore 2014. S. 42-45.
Schmid, Wolf: Elemente der Narratologie, 2., verbesserte Auflage, Berlin und New York 2008.
Schmidt, Jan: Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie, Konstanz 2006.
Walker, Jill: „Blog (Weblog)”, in: David Herman, Manfred Jahn, Marie-Laure Ryan: Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London und New York 2005, S. 45.

3 Kommentare

  1. Danke für diesen kurzen aber dennoch fundierten Überblick zum Thema „weblog“. Als Leser bzw. Laie im Bereich der digitalen Literatur fühle ich mich nun besser informiert, besonders da man häufig beim Surfen im Internet auf Blogs stößt, aber im Grunde genommen wenig bis kein Hintergrundwissen über den wissenschaftlichen Kontext dieser Literaturform hat.

    • Wie schön, dass Ihnen der Text weitergholfen hat! 🙂 Ich kann übrigens sehr gut verstehen, was Sie mit Ihrer Erfahrung beim Surfen meinen. Gerade wegen der vielen Mischformen weiß man oft gar nicht auf den ersten Blick, womit man es zu tun hat. Zum Beispiel, ob es ein Webzine oder ein Weblog ist, wie viele Autoren dafür schreiben, was das Ziel einer Seite ist. Und dahinter steht ja auch immer die Frage, was von mir als Leser erwartet wird, welches Maß an Beteiligung zum Beispiel. Bestimmt wird da auch in den nächsten Jahren noch einiges an neuen Formen entstehen. Darauf bin ich sehr gespannt.

      • Genau diese Diskrepanz, die sie in ihren Beispielen anführen, macht es für mich, als Konsumenten eines Blogs, schwierig einen Überblick zu finden.Daher ist meine Verweildauer auf solchen Internetseiten auch nur von kurzer Zeit. Ich bin ebenfallls gespannt, in welche Richtung sich diese Form der digitalen Schreibart weiterentwickelt.

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