Vom wehrhaften Elfenbeinturm zum Wimmelbild

Die Aussicht der KonferenzteilnehmerInnen auf den Starnberger See,

Die Aussicht der KonferenzteilnehmerInnen auf den Starnberger See, CC-BY-NC Kristina Petzold

Vom 10. bis 12. Februar 2017 fand in der Evangelischen Akademie Tutzing die Konferenz Resonanzräume der Literatur im 21. Jahrhundert statt. GermanistInnen und LiteraturkritikerInnen diskutierten mit DeutschlehrerInnen und VerlagsverteterInnen über alte und neue literarische Öffentlichkeiten, über den gesellschaftlichen Einfluss von Büchern und nicht zuletzt darüber, was es heute noch bedeutet, von ‚guter‘ Literatur zu sprechen. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse des Wochenendes zusammengefasst.

Schon die Begrüßung durch die VeranstalterInnen in der Person von Judith Stumptner (Ev. Akademie Tutzing), Prof. Dr. Christoph Bläsi (Uni Mainz) und Volker Oppmann (log.os – Social Reading Software) definierte die Pole,  zwischen denen sich die Diskussionen der Konferenztage immer wieder bewegten: Während Christoph Bläsi von der Förderung „anspruchsvoller Literatur“ sprach, plädierte Volker Oppmann für eine Erweiterung des Literaturbegriffs, da sich Literatur vor allem über ihre Funktion in der Gesellschaft – als Öffentlichkeit – definiere.

Literatur und Anspruch

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion mit Ulrich Peltzer, Dr. Maike Albath und Sigrid Löffler (v.l.n.r.), CC-BY-NC Kristina Petzold

Der inhaltliche Auftakt in Form einer Podiumsdiskussion zwischen Literaturkritikerin Sigrid Löffler und Autor Ulrich Peltzer moderiert von Dr. Maike Albath (ebenfalls Literaturkritikerin) war überdeutlich auf der Seite der ‚anspruchsvollen‘ Literatur angesiedelt. So herrschte schnell Einigkeit darüber, dass es sehr viel Lektüreerfahrung und Kenntnis der jeweiligen literarischen Tradition erfordert, um gute Literatur zu erkennen, zu verstehen und zu genießen. Der Laienkritik im Internet sei diese Kompetenz nicht nur pauschal abzusprechen, schlimmer noch, „unter dem Deckmantel der Demokratisierung“ fände dort die „Ent-Demokratisierung der Literaturkritik statt“, weil die rezensierenden LeserInnen nichts anderes als der „verlängerte Arm des Verlagsmarketings“ seien, so Sigrid Löffler.

Den Konferenzsamstag eröffnete der Literaturkritiker Oliver Jungen mit einem nicht weniger provokanten Beitrag. Unter dem Titel Die Literatur hat ihre Macht verloren! sprach er sich für eine Renaissance der engagierten Literatur aus. Den Machtverlust der Literatur führte Jungen dabei nicht nur auf eine zunehmende Marktorientierung und erhöhtes Konkurrenzdenken zurück, sondern auch auf den Unwillen vieler AutorInnen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Seinen Höhepunkt fand der Vortrag in der Antwort auf eine Frage aus dem Publikum, nach der Sinnhaftigkeit dieses „Elfenbeindiskurses“. Oliver Jungen verteidigte seine Bastion und Existenzgrundlage erwartungsgemäß, indem er nicht nur darauf verwies, dass der „Elfenbeinturm“ mehr denn je gebraucht würde, sondern gerade jetzt geschützt – „mit Kanonen umstellt“ – werden müsse.

Wimmelbild statt Elfenbeinturm?

