Das ist es, was das Format Poetry Slam ausmacht: Die direkte Interaktion mit dem Publikum, von Angesicht zu Angesicht, unmittelbar festzustellen, wie die eigenen Texte ankommen. Dazu gehört eine Menge Mut; Mut, der uns in der heutigen Zeit oft fehlt, weil die immer anonymer werdende Kommunikation eine direkte Konfrontation vermeidet. Das Format Poetry Slam fungiert als eine Art Gegenentwurf dazu und vielleicht ist gerade das der Grund für seinen Erfolg.
Trotz allem können sich auch Poetry Slammer der Digitalisierung nicht gänzlich entziehen – und wollen das auch gar nicht. Ein Interview mit dem Poetry Slammer Rainer Holl über digitale und soziale Medien, die damit verbundenen Veränderungen und wie Poetry Slam und die Digitalisierung zusammenpassen und einander sogar nutzen können.
Auf deiner Website beschreibst du dich selber unter anderem als „Poetry Slammer, Autor und Automatopoet“. Was bedeutet das?
Als Automatopoet bezeichne ich mich seit 2010. Damals habe ich, mehr durch Zufall, damit begonnen, live und im öffentlichen Raum Gedichte auf der Schreibmaschine zu tippen und diese an Passanten zu verschenken. Das mache ich mittlerweile jedoch nur noch sehr selten. Aber ich habe aus der Zeit noch einige Schreibmaschinen in meinem Besitz. Slammer bin ich seit sieben Jahren, aber erst seit letztem Jahr als Reise-Poet. 2015 habe ich ca. 130 Auftritte gemacht und an den Deutschen Meisterschaften teilgenommen. Als Autor von Nicht-Bühnen-Texten betätige ich mich am wenigsten, aber eben auch.
Wie bist du zum Poetry Slam gekommen?
Ich lebe im Dortmunder Norden, unweit der Kneipe subrosa, in der es seit 1996 einen Poetry Jam gibt. Dort kam ich das erste Mal mit dem Format in Kontakt. Als später meine ersten eigenen Texte entstanden, wusste ich: Ich muss die da vortragen! Nach dem ersten Mal war ich dann sofort angefixt. Außerdem gab es Freibier.
Wie kommst du auf die Ideen für deine Slam-Beiträge?
Diese Frage bekommen Künstler_innen ja sehr häufig gestellt und ich frage mich immer, was für eine ungewöhnliche, spannende und mythenbehaftete Antwort sich die Fragenden darauf wünschen. Es hat nichts mit Drogen zu tun, nichts mit exzessiver Recherche. Es ist eher so, dass die Themen sich den Weg zum Künstler bzw. zur Künstlerin suchen und nicht andersherum.
Mittlerweile läuft immer mehr über digitale Medien ab; wie stehst du persönlich zur Digitalisierung?
Ich stehe der Digitalisierung eigentlich positiv gegenüber. Allerdings muss meiner Meinung nach viel mehr im Bereich Medienbildung und -kompetenz und generell im Umgang mit und der Rezeption von neuen Medien gemacht werden. In der Schule lernt man eventuell den Umgang mit Office und PowerPoint, vielleicht ein bisschen Internet und Programmieren. Aber wer die Medien macht, welche Kanäle es gibt, wie diese zusammenhängen, wie wir mit unseren Daten umgehen sollten, wie viel Konsum schädlich sein kann; all diese Fragen müssten schon in der Schule intensiver behandelt werden.
Wie wichtig sind digitale Medien für das Format Poetry Slam?
Digitale Medien spielen eine wichtige Rolle für das Format. Viele Slammer haben eigene Twitter-Kanäle, auf denen sie manchmal auch Material testen. Fabian Navarro schreibt gerade einen Twitter-Roman (Ich fave die Frage), den er unter Beteiligung seiner Leser_innen verfasst. Viele Slammer_innen haben Facebook-Fanseiten mit tausenden Followern. Die Klickzahlen bei YouTube gehen in die Millionen. Einige Poetry Slam-Veröffentlichungen gibt es als E-Book. Man kann also sagen, dass die Slam-Szene eng mit den digitalen Medien verbunden ist. Außerdem läuft ein Großteil des Bookings über Facebook.
Findest du im Internet bzw. in den Social Media-Kanälen auch Inspirationen für deine eigenen Beiträge?
Teilweise ja, aber hier liegt auch ein sehr schwieriger Punkt: Einige Slammer_innen lassen sich über ein kritisches Maß hinaus „inspirieren“. Sprich: Manchmal landet eine Pointe aus dem Internet in einem Slam-Text – manchmal sicherlich unbeabsichtigt, aber da wir so viel Zeit in den sozialen Medien verbringen, passiert das immer wieder mal. Genau deshalb sollte man hier mit der „Inspiration“ etwas vorsichtig sein.
Wie hat sich der Slam seit Aufkommen der neuen Medien verändert?
Durch das Internet und die sozialen Medien gibt es mittlerweile richtige Slam-Stars. Autoren wie Patrick Salmen haben über 30.000 Fans bei Facebook und spätestens seit dem Hype um Julia Engelmann war klar, welche Bedeutung das Internet für Poetry Slam haben kann. Millionen von Menschen, die vorher größtenteils noch nie etwas von Slam gehört hatten, waren plötzlich mit dieser Kunstform konfrontiert. Davon haben zahlreiche andere Poet_innen profitiert.
Wie siehst du diese Phänomene à la Julia Engelmann, die durch virales Marketing berühmt geworden sind und nun damit Geld verdienen?
Wie gesagt hat dieser Hype den Slam bekannter gemacht und einigen geholfen. Leider hat Poetry Slam an sich nicht viel mit dem zu tun wofür Julia Engelmann steht. Slam ist wandlungsfähig, dynamisch und mitreißend. Das, worum es nach all den Jahren immer noch am meisten geht, ist die Interaktion mit dem Publikum, der Rock’n’Roll auf der Bühne, das Live-Erlebnis. Dafür fahren wir stundenlang Zug, um 5 Minuten auf der Bühne zu stehen.
Versuchen mehr Leute Poetry Slammer zu werden, weil es mittlerweile relativ einfach ist, sich über digitale Medien selbst zu vermarkten?
Ich glaube nicht, dass mehr Menschen Slammer bzw. Slammerin werden wollen, weil sie denken, durch die neuen Medien ließe sich einfacher mehr Fame erreichen. Das Wichtigste bleibt immer noch die Bühne und das was live passiert. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass das Betreiben von erfolgreichen digitalen Kanälen eine Menge Arbeit bedeutet und ein Fulltime-Job ist.
Was können wir in nächster Zeit von dem Automatopoeten Rainer Holl erwarten?
Wenig Automatopoesie, aber ich hatte das Glück in diesem Jahr mit dem Martha-Saalfeld Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet zu werden. Das ist ein neuer Motivationsschub, mich endlich an meinen Roman zu setzen. Ansonsten freue ich mich, erneut bei den NRW Meisterschaften im Poetry Slam in Bochum antreten zu dürfen.
Vielen Dank für das Interview!
Carolin Terhorst