Sexismus, Feminismus. Fremdbestimmung, Selbstbestimmung. Dieses Jahr wurde wieder viel über Machtverhältnisse und digitale Überwachung auf der re:publica diskutiert. Oder? So liest man in manchen Berichten über die re:publica, dass gerade die Diskussionen fehlten, die den Kongress doch eigentlich immer zu etwas Besonderem machen. Wir wären gerne dieses Jahr dabei gewesen, doch ein voller Seminarplan, ein Nebenjob und wenig Geld in der Tasche hielten uns davon ab. Nichtsdestotrotz haben wir die Konferenz online gespannt verfolgt. Über eine scheinbar vorherrschende Konsenskultur können wir nicht viel sagen, wenngleich auch im Stream zu erkennen war, dass sich die Redner doch wirklich immer sehr einig zu sein schienen. Manche waren sich dabei ihrer Rolle auf der Bühne auch durchaus bewusst, wie der Schriftsteller Marc-Uwe Kling, der seine Funktion als die des Köders bezeichnete.
In der Veranstaltung „Freundeskreis Freiheit (im Netz) – Die freundliche Verweigerung“ drehte sich alles um das Projekt p≡p (pretty easy privacy), welches von der Schriftstellerin Sibylle Berg, die im digitalen Netz selbst sehr aktiv ist, und dem Schriftsteller Marc-Uwe Kling unterstützt wird.
„Es reicht.
Wir haben es mit politischen Mitteln versucht,
mit Petitionen, offenen Briefen, mit Demonstrationen.
Wir haben Witze gemacht, und Sketche, wir haben Artikel geschrieben
und unsere Computerkamera abgeklebt.
Wir haben ignoriert oder aufgegeben.
Es wird schon gut gehen – haben viele gedacht
Aber
Nichts wird gut. Nichts verändert sich. Es wird:
Schlimmer.“
So heißt es im Manifest der Genossenschaft von p≡p. Sie wollen die Verschlüsselung von Kommunikation im Netz und zwar für jeden. Ganz leicht, ohne großen Aufwand, ohne technisches Wissen. Dafür entwickeln sie (das sind u. a. Nana Karlstetter, Andreas Buff und Hernâni Marques) eine Software, die bald für jeden kostenfrei zur Verfügung stehen soll. Die Verschlüsselung von Mails und Messenger-Diensten soll mit dieser Software zukünftig ganz automatisch ablaufen. Sie sehen das Problem, dass kaum jemand heute noch hinterfragt, was wir eigentlich alles preisgeben, sobald wir uns im Netz bewegen. Auch dann noch, wenn der Laptop längst zugeklappt ist. Welche Notwendigkeit solchen Projekten zugrunde liegt, verdeutlichen die Redner an fiktiven und realen Fallbeispielen. Professor Dirk Helbing von der ETH Zürich spielt vor, was die CIA mithilfe von Kameras, Computern, Smartphones oder der Smart Watch über ihn bereits wissen könnte. Alles ist verzeichnet. Wir leben in einer Algorithmus-gesteuerten Gesellschaft. Wir sind die Ware, heißt es. Im Hintergrund laufen Bewegtbilder ab. Ausschnitte aus der Serie „Black Mirror“. Bilder von Überwachungskameras. Sie untermalen das Gesagte auf der Bühne. Wir müssen endlich mal anfangen zu hinterfragen, was das Netz mit uns macht, ist der Tenor. Die Literatur hat damit schon längst begonnen, doch auch außerhalb der Künste müssen wir es selbst angehen, dass das Netz uns nicht kaputt macht, denn das Internet ist bereits kaputt!
Kaputt macht das Netz uns auch anderweitig. … Ja natürlich, der Digitalisierung wird auch ein politischer Moment zugeschrieben. Revolte im Netz. Demokratie. Freier Meinungsaustausch. Das sind nur wenige Begrifflichkeiten, die im Zuge der Digitalisierungsdebatte immer wieder fallen. Zugleich heißt es auch Pseudoanonymität. Das Internet basiert auf der Sprache. Nicht nur der Programmiersprache, sondern auch der uns vertrauten. Mit der Sprache haben sich Thea Dymke, Projektmanagerin am Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum, und Änne-Marthe Kühn, Dramaturgin, in der Veranstaltung „Reading #metoo“ beschäftigt. „Es ist Zeit, sich anzuschauen, wie wir über Männer und Frauen, Körper und Sex und Sexismus sprechen – online und offline“, sagen sie und zitieren aus literarischen Werken, journalistischen Artikeln und Kommentaren aus dem Web.
„Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren.“ – Charles Bukowski.
„Sag zu deiner Ma, dass ich um zehn erscheine und für den Blowjob kriegt die Bitch ein paar Zehner-Scheine. Sie ist eine kleine Bitch, die auf ihr Frauenrecht beharrt. Sie und deine Schwester sind für Frauen recht behaart.“ – Farid Bang
„Na bald gibt es sowieso keine Männer mehr, wenn ich mir diese beiden Eierstöcke ansehe.“ – Online-Kommentar zur #metoo-Debatte.
Mit Judith Butler gesprochen: Gewalt ist, den anderen sprachlos zu machen. Die Sprache prägt Diskurse, prägt, wie wir unser Gegenüber sehen. Und ja, Sexismus prägt immer noch unsere Gesellschaft, aber eigentlich sollte das langsam nicht mehr so sein. Wir verteilen klare Rollenbilder, sprechen in Klischees und halten uns an antiquierten Machtverhältnissen fest – wir sich das jemals ändern? In der Sprache zeigt sich, dass Sexismus immer noch fest verankert in den Köpfen der Menschen ist. Das wird mit den vorgelesenen Zitaten verdeutlicht. Um das zu ändern, fordern Thea Dymke und Änne-Marthe Kühn auf, mit den vertrauten Regeln der Sprache zu brechen, was dann so aussähe: 1) Das subversive Potenzial der Sprache nutzen, sprich: herrschende Sprach- und Ausdrucksmittel imitieren. 2) Negativ besetzte Begriffe umdeuten, also Begriffe wie Fotze liebevoll verwenden. 3) Humor, Übertreibung, Satire. Das erinnert an den französischen Film aus diesem Jahr „Kein Mann für leichte Stunden“, in dem der Protagonist in einer Welt erwacht, in der der Mann die Rolle der Frau übernimmt und umgekehrt. Klischees und Stereotypen werden in dem Film jedoch nicht gebrochen. „Vielleicht kann eine neue Sprache ein neues Denken fördern“, sagen sie zum Schluss und man mag es mit ihnen hoffen.
Das Internet befeuert ohne Zweifel viele Debatten, mit denen sich auch Schriftsteller im- wie explizit befassen. So findet man zahlreiche Prosa-Werke, die sich bewusst mit Themen wie Überwachung und Sexismus beschäftigen oder auch solche, die sich in den Diskurs einschreiben und die nach wie vor Stereotypen auftischen. Vielleicht wurde auf der re:publica für manche nicht hitzig genug debattiert, doch wurde angesprochen, womit sich viele nicht beschäftigen wollen: Datenschutz, Algorithmen, Populismus (um nur ein paar Themen zu nennen). Sei es aus Bequemlichkeit oder sei es, weil es einem selbst ja keinen Schaden zufüge, siehe das Thema Überwachung. Die re:publica archiviert alle Veranstaltungen online. Es lohnt sich reinzuschauen!
Theresa Müller