Schauspielintendant Kay Voges inszeniert erneut eine Oper. Nach seinem viel diskutierten Operndebüt Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg und Der Freischütz an der Staatsoper Hannover geht er in Dortmund in die nächste Runde. Seit dem 23. April 2017 steht die Minimal Oper Einstein on the Beach von Robert Wilson und Philip Glass auf dem Spielplan. Musikalische Unterstützung bekommt der Regisseur dieses Mal vom ChorWerk Ruhr und Florian Helgath, der die musikalische Leitung übernimmt.
Jüngst wurde Voges’ Inszenierung Die Borderline Prozession zum Theatertreffen 2017 in Berlin eingeladen. Nach der erfolgreichen Theater-, Musik-, Kunst- und Filminstallation erfolgt nun das nächste mediale Gesamtkunstwerk. Dass sich der Einsatz digitaler Technik schon seit einigen Jahren seinen Weg auf Deutschlands Theaterbühnen bahnt, stellt wohl niemand mehr in Frage. Jedoch zu zaghaft, wie der britische Theatermacher Marcus Romer zuletzt noch im Zuge der Tagung des größten europäischen Theaternetzwerks ETC kritisierte. Die Steuerung beschränke sich bisher meistens auf Licht, Ton und Bühnentechnik, so Romer.
Und als hätte Voges darauf eine Antwort gefunden, lautet sein Schlachtplan in seinem gegenwärtigen Forschungslabor: „Alles steuert die Musik“. „Lange unterlagen die Aufführungsrechte Glass oder Anhängern von Glass, Dortmund darf als erste Spielstätte nach eigenem Konzept inszenieren“, verrät Dramaturg Georg Holzer. Einstein on the Beach zählt zu den markantesten Opern des 20. Jahrhundert, obwohl ein wichtiges Element fehlt: eine zusammenhängende Geschichte. Die Ebene einer typisch dramaturgischen Kausalität entfällt und stattdessen reihen sich Assoziationen aneinander, es entsteht eine Art Happening. Klang, Sprache und visueller Eindruck vereinheitlichen sich. Die Texte werden eher zu einem Rhythmus von Sprache und verschmelzen mit der Musik, der Gesang wird in Form von Daten weiterverarbeitet und visuell umgesetzt. Die Stimmen der Sänger werden über verschiedene Kanäle als Signal gesendet und können verschiedene Prozesse triggern.
Mit von der Partie sind wieder Medienkünstler vom Schauspiel Dortmund und aus Berlin, die bereits vergangenen Sommer angefangen haben für die Inszenierung zu programmieren. „Mit einem Computer Videos abzuspielen ist ja mittlerweile Standardware, aber wir wollten was anderes machen in Verbindung mit der Musik. Und dann kam schnell der Gedanke, dass Audioreaktivität zum Prinzip dieser Inszenierung werden soll. Alles hängt miteinander zusammen und das, was entsteht, ist nicht nur ein Abspielen von Videos, sondern wenn ein Ton gespielt wird, soll die Frequenz visuell sichtbar werden“, erklärt Medienkünstler Mario Simon vom Schauspiel Dortmund.
Es gibt kein Sample, das wiederholt wird, stattdessen erzeugen die Mitwirkenden, die Wiederholung zu jeder Aufführung erneut und das bedeutet Arbeit. „Ich bin mir darüber bewusst, dass diese Inszenierung einen Kraftakt bedeutet und ich will, dass man am Ende die Arbeit und die Anstrengung in den Gesichtern der Sänger sehen kann“, so Voges. Neben vorher aufgenommenem Footage-Material erfolgt diese Sichtbarmachung auf der Bühne (Pia Maria Mackert) mithilfe von verschiedenen Kameras. Neben PTZ-Kameras (Pan-Tilt-Zoom-Kameras) und einer Live-Kamera, liefern Kinect-Kameras Tiefeninformationen, die wie das andere Material manipuliert und durch vorherige Programmierung verändert werden können.
Auch die Kostüme (Mona Ulrich) werden teilweise über die Musik gesteuert. Der Chor trägt zunächst LED-Stripes, die auf Bodys befestigt sind. Je nachdem was gesungen wird, entstehen verschiedene Muster auf den Körpern der Chor-Solisten. Ähnliches gilt bei den Panzer-Kostümen, die ihre Lichtstärke je nach Gesangsintensität variieren können und per WLAN ansteuerbar sind.
Wer sich selbst einen Eindruck von den klingenden Bildern machen möchte, kann dies noch am 28.4., 04.05., 13.05. und 04.06. tun, denn wie es zu Beginn der Aufführung schon in der Übertitelung heißt: Es gibt nichts zu verstehen, aber viel zu erleben.
Chantal Otterbein