Für eine Gegenrede unter dem Titel Die Literatur lebt! war Prof. Dr. Stefan Porombka (UdK, Berlin) vorgesehen, der leider nur per Skype zugeschaltet war und somit nicht direkt auf die Ausführungen seines Vorredners reagieren konnte. Er trat den Versuch an, die Literaturgeschichte als Diskursgeschichte zu lesen und innerhalb dieser Logik die aktuelle Endzeitstimmung des Literaturbetriebs als diskursive Konstruktion zu entlarven. Kurz: Nur auf der Basis eines ganz bestimmten Narrativs der Literaturgeschichte lasse sich der Tod der Literatur heute postulieren. Porombka bot stattdessen neue Betrachtungsregeln an (u.a. keine teleologische Entwicklung anzunehmen) und verwies auf zwei Kernphänomene der neu definierten Lebendigkeit: Erstens die Pluralisierung der literarischen Öffentlichkeiten („wie in einem Wimmelbild“) und zweitens die Auflösung des Werkbegriffes – denn durch flankierende Maßnahmen wie Lesungen, Buchtrailer und Interviews würden Bücher selbst zu Resonanzräumen.

In verschiedenen Arbeitsgruppen wurde am Samstagnachmittag dieses „Wimmelbild“ der pluralen Öffentlichkeiten genauer unter die Lupe genommen. Dabei ging es um die Themen Wo das Lesen heute ‚social‛ ist (Leander Wattig), Die Crowd als Literaturkritiker (PD Dr. Alexander Nebrig), transmediales Storytelling (PD Dr. Andreas Rauscher) sowie um eine Studie zum Einfluss ‚anspruchsvoller‛ Literatur auf die Empathiefähigkeit von LeserInnen (Castano/Kidd 2013).

Über digitale und analoge Resonanzräume wurde in Tutzing aber nicht nur theoretisch gesprochen. Am Samstagabend probierten die KonferenzteilnehmerInnen in einem Experiment aus, wie sich der Austausch über einen gelesenen Text auf analogem und digitalem Weg voneinander unterscheidet. Während einige ‚ProbandInnen‘ direkt miteinander sprechen durften, erprobte die Vergleichsgruppe die Social Reading Software log.os. Dabei wurde schnell deutlich, dass die Software vor allem eine sehr textnahe und pointierte, dafür aber auch granulare und vereinzelte Debattenstruktur erzeugt.

Schulen und Verlage in der Pflicht

Am Sonntag betraten die KonferenzteilnehmerInnen mit dem Vortrag von Prof. Dr. Dawidowski (Osnabrück) zum Thema Literarische Bildung in der Schule? Status quo und Ausblick einen letzten Resonanzraum des Literarischen. Besonders deutlich wurde dabei, dass durch die Schwerpunktsetzung des Deutschunterrichts in der gymnasialen Oberstufe erstens der literarische Kanon auf ein paar wenige Werke verengt wird, zweitens ambitionierte Gegenwartsliteratur (die in den Abiturprüfungen kaum eine Rolle spielt) an Relevanz verliert und drittens die SchülerInnen Literatur zunehmend als rein „formales Bildungsmedium“ wahrnehmen.

Abschlusdiskussion

Abschlussdiskussion: Leander Wattig, Gunvor Schmidt, Prof. Dr. Christoph Bläsi und Felicitas von Lovenberg (v.l.n.r.), CC-BY-NC Kristina Petzold

Den Abschluss der Konferenz bildete eine Podiumsdiskussion. Zur Frage nach dem Doppelcharakter des Buches: Herausforderungen an ein liebgewonnenes Erlärmodell sprachen Leander Wattig (Eventkonzepter), Felicitas von Lovenberg (Literaturkritikerin, Verlegerin), Gunvor Schmidt (Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.) gemeinsam mit Moderator Prof. Dr. Christoph Bläsi.  In dieser Runde wurde der ‚Anspruchs‘-Begriff besonders kritisch und hinsichtlich seiner „ghettoisierenden“ Wirkung reflektiert. Felicitas von Lovenberg verwies damit auf die bedauerliche Nebenwirkung des Hochkultur-Etiketts, durch das Bücher für den breiten Unterhaltungsmarkt oft unverkäuflich würden. Auf der Suche nach einer neuen „Coolness“ der Bücher sahen die Diskutierenden die ganze Branche, aber insbesondere auch die Verlage in der Pflicht, sich klare Profile zu schaffen und neue Resonanzräume für ihre Bücher zu erobern.

Von Kristina Petzold

